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45 Jahre hat Gabi Ripka auf derselben Station gearbeitet. Sie ist Leiterin der onkologischen Abteilung der Universitätsfrauenklinik Magdeburg. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT/Code7, Tilo Holzapfel

Universitätsklinik Magdeburg45 Jahre Onkologie-Station: Schwester Gabi und das geordnete Gewusel

19. Mai 2023, 16:31 Uhr

Seit 45 Jahren können sich die Patientinnen auf der onkologischen Station der Universitätsfrauenklinik in Magdeburg auf Schwester Gabi verlassen. Nun geht die Stationsleiterin in Rente. MDR SACHSEN-ANHALT hat sie auf Station begleitet.

  • Die Krankenschwester Gabi Ripka leitet die onkologische Abteilung der Universitätsfrauenklinik in Magdeburg.
  • 45 Jahre hat sie auf dieser Station gearbeitet und wohl jede erdenkliche Krankengeschichte miterlebt.
  • Jetzt geht sie in den Ruhestand und übergibt die Aufgabe an jüngere Kollegen.

Es ist 5:45 Uhr. Eine energiegeladene Person mit Fahrradhelm hält einen Transponder an die Tür des Personaleingangs der Universitätsfrauenklinik. Die Tür öffnet sich. Mit kraftvollen Schritten eilt eine Frau im sportlichen Outfit zielstrebig durch einen leeren Gang.

Die Frau heißt Gabi Ripka. Sie verschwindet hinter der Tür eines Umkleideraums und verwandelt sich in Schwester Gabi, Leiterin der onkologischen Abteilung der Klinik, Station 7. Hier werden Frauen mit Krebserkrankungen behandelt.

Wenn sie in der Station 7 ankommt, verwandelt Gabi Ripka sich in Schwester Gabi. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT/Code7/Tilo Holzapfel

Aus Gabi Ripka wird Schwester Gabi

Wenn Schwester Gabi den Umkleideraum verlässt und zu ihrer Station eilt, sind die Welten noch vermischt. Windjacke und sportliche Schuhe sind einem rosafarbenen, lockeren Oberteil und einer weißen Hose gewichen. Auf ihrem Namensschild steht "Schw. Gabi", darunter "Stationsleiterin", über ihrer Schulter hängt ihre Handtasche mit allem, was sie an diesem Tag brauchen könnte. Im Schwesternzimmer, als sie ihre Tasche abgestellt hat, ist die Metamorphose vollendet: Schwester Gabi ist nun im Arbeitsmodus.

Die Schwestern aus der Nachtschicht haben Kaffee gekocht, es duftet auf den Klinikgängen danach. Acht Stunden Dienst haben sie hinter sich. Gegen sechs Uhr sitzen alle zusammen für die Übergabe von der Nacht- zur Frühschicht in dem kleinen Raum hinter dem Tresen.

Schwester Ilona aus der Nachtschicht hat einen Zettel neben ihrer Kaffeetasse liegen. Sie hat sich Notizen zu jeder Patientin gemacht, spricht darüber, ob sich deren Zustand verbessert hat, wie die Blutwerte sich entwickelt haben, ob jemand in der Nacht Hilfe brauchte.

Geordnetes Gewusel

Man sieht den Schwestern an, dass sie müde sind, aber die Stimme, das Lächeln – all das deutet darauf hin, dass es sich um keine grundsätzliche Müdigkeit handelt, sondern nur der langen Nacht geschuldet ist. Kaum, dass sich die Nachtschicht verabschiedet hat, geht das geordnete Gewusel los. Wie in einer einstudierten Choreografie eilen Schwestern mit Rollwagen von einem Zimmer zum nächsten.

Mit beeindruckender Leichtigkeit werden die Türen zu den Patientinnenzimmern geöffnet und innerhalb weniger Minuten Oberflächen desinfiziert, Wasserflaschen ausgetauscht, Betten neu gemacht werden. Nebenher ein kurzer Plausch mit der Patientin. Es geht darum, wie sie geschlafen hat, wie das Wetter werden soll, ob sie Schmerzmittel braucht. Es ist, als würde ein Windhauch durchs Zimmer rauschen: schnell, aber nicht unangenehm.

Schwester Gabi stimmt sich während der Arbeit mit ihrer Kollegin Schwester Julia ab. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT/Code7, Tilo Holzapfel

Visite: "Weiße Wolke" bewegt sich von Zimmer zu Zimmer

Danach geht es weiter. Frühstückstabletts werden aus einem Wagen genommen, in die Zimmer gebracht, Tee oder Kaffee in Tassen gegossen. Dann schließen sich die Türen wieder.

Während die Reinigungskraft ihre Runden zieht, gehen Schwester Gabi und ihre Kolleginnen die Dokumente durch: Wer darf heute möglicherweise nach Hause? Wer braucht einen Krankentransport? Wer muss noch mal zur Sonografie auf dem Haupt-Campus? Wer hatte noch Fragen, die nur ein Arzt oder eine Ärztin beantworten kann?

Kaum schließt man kurz die Augen, hat sich die Choreografie verändert. Assistenzärztin, angehende Ärztin, angehende Krankenschwester, Medizinstudentin, Schwester Gabi – die "Weiße Wolke" bewegt sich von Zimmer zu Zimmer. Es ist die Visite.

Verständnis für die Patientinnen

Im Gespräch mit der Patientin und in dem Gespräch danach, auf dem Gang, verschafft sich die Gruppe einen Überblick über den Zustand der Patientinnen. Danach entscheidet sich, wer wieder nach Hause kann und wer noch ein paar Tage bleibt.

Die Frauen sind wegen vielfältiger Probleme hier. Einige wurden von ihrer Frauenärztin oder der Chemo-Ambulanz geschickt. Sie vertragen die Therapie nur schlecht, die Blutwerte sind im Keller, die Entzündungswerte zu hoch. Andere wurden operiert, ein Tumor wurde aus der Brust oder dem Unterleib entfernt.

Es gibt intime Fragen, über die die Patientinnen mit der "weißen Wolke" nur ungern reden. Dafür sind dann die Schwestern nach der Visite da. Es geht um Inkontinenz, um Fragen rund um die Sexualität, Hitzewallungen, Angst vorm Verlust aller Haare am Körper, vor allem auf dem Kopf und im Gesicht, um Thrombosestrümpfe. Mit Sachlichkeit und zugleich unendlich viel Verständnis beantwortet Schwester Gabi alles, was ihr möglich ist.

45 Berufsjahre auf einer Station

Schwester Gabi spricht schnörkellos und macht keine Versprechungen, die sich nicht halten lassen. Sie hört zu. Hin und wieder legt sie ihre Hand beruhigend auf den Unterarm, die Hand oder die Schulter ihrer Patientin, während sie mit ihr spricht. Es ist eine Geste, die etwas signalisiert wie Weitermachen. Nichts, was sie tut, wirkt kalkuliert, aber es wirkt auch nicht zufällig.

Es sind diese insgesamt 47 Jahre Berufserfahrung, die Schwester Gabi in der Uniklinik Magdeburg gesammelt hat. 45 Jahre davon auf der onkologischen Station in der Frauenklinik. Sie kennt jeden Winkel des Hauses, hat Menschen kommen und gehen sehen: Patientinnen, Kolleginnen, Ärzte.

Es gibt wohl keine Krankengeschichte, die sie noch nicht erlebt hat. Aber wenn sie mit einer Patientin spricht, dann ist es, als stünde nur diese eine Person mit all ihren Beschwerden und Ängsten im Mittelpunkt. Wenn Schwester Gabi spricht, kann man ihr beim Denken zusehen. Sie bricht mitten im Satz ab, man spürt regelrecht, wie es arbeitet, wie sie in ihren Erinnerungen und gedanklichen Schubladen nach etwas sucht, was für diese Patientin richtig ist.

Von Patientinnen geschätzt

Die Schwester Gabi, das ist so eine tolle Schwester. Kompetent, korrekt, eine Autorität, aber lieb, nett.

Wilma Gliwa | Patientin

Wilma Gliwa, eine Patientin, die schon zweimal hier auf der Station lag, sagt: "Die Schwester Gabi, das ist so eine tolle Schwester. Kompetent, korrekt, eine Autorität, aber lieb, nett. Aber ich muss dazusagen, auch die anderen alle. Nicht, dass ich hier nur Schwester Gabi in den Himmel hebe, aber die ist toll. Ich war vier Tage hier. Damals war ja noch Corona, da hatten alle eine Maske auf. Jetzt sieht man mal ein Lächeln und die lächeln alle. Das ist gut für die Seele."

Die nettesten Patientinnen

Das Pflegefachpersonal hier auf dieser Station hat mit Patientinnen zu tun, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu kämpfen haben. Für Außenstehende ist das kaum vorstellbar. Wie hält man das aus? Die Schwestern antworten auf diese Frage alle ähnlich. Sie machen diesen Job einfach gern. Weil er abwechslungsreich sei, weil man mit Menschen zu tun habe, weil man helfen könne. Außerdem seien die Patientinnen hier besonders dankbar.

Die Patienten geben sehr viel zurück. Die Patienten sind immer dankbar, sind die nettesten Patienten, die ich kenne.

Doreen Kempfert | führt onkologische Beratungen durch

Doreen Kempfert, die onkologische Beratungen durchführt, sagt: "Die Patienten geben sehr viel zurück. Die Patienten sind immer dankbar, sind die nettesten Patienten, die ich kenne, überhaupt. Und das nimmt man mit nach Hause und darüber freut man sich."

Bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Arbeit

Und doch braucht es Ausgleich. Schwester Gabi etwa hat ein Haus, einen Hund, zwei Gärten, in denen sie abschalten kann, wenn ihr doch eine Geschichte zu nahe geht. Ihr Mann, mit dem sie 43 Jahre verheiratet ist, war immer an ihrer Seite und ihre Tochter ist selbst Krankenschwester geworden. Die Familie stützt sich gegenseitig, gibt einander Halt.

Außerdem hat Gabi Ripka in ihrer Freizeit immer viel Sport gemacht. Sie kommt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit, etwa fünf Kilometer hin, fünf zurück. Bei Wind und Wetter. Nur, wenn Schnee liegt, lässt sie das Rad stehen. "Ich bin so gut wie nie mit dem Auto gefahren, immer CO2-neutral."

Kraft für den letzten Lebensabschnitt

Nach 47 Jahren ist im Juli Schluss, Schwester Gabi geht in den Ruhestand. Auch das ist bestens organisiert, ohne Schnörkel, ohne Wehmut: "Die Zeit ging ruckzuck vorbei und jetzt freue ich mich, dass ich noch fit bin und für meinen letzten Abschnitt noch viel Kraft habe und noch viele Ideen habe."

Mit der Arbeit habe sie ein gutes Gefühl, sie habe abgeschlossen. "Ich habe meine Kraft reingebracht und versucht, alles zu geben. Und ich denke, das ist mir auch ganz gut gelungen. Jetzt übergebe ich das alles an junge Kollegen."

Schwester Gabi freut sich auf die nächste Lebensphase. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT/Code7, Tilo Holzapfel

Mit der Arbeit habe ich ein gutes Gefühl. Ich habe meine Kraft reingebracht und habe versucht, alles zu geben und jetzt übergebe ich das alles an junge Kollegen.

Gabi Ripka | Leitende Schwester in der Onkologie

Der Kreislauf des Lebens

Schwester Gabi hat manche ihrer Patientinnen sogar bis in den Tod begleitet. Der gehört dazu, sagt sie. Wenn sie über den Tod spricht, spricht sie leiser, aber weiterhin klar.

Dann lächelt sie, deutet nach draußen, auf die andere Seite des Gebäudes, wo der Kreißsaal ist: "Dort kommt das neue Leben zur Welt. Wir hören ganz oft die werdenden Mütter – wird dann auch mal lauter – und dann hören wir, ah, jetzt kommt wieder ein neuer Bürger auf die Welt. Das freut uns. Da guckt man auch mal hoch oder in so ein kleines Bettchen und das ist ein richtig schönes Gefühl." Der Kreislauf des Lebens.

Wir hören ganz oft die werdenden Mütter und dann hören wir, ah, jetzt kommt wieder ein neuer Bürger auf die Welt. Das freut uns.

Gabi Ripka | Leitende Schwester in der Onkologie

Schwester Gabi eilt weiter. Eine Patientin darf die Station verlassen. Für sie gibt es einen Entlassungsbrief, die Liegebescheinigung für den Arbeitgeber und einen Händedruck, der Mut machen soll. In diesen Momenten hält die erfahrene Krankenschwester inne, blickt beruhigend in die Augen der Patientin. Der dankbare Blick, den sie zurückbekommt, begleitet sie zurück in den Gang, wo schon die nächste Patientin wartet. Ein neues Schicksal, neue Fragen. Und Schwester Gabi tut, was sie immer getan hat: Ihr einen Teil der Last nehmen.

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MDR (Anja Höhne, Alisa Sonntag)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. Mai 2023 | 19:00 Uhr

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