Neben einem eingerüsteten Plattenbau steht ein Kran.
In diesem Plattenbau in Aschersleben sollen die Energiekosten im Monat bei nur 30 Euro liegen. Die Miete ist dafür teurer. Bildrechte: MDR/Uli Wittstock

Bundesweites Vorzeigeprojekt Wohnungsgesellschaft in Aschersleben will CO2-neutralen Plattenbau

17. Juli 2022, 05:00 Uhr

Das Königsauer Viertel in Aschersleben ist ein Plattenbaugebiet, das vor 50 Jahren für die Beschäftigten der Werkzeugmaschinenfabrik Aschersleben errichtet wurde. Ein Wohnblock wird momentan aufwändig saniert und der DDR-Plattenbau hat inzwischen zu bundesweitem Fachtourismus geführt. Was hier ausprobiert wird, könnte zukunftweisend sein: Das Haus soll in seiner CO2-Bilanz neutral sein und zusätzlichen Strom nur aus erneuerbaren Energien beziehen.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Zum Abreißen zu schade, befand der Chef der Aschersleber Wohnungsgesellschaft (AGW), Mike Eley – und entschloss sich, den Plattenbau zu sanieren. Eine Entscheidung auch aus ökologischen Gründen, denn schon bei der Errichtung des Plattenbaus sei viel C02 verursacht worden, beim Abriss wären weitere Emissionen hinzugekommen. Und so versuchte Mike Eley die Betonmassen als Chance zu sehen, nämlich als Wärmespeicher.

Der AGW-Chef weiß, wovon er redet, denn zu DDR-Zeiten hat er selbst in einem Betonwerk gearbeitet. "Wir haben ja in einem Plattenbau sehr viel Beton verarbeitet und Beton hat eine hohe Dichte. Die wollen wir über eine Infrarotheizung erwärmen und die Wärme durch eine gute Dämmung halten." Mit dieser Technologie soll der erste Plattenbau in Deutschland entstehen, der die benötigte Energie CO2-neutral beziehen und zu einem großen Teil selbst gewinnen will.

Infrarot aus Sonnenenergie

Während bei klassischen Heizungen die Luft erwärmt wird, funktioniert Infrarot nach einem anderen Prinzip. Mit Infrarot werden durch Strahlung die Körper und Objekte in einem Raum erwärmt, die dann die Wärme an die Luft abgeben. Mike Eley verspricht wohlige Wärme, doch bislang setzte sich diese Form des Heizens nicht durch, vor allem wegen der hohen Stromkosten – denn der Infrarotstrahler braucht elektrische Energie.

Von der sei genügend da, sagt der AGW-Geschäftsführer und blickt in den Himmel über Aschersleben. Das Haus wird eine Art bewohnbarer Sonnenkollektor: "Wir brauchen ein Dach, das zur Sonne geneigt ist. Und wir haben an der Süd-, an der Ost- und an der Westfassade Photovoltaik-Elemente, die die tiefstehende Wintersonne ernten sollen. Wir werden also über 60 Prozent der Energie, die wir im Gebäude brauchen, für Warmwasser, für Heizung, für den allgemeinen Strom, selbst erzeugen." Die restlichen 40 Prozent werden als Ökostrom von einem Energieversorger geliefert, so dass in der Summe das Haus vollständig mit CO2-freier Energie versorgt werden kann.

30 Euro Energiekosten pro Monat

Das Konzept, das die AGW in Aschersleben verfolgt, geht zurück auf Ideen von Timo Leukefeld, einem Solarexperten, der an der Bergakademie Freiberg unterrichtet. Nach seinen Berechnungen werden die monatlichen Energiekosten bei rund 32 Euro liegen. Allerdings kostet die Sanierung des Hauses rund 5 Millionen Euro und da die AGW zwar der Stadt gehört, aber kein Geld von der Stadt bekommt, muss diese Investition über den Mietpreis wieder eingespielt werden. Mark Eley ist da aber optimistisch: "Wir haben das durchgerechnet und mit einem Mietpreis zwischen zehn und elf Euro warm können wir durchaus Mieter ansprechen, die täglich arbeiten gehen und sich so etwas leisten wollen und können."

Zudem sollen die Mieter die Möglichkeit haben, auch ihre Mobilität über die AGW zu organisieren. "Wir stellen neben dem Gebäude noch vier Elektroautos zur Verfügung, die eigentlich nichts kosten. Die sollten in die Miete inkludiert sein. Man kann also morgens in das elektrisch geladene Auto einsteigen, zur Arbeit fahren und rollt CO2 frei abends wieder zurück nach Hause."

Energiesparen muss man sich leisten können

Wer also im Monat um die 1.000 Euro Miete zahlt, kann in der Ascherslebener Kopernikusstraße klimaneutral wohnen. Mike Eley legt wert darauf, dass es sich bei dem Projekt nicht um eine Luxussanierung handelt, auch wenn hochwertige Materialien verbaut werden. Dennoch räumt er ein, dass Menschen mit weniger Geld solche Standards vorenthalten werden. Es sei denn, die Bundesregierung würde den Bau von Sozialwohnungen stärker fördern, auch mit Blick auf die Klimabilanz der Gebäude. Die Zeiten des einfachen Abrisses der alten Platten könnten also vorbei sein. Vorausgesetzt, es finden sich genügend Mieter, die bereit sind, so viel Geld fürs Wohnen auszugeben.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Über den Autor Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie.

Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und Kommentare.

*In einer früheren Variante des Textes war von einem "energieautarken Wohnblock" die Rede. Das war nicht die korrekte Formulierung und wir haben den Artikel deshalb angepasst.

MDR (Luise Kotulla)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. Juli 2022 | 19:00 Uhr

10 Kommentare

Anni22 am 18.07.2022

Nunja man kann Platte schon auch mit großzügigen Wohneinheiten und vernünftiger Schallisolierung bauen. Wichtiger wird sein, wer drinnen wohnt und ob alles sauber gehalten wird.
Interessant sind kleiner Wohnungen sonst aber für Alte (so Fahrstuhl vorhanden) und Singels.

Anni22 am 18.07.2022

Anbei bei modernen Wohnen hätte ich mir nicht nur um die Heizung sondern auch um die Kühlung Gedanken gemacht. Vielleicht ist es noch nicht zuspät dafür?!

elbcom am 18.07.2022

Wie ist es den mit Geringverdienenen in London, Paris oder New York? Die wohnen auch in kleinen Schließfach-Wohnungen und/oder außerhalb und pendeln für ihre Jobs in die Stadt. Auch in deutschen Großstädten ist das tendenziell so. Das muss wohl alles Sozialismus sein, völlig klar ;-)

Scherz beiseite. Arbeiter wohnen heutzutage in kleinen Wohnungen, weil Wohnraum teuer ist, da dieser (v.a. in Großstädten) als Ware oft rentabel verwertet wird. Obendrein kommen noch schlecht bezahlte Jobs und Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus. Willkommen in kapitalistischen Gefilden.

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