Persönlicher Nachruf An Sebastian Böhm: "Deine Zuversicht – ich habe sie gespeichert"

17. November 2022, 21:14 Uhr

Der erst 36-jährige Magdeburger Star-Friseur Sebastian Böhm ist an Leukämie verstorben. Sein Tod löste viel Anteilnahme aus, gerade bei denen, die er mit seinem positiven Wesen beeinflusst hat. Auch eine MDR-Mitarbeiterin erinnert sich und trauert.

Die Verfasserin dieser Zeilen hat eine eigene Geschichte mit der Krankheit Krebs. So hat sie auch Sebastian Böhm kennengelernt. Sie ist langjährige Mitarbeiterin beim MDR in Sachsen-Anhalt und lebt in Magdeburg, möchte aber nicht mit Namen und ihrer Krankheit in Erscheinung treten. Trotzdem ist es ihr ein Anliegen, Sebastian Böhm mit ihren Erinnerungen zu würdigen.

Sebastian, heute Morgen bin ich mit dem Fahrrad an deinem Salon vorbeigefahren. Eine Woche ist er jetzt geschlossen. Es ist dunkel drin. Auf dem Fenstersims draußen stehen Kerzen. Grabkerzen, aber auch eine in einem Regenbogen-Glas. Blumen liegen hier. Ein kalter Schauer vermischt sich mit der Novemberkälte. Beide krauchen mir direkt unter die Haut.

Nein, ich gehöre nicht zu deinen engsten Freundinnen, aber wir haben eine besondere Verbindung und es hat mir das Herz gebrochen, als ich hörte, du hättest diese Erde verlassen.

Zufälliges Treffen in der Klinik

Es ist etwa ein Jahr her, dass ich dich in der Klinik auf dem Gang traf. Ich saß da, starr vor Angst. Gleich sollte mein Knochenmark punktiert werden. Man wollte eine zweite Krebserkrankung bei mir ausschließen. Es gab Hinweise darauf, dass mit meinem Blut etwas nicht stimmt. Die kalten Gänge in den Krankenhäusern zwingen einen dazu, sich mit dem eigenen Schicksal auseinanderzusetzen. Es gibt wenig Ablenkung. Nur Menschen, die vor sich hinstarren. Ich war eine von ihnen.

Und dann kam diese Erscheinung vom Ende des Gangs angeschwebt. Ich habe dich zuerst nicht erkannt, aber dann kamst du näher. Unverkennbar. Wir umarmten uns und du fragtest, was ich hier machen würde. Ich habe es dir erzählt und auch gesagt, dass ich höllische Angst hätte. Vor dem kleinen Eingriff, von dem mir bis dahin alle gesagt hatten, dass er extrem unangenehm bis schmerzhaft sein würde. Vor dem Ergebnis aber noch mehr. Ich hatte gerade eine andere Krebserkrankung bekämpft.

"Ich habe fast geheult vor Dankbarkeit"

Du hattest mir damals angeboten, du würdest mich jederzeit unterstützen, wenn ich Hilfe bräuchte. Du würdest eine tolle Firma in Hamburg kennen, die auch deine Perücke hergestellt hat. Deine Stimme, dein Enthusiasmus, deine Zuversicht – ich habe sie noch immer in meinem Messenger gespeichert. An diesem Tag hast du meine Schultern beherzt berührt, mir in die Augen gesehen und mit fester Stimme gesagt, dass es nicht schlimm werden würde, alles gutgehen würde, ich keine Angst haben bräuchte. Ich habe fast geheult vor Dankbarkeit. Du warst zu einer Kontrolluntersuchung da, hattest auch Zuversicht für dich. Das war der Termin, bei dem sie festgestellt hatten, dass die Leukämie zurück ist.

Am Donnerstag vor deinem Tod war ich in deinem Salon. Die Stimmung war gedrückt. Ich fragte meinen liebsten Stamm-Friseur Colin, ob mit dir alles in Ordnung sei. Ich hatte dich lange nicht gesehen. Colin sagte mir, die Ärzt:innen hätten dir geraten, schnell all das zu machen, was du schon immer mal machen wolltest. Ich hatte nicht mal den Funken einer Ahnung, wie schnell das alles gehen würde.

"Dein Wesen hat das Make-up erst zum Leuchten gebracht"

Du hattest eine Stammzellspende erhalten, alles sah irgendwie gut aus. Vor allem du. Perfektes Make-up, das deine fröhlich strahlenden Augen nur noch mehr betont hat, deine Kleidung – stilsicher wie immer. Beim letzten Mal, als ich dich im Salon erlebt hatte, haben wir bei dieser unerträglichen Sommer-Hitze zusätzlich mit Hitzewallungen zu kämpfen gehabt. Nebenwirkungen der Medikamente. Unangenehm, aber besser als die jeweilige Krankheit. Du hattest mit deiner Kundin darüber gesprochen, warum du dieses schrille Make-up magst. Weil die Welt grau genug ist. Punkt. Es stand dir außerdem wahnsinnig gut, hat nichts überdeckt. Dein warmherziges Wesen hat das Make-up erst zum Leuchten gebracht.

Deine Angestellten, die Azubis, die Gesell:innen, ein bunter, fröhlicher Haufen – alle klingen irgendwie ähnlich – du hast sie handverlesen und ausgebildet, viele von ihnen haben eine Geschichte, die unter die Haut geht, sie sehen sich als Familie. Das hört man öfter auch von anderen Firmen, aber wer Kunde oder Kundin bei euch ist, spürt, dass es tatsächlich stimmt. Wer hier reinkommt, wird konsequent geduzt, egal ob Neuntklässler oder 90-Jährige. Nur die Azubis müssen die Leute siezen. Das habe was mit Respekt zu tun, lerne ich bei meinem letzten Besuch. Man kann spüren, dass am Donnerstag vor deinem Tod der gesamte Salon aufgewühlt ist. Mein Stammfriseur Colin erzählt mir, er habe Panikattacken. Wegen der vielen Arbeit und … wegen Sebastian. Die beiden waren die wichtigsten Menschen füreinander, Sebastian hat sogar Colins Mama in seinen Salon geholt. Aus Nordrhein-Westfalen. Damit es ihr besser geht. Und ihm.

"Katastrophe für die, die dich näher kannten"

Du bist nicht mehr da. Das ist für die Menschen, denen du über den Weg gelaufen bist, schrecklich. Für die, die dich viel näher kannten, eine Katastrophe. Daran gibt es keinen Zweifel. Deine Angestellten haben ihr Familienoberhaupt verloren. Mutter, Vater, Freund und Bruder gleichzeitig. Sebastian, du konntest dich mit deiner Schere und Haarlack auf dem ganz großen Parkett bewegen, aber du warst vor allem ein mitreißender Mensch mit einem Herzen aus Gold, engagiert, voller Leben und Lebenslust. Jeder Regenbogen, den du uns in Zukunft schickst, wird wie du für einen viel zu kurzen Augenblick die Welt so viel bunter machen.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. November 2022 | 11:00 Uhr

1 Kommentar

Hanni und Nanni am 18.11.2022

Das ist so zutreffend geschrieben. Auch wir waren völlig geschockt und sprachlos, als wir von der traurigen Nachricht erfahren haben. Man mag es noch immer nicht glauben... die Gespräche mit Basti während des Aufenthaltes in seinem Salon, seine Scherze, sein Lachen, all das wird wahnsinnig fehlen.....
Er hatte für alle stets ein offenes Ohr. Bei unserem vorletzten Besuch im Salon konnten wir wieder mit ihm reden, scherzen und glaubten, dass er es nach der Spende geschafft den Krebs zu besiegen...
Leider mussten wir dann bei unserem folgenden Besuch erfahren, dass Basti sich abermals dem Kampf stellen musste.
Alle Daumen waren gedrückt und jeder hoffte, dass Basti es abermals schaffen würde......
Dann die schockierende Nachricht und plötzlich stand alles still, nichts war mehr, wie es war......
Basti du warst ein toller, gutmütiger, lebensfroher Mensch, der unvergessen bleibt und immer einen Platz in unseren Herzen haben wird. Der Verfasserin des Artikels wünschen wir alles, alles Gute.

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