Raubkunst und Nazi-Beute10 Jahre Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg – positive Bilanz, aber Zukunftssorgen
Woher kamen Bilder und andere Museumsobjekte, die während der Kolonialzeit, NS-Zeit oder in der DDR verschleppt wurden? Seit zehn Jahren widmet sich das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg der Herkunft von Bildern und anderen Museumsobjekten. Dazu fördert es Forschungsprojekte in Museen oder Bibliotheken. Das Zentrum Kulturgutverluste zieht in seinem Jubiläumsjahr zwar eine positive Bilanz, blickt aber auch mit Sorgen in die Zukunft.
- Nicht nur große Kunstmuseen, auch zunehmend kleine Häuser sind bereit, sich mit der teilweise unrechtmäßigen Herkunft ihrer Objekte auseinanderzusetzen.
- Dabei geht es zum Beispiel um Objekte, die während der Kolonialzeit oder dem Nationalsozialismus geraubt wurden.
- Zwar ist sie bislang nicht von Kürzungen betroffen, dennoch blickt die Magdeburger Einrichtung mit Sorge in die Zukunft.
In Magdeburg feiert das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste am Dienstag zehnjähriges Jubiläum. Leiter Gilbert Lupfer zieht im Gespräch mit MDR KULTUR eine positive Bilanz. Inzwischen werde nicht mehr nur in den großen Kunstmuseen nach der Herkunft von Kulturgütern geforscht. "Das geht jetzt weit darüber hinaus", so Lupfer. Auch in technischen Sammlungen oder den Depots von Universitäten, in Bibliotheken oder Heimatmuseen auf dem Land werde heute Provenienzforschung betrieben.
ProvenienzforschungProvenienzforschung untersucht, wie Kunstwerke und andere Objekte in Museen oder Archive gelangten. Sie verfolgt ihre Geschichte und identifiziert rechtmäßige Besitzer. Dadurch möchte man möglicherweise unrechtmäßige Erwerbungen oder Raubkunst identifizieren.
Bereits 60 Millionen Euro Unterstützung
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt Kultureinrichtungen wie Museen, Bibliotheken oder Archive bei der Erforschung ihrer Exponate, wenn deren Herkunft nicht so einfach nachvollziehbar ist. Das kann der Fall sein, wenn sich in den Beständen beispielsweise sogenannte "verfolgungsbedingt entzogene Objekte" befinden. Das können Werke von jüdischen Menschen sein, die in der NS-Zeit beschlagnahmt wurden.
Bei privaten Sammlern und Museen gebe es häufig immer noch Widerstände, so Lupfer vom Zentrum Kulturgutverluste. Aber auch sie würden sich dem Thema mehr und mehr öffnen. Der Leiter des Zentrums freute sich über die bisherigen Fortschritte: "Da haben wir einen großen Sprung geschafft, auch mit speziellen Instrumenten wie den Erstchecks, speziell für kleine Museen."
In kleinen Museen, die sich Provenienzforschung nicht selbst leisten können, untersuchen Experten die Objekte im sogenannten Erstcheck. Bestimmte Indizien können dann Anlass für weitere Untersuchungen sein, wie vermehrte Zugänge während der NS-Zeit, erklärte Lupfer: "Zwischen '33 und '45 gab es ganz erstaunlich viele Zugänge, unter vielleicht fraglichen Bedingungen. Oder man weiß gar nichts drüber. Dann muss man da hingucken."
Anschließend an einen Erstcheck können die Museen oder Archive eine längerfristige Förderung der Provenienzforschung beantragen. Allein in den vergangenen zehn Jahren wurden mit rund 60 Millionen Euro mehr als 400 Projekte bundesweit gefördert.
Da haben wir einen großen Sprung geschafft, auch mit speziellen Instrumenten wie den Erstchecks speziell für kleine Museen.
Prof. Dr. Gilbert Lupfer - Stiftungsvorstand
So entstand das Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg (zum Aufklappen)
Seit gut 25 Jahren widmet sich Deutschland der Erforschung der Herkunftsgeschichte von unrechtmäßig entzogenem Kulturgut. Zuerst geschah dies in einer Koordinierungsstelle in Magdeburg, bis vor zehn Jahren daraus das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste entstand. Die Einrichtung wird als Stiftung von Bund und Ländern betrieben. Die Stiftung forscht nicht selbst, sondern begreift sich als zentraler Ansprechpartner und Unterstützer, will anregen, vernetzen und fördern. Dafür stehen dem Zentrum Kulturgutverluste jährlich gut elf Millionen Euro für Provenienzforschungsprojekte zur Verfügung.
Nazi-Raubkunst im Fokus
Das Hauptaugenmerk des Zentrums gilt dem im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz. Lupfer verweist im Gespräch mit MDR KULTUR auf einige Erfolge, vor allem bei der Rekonstruktion verstreuter, hauptsächlich jüdischer Sammlungen.
Seit 2017 befasst sich das Zentrum auch mit dem Raub von Kulturgütern in der sowjetischen Besatzungszone. Darüber hinaus unterstützt die Stiftung seit 2019 die Provinienzforschung zu Kunstgütern aus kolonialem Kontext. Man wolle auch die Grundlagenforschung stärken, das Fach Provenienzforschung an den Universitäten etablieren, Mitarbeiter in Museen weiterbilden sowie die Provenienzforschung weiter als Teil der Erinnerungskultur etablieren, kündigt Lupfer an.
Angst vor Kürzungen
Im Augenblick kommt man noch gut mit der Situation klar, aber die Perspektiven sind natürlich nicht mehr so rosig, wie sie noch von vor einigen Jahren waren.
Prof. Dr. Gilbert Lupfer - Stiftungsvorstand
Zwar sei die Stiftung bislang noch nicht von Kürzungen ihrer Finanzierung aus Bundesmitteln betroffen, so Lupfer, jedoch gebe es auch keinen jährlichen Zuwachs mehr. Dadurch werde die Arbeit angesichts steigender Kosten schwierig. Ein Problem ist laut Lupfer, dass ungenutzte Fördermittel nicht mehr ins nächste oder übernächste Jahr übertragen werden können, sondern teilweise zurück in den Bundeshaushalt fließen.
Derzeit komme man noch gut klar, aber: "Die Perspektiven sind nicht mehr so rosig, wie sie noch vor einigen Jahren waren." Deutschland habe eine große historische Verpflichtung sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, so der Professor für Kunstgeschichte weiter, die man nicht vordergründig von der Haushaltslage abhängig machen könne.
Quelle: MDR KULTUR (Sandra Meyer)
Redaktionelle Bearbeitung: ffs, bh, tis, hro
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 10. Dezember 2024 | 07:40 Uhr