Vor dem Magdeburger Dom leuchten die Lichter des Weihnachtsmarktes der Schweizer Milchkuranstalt. 3 min
Sollte der "Wiehnachtmärt" an der Milchkuranstalt verhindert werden? Bildrechte: picture alliance / dpa-Zentralbild | Stephan Schulz
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Haben Gastronomen aus Magdeburg zu viel Einfluss auf Verwaltung und Politik? Neue bekannt gewordene Schreiben in der Email-Affäre zum Magdeburger Weihnachtsmarkt werfen neue Fragen auf.

MDR SACHSEN-ANHALT Do 27.03.2025 12:00Uhr 03:21 min

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E-Mail-Affäre um Weihnachtsmarkt Wollten Magdeburger Gastronomen unliebsame Konkurrenz verhindern?

28. März 2025, 11:43 Uhr

Mehr als 250.000 Besucher strömen jede Woche im Advent auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt – einem der größten in Mitteldeutschland. Für Schausteller ist er ein finanzieller Rettungsanker, der die Zeit bis zum ersten Jahrmarkt im Frühjahr überbrückt. Millionen Euro werden umgesetzt. Doch welchen Einfluss haben Budenbetreiber auf Politik und Verwaltung, wenn sie ihre Umsätze bedroht sehen?

Der Wettbewerb um die Plätze auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt ist hart. Gastronomen bewerben sich Jahr für Jahr, um präsent zu sein. Viele überbrücken mit den Einnahmen mindestens die Zeit bis zu den ersten Festen im Frühjahr. Der Druck, wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, ist hoch. So hoch, dass selbst der Ordnungsbeigeordnete der Stadt offenbar versucht hat, unliebsame Konkurrenz auszubremsen.

Warum fragte Ronni Krug Feuerwehr und Ordnungsamt nach "kreativen Lösungen", um den "Wiehnachtmärt" der Schweizer Milchkuranstalt in der Nähe des Doms zu verhindern? Eine jetzt bekannt gewordene E-Mail eines bekannten Magdeburger Gastronomen legt nahe, dass er und andere Druck auf die Stadt ausübten, um die Konkurrenz zu verhindern.

Ein Unternehmer mit Einfluss

Arno Frommhagen ist eine feste Größe in der Magdeburger Gastronomieszene. Er betreibt direkt oder über Beteiligungen mehrere Restaurants und Stände auf dem Weihnachtsmarkt. Sein Café Flair, inzwischen von seinem Sohn geführt, ist während der Adventszeit mitten im Marktgeschehen zu finden. Zudem ist Frommhagen als Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft Innenstadt (IGI) aktiv – einem Zusammenschluss von Händlern und Gastronomen.

Als die Magdeburger Volksstimme am 28. Oktober 2024 über den geplanten "Wiehnachtmärt" berichtet, reagiert Frommhagen nach MDR-SACHSEN-ANHALT-Informationen umgehend. Die offene Gastronomie mit 20 Buden und kulinarischem Angebot könnte eine ernsthafte Konkurrenz für den traditionellen Weihnachtsmarkt darstellen. Frommhagen schreibt, unter anderem an Ronni Krug: "dieser Wintermarkt hat echte Sprengkraft".

Magdeburger Gastronom Arno Frommhagen
Dem Magdeburger Gastronomen Arno Frommhagen war der neue Wintermarkt offenbar ein Dorn im Auge. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Nachfolgend zählt der Gastronom auf, welche möglichen Wettbewerbsunterschiede es im Vergleich zum Magdeburger Weihnachtsmarkt gebe: bessere Öffnungszeiten, schlankere Strukturen, geringere Kosten, weniger Auflagen. Sein Fazit: "Das bleibt mittelfristig nicht ohne Folgen für unsere Gesellschaft. Die Leistungsträger werden sich bei Umsatzeinbrüchen andere Standorte suchen."

Frommhagen unterschreibt die E-Mail mit "Vorstand IG Innenstadt e.V.". Er profitiert selbst stark vom Weihnachtsmarkt. Über verschiedene Firmen oder Familienmitglieder betreibt Frommhagen mindestens vier große Glühweinstände, eine Gänsebraterei und ist an weiteren Bereichen beteiligt.

Eine Mail mit Domino-Effekt

Am 28. Oktober 2024 um 8:48 Uhr verschickt Arno Frommhagen seine E-Mail – adressiert an die Gesellschafter der Weihnachtsmarkt GmbH, zu denen auch er selbst gehört. Unter den Empfängern neben dem Ordnungsbeigeordneten Krug: Weihnachtsmarktchef Paul-Gerhard Stieger sowie die Stadträte Falko Grube (SPD), Ronny Kumpf (AfD) und Wigbert Schwenke (CDU).

Weihnachtlich geschmückte Milchkuranstalt, Freiluftrestaurant in Magdeburg.
Blick auf den Weihnachtsmarkt der Milchkuranstalt. (Archiv-Foto) Bildrechte: picture alliance / imageBROKER | Stephan Schulz

Der Magdeburger Weihnachtsmarkt ist ein städtisches Unternehmen. Entsprechend sitzen Vertreter des Stadtrats sowie Mitglieder der Verwaltung in der Gesellschafterversammlung. Nur eine Stunde nach Frommhagens Mail nimmt die Debatte an Fahrt auf: Geschäftsführer Stieger leitet die Nachricht an den Leiter des Ordnungsamtes, Gerd von Baur, weiter – mit dessen Vorgesetztem, Ronni Krug, in Kopie. Stieger formuliert seine Nachricht auffallend vertraut: "Hallo Gerd, (…) Die Gesellschafter und Schausteller sind stinksauer. Es ist nicht klar, ob es eine Genehmigung (Sondernutzung) über die Liegenschaft gab. Für den Fall, dass es eine gab, wäre die Frage, ob über 32 (Fachbereich Sicherheit und Ordnung, dessen Amtsleiter Baur ist, Anm. d. Red.) oder Feuerwehr noch was gemacht werden kann."

Angehängt ist eine Liste mit acht konkreten Fragen und Vorschlägen, die darauf abzielen, dem neuen Wintermarkt der Milchkuranstalt wirtschaftlich Steine in den Weg zu legen. Stieger schließt mit den Worten: "Keiner hat etwas gegen einen kleinen Weihnachtsmarkt wie er im letzten Jahr stattgefunden hat. Das ist jetzt aber zu viel. […] Wenn wir das nicht irgendwie eindämmen werden wir das nie wieder zurückdrehen."

Ordnungsamtsleiter von Baur reagiert in seiner Antwort zurückhaltend. Vieles beantwortet er nicht. Auf die Frage, warum der Wintermarkt der Milchkuranstalt vor dem Totensonntag öffnen dürfe, schreibt Baur: "Eine vergleichbare Vorgabe an einen Dritten ohne städtische Einflussmöglichkeit wäre rechtswidrig." Von Baur verweist darauf, dass die Vorgabe für den städtischen Weihnachtsmarkt im Stadtrat getroffen wurde.

Ohne kreative Lösungen

Einen Tag nach dem ersten Mailverkehr schaltet sich Ordnungsbeigeordneter Krug in die Diskussion ein. Nachdem er bislang nur in Kopie eingebunden war, fordert er nun sowohl den Leiter der städtischen Berufsfeuerwehr als auch den Ordnungsamtsleiter auf, "kreative Lösungen" zu finden – diese wolle er den Gesellschaftern und Oberbürgermeisterin Simone Borris vorlegen. Gerd von Baur weist Krugs Aufforderung zurück und betont die rechtlichen Grenzen: "Über das Gefahrenabwehrrecht lässt sich kein Konkurrentenschutz begründen." Auch von der Feuerwehr erhält Krug nicht die gewünschte Rückmeldung.

Damit scheint das Vorhaben, dem neuen Wintermarkt der Milchkuranstalt Steine in den Weg zu legen, vorerst gestoppt. Aber die Betreiber erfahren von dem Vorgang: Am 5. November wendet sich der Rechtsbeistand der Milchkuranstalt direkt an Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris. Er weist darauf hin, dass es offenbar eine E-Mail gebe, die ihr Eingreifen erforderlich mache. Gemeint ist die E-Mail von Krug, die später zu einem Disziplinarverfahren führen wird.  

Laut einem internen Aktenvermerk lässt sich Borris die besagte E-Mail am 6. November um 16:31 Uhr zusenden. Damit erhält sie auch Zugang zur Antwort von Ordnungsamtsleiter von Baur, in der dieser die Rechtswidrigkeit des geforderten Vorgehens klarstellt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Genehmigung für die Gastronomie der Milchkuranstalt bereits erteilt. Für Borris ist die Angelegenheit zunächst erledigt. Die Oberbürgermeisterin nimmt Kontakt zu Ordnungsbeigeordnetem Krug auf. Dieser fragte jedoch nach der Aussage der Oberbürgermeisterin: Wie konnte diese Mail an die Betreiber des Wintermarktes gelangen? Borris hält fest, dass der Anwalt der Betreiber angedeutet habe, über weiteres belastendes Material zu verfügen.

Widersprüchliche Reaktionen der Verantwortlichen

MDR SACHSEN-ANHALT hat Magdeburgs Oberbürgermeisterin mit Fragen zum Vorgehen rund um den besagten Mailverkehr konfrontiert. Borris verneint die Aussage aus ihrem eigenen Vermerk vom 30. Januar 2025. In der Antwort an den MDR heißt es, am 6. November sei der Oberbürgermeisterin lediglich telefonisch ein Teil des Inhalts der Mail bekannt geworden. Die Mail selbst habe die Oberbürgermeisterin erst später im Rahmen ihrer Recherchen erhalten.

Im Vermerk heißt es, Borris habe aufgrund der Bewilligung (gemeint ist die Sondernutzungserlaubnis für den Wintermarkt, Anm. der Red. davon abgesehen – bis auf ein Ansprechen der Mail beim Ordnungsbeigeordneten – weitere Schritte einzuleiten. Mittlerweile läuft ein internes Verfahren gegen Krug.

Richtig Fahrt nahm die Aufarbeitung offenbar aber erst nach der medialen Berichterstattung über die E-Mail auf. Krug erklärt sich anschließend im Stadtrat und gab an, er selbst hätte ein Verfahren gegen sich angeregt.

Oberbürgermeisterin Borris schreibt dazu auf Anfrage, dass sich Hinweise auf ein Fehlverhalten des Beigeordneten erst in der weiteren Folge verdichtet hätten, insbesondere auch, weil für die vom Stadtrat beantragte Akteneinsicht sämtliche Akten zusammengestellt werden mussten und sich daraus neue Informationen ergaben.

IG Innenstadt sieht keinen Interessenkonflikt

Doch was motivierte Krug, überhaupt nach "kreativen Lösungen" zu fragen, um den Wintermarkt in der Milchkuranstalt mindestens zu beschränken? Von der Stadt Magdeburg heißt es: "Der Oberbürgermeisterin ist nicht bekannt, dass Herr Krug im Auftrag gehandelt hat und warum er den Auftrag erteilt hatte. Welches Interesse er dabei verfolgt hat, bleibt den Ermittlungen vorbehalten."

Fakt ist: Krug beginnt seine Mail mit den Worten: "Die Gesellschafter der Weihnachtsmarkt GmbH sind – vorsichtig ausgedrückt – wenig erbaut über diesen zusätzlichen Markt…". War der Auslöser dieses Arbeitsauftrages Druck der Gesellschafter, wie in der Mail des IG Innenstadt-Vorstands Arno Frommhagen? Er hat immerhin direkt oder indirekt auf eine Vielzahl von Ständen auf dem Weihnachtsmarkt Zugriff.

Die IG Innenstadt weist dies zurück. In einer Stellungnahme heißt es: "Unzählige Veranstaltungen und Marketingaktionen seien in den letzten Jahren durch die IG Innenstadt initiiert worden. Die IGI vertrete dabei nicht die Interessen von einzelnen Mitgliedsunternehmen." Auch die Betreiber der Milchkuranstalt selbst sind Mitglieder der IG Innenstadt. Warum deren Interessen offenbar weniger schwer ins Gewicht fielen, blieb unbeantwortet.

Frommhagen räumt Vorwürfe teilweise ein

Auch Frommhagen selbst wehrt sich in seiner Antwort auf eine Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Er habe seit 20 Jahren Stände auf dem Weihnachtsmarkt, es wäre nicht unüblich, dass Schaustellerfamilien über Kinder, Eltern, Verwandte mehrere Stände vor Ort hätten. Dass er die IG Innenstadt für seine wirtschaftlichen Vorteile genutzt hätte, bestreitet er.

Zu seiner Mail sagt er: "Ich wollte wachrütteln und auf die […] Problematik hinweisen (Wettbewerbsverzerrung)." Auf die Frage, ob sein Ziel war, Einfluss auf Entscheidungsträger der Stadtverwaltung zu nehmen, räumt er jedoch ein: "Ja, für eine gleichberechtige Flächenvergabe und Grundbedingungen."

Der Geschäftsführer des Magdeburger Weihnachtsmarktes, Stieger, sieht keinen Interessenkonflikt in der Kommunikation. Er erklärt, die gestellten Fragen seien durch einige Gesellschafter und Schausteller des Magdeburger Weihnachtsmarktes ihm gegenüber als Geschäftsführer aufgeworfen worden. Stieger führt jedoch weiter aus, man wolle sich nun mit den Betreibern des Wintermarktes an einen Tisch setzen und das Thema aus der Welt schaffen. Auf den Vorgang angesprochen wollten sich die Betreiber des Wintermarktes zunächst nicht zu den Vorgängen äußern.

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MDR (Lars Frohmüller, Max Hensch, Marius Rudolph), zuerst veröffentlicht am 27.03.2025

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | Der Tag in Sachsen-Anhalt | 27. März 2025 | 12:00 Uhr

55 Kommentare

Machdeburjer Kind vor 3 Wochen

Aber wenn Konkurrenz, dann bitte zu gleichen Bedingungen. Diese waren eben nicht gegeben.
Insofern ist die Kritik duch die Weihnachtsmarkt Gesellschaft erstmal berechtigt.
Da die Stadt Gesellschafterin ist, kann auch die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft nicht verwundern.
Wenn dann der Stadtrat Regeln für den Betrieb aufstellt, ist es ebenso wenig verwunderlich, dass es ungern gesehen wird wenn ein Konkurrent wesentlich weniger Reglementierungen unterliegt .

Machdeburjer Kind vor 3 Wochen

Da hat aber Jemand sehr schön den Soll Zustand gelernt.
Leider ist es aber so, dass der Ist Zustand selten das Soll erreicht hatte.
Was viele Zeitgenossen damals bereits bemängelten und was Jahrzehnte später sehr oft eingeräumt werden müsste.
So sind eben oftmals Betriebe abgewickelt worden, die durchaus Chancen gehabt hätten und häufig wurde einfach die billige Konkurrenz abgewickelt und wertvolle Patente in den Westen abgezogen.

Machdeburjer Kind vor 3 Wochen

Eine sehr westdeutsche Einschätzung.
Also ich sehe gerade, das ein Kumpel von Trump sich die Nord Stream Pipeline unter den Nagel reißen will. Jenem Trump, der in seiner ersten Amtszeit Sanktionen gegen Betriebe auf Rügen verhängt hatte und nun kein Problem darin sieht mit dem bösen Putin Erdgas Geschäfte zu machen. Solange die USA daran verdienen.
Was die Klüngeleien betrifft so gibt es auch im Westen zahlreiche Beispiele für die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik. Dagegen ist die E-Mail Affäre eine Dorfposse.

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