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Höhere Baukosten, Energiekrise, LeerstandVor welchen Herausforderungen Wohnungsgesellschaften stehen

28. Januar 2023, 16:37 Uhr

Baukostensteigerungen, Leerstand, Energiekrise: Kommunale Wohnungsgesellschaften stehen vor Herausforderungen. Auf dem Land stagnieren mancherorts Neubau und Modernisierung der Bestände. Der Verband der Wohnungswirtschaft verlangt deshalb mehr Unterstützung für Wohnungsunternehmen im ländlichen Raum. Ein Interview mit Verbandsdirektor Jens Zillmann.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Zillmann, vor Ihnen liegen Fotos auf dem Tisch. Sie haben Sie eine Galerie genannt...

Jens Zillmann: Auf meinen Mitgliederreisen in Sachsen-Anhalt schaue ich mir gerne auch Neubauvorhaben sowie Sanierungsprojekte und Modernisierungen an. Wie jetzt in Halberstadt die Lindenhofterrassen, wie in Wittenberg die Elbebebauung, wie in Aschersleben die Kopernikusstrasse, ein energetisches Projekt auf dem Weg zur Autarkie.

Vier meiner Mitglieder, also kommunale Wohnungsgesellschaften, haben jetzt die Grüne Hausnummer Plus gewonnen. Eine besondere Auszeichnung des Umweltministeriums für hervorragende, gelungene Projekte. Aber ich schaue mir auch die Aufgaben an, die es noch zu bewältigen gilt. Und ich musste auf meiner Reise durch Sachsen-Anhalt, Schwerpunkt im ländlichen Raum, in kleineren Städten, auch in dörflichen Strukturen leider feststellen, dass wir dort eine deutliche Stagnation erleben.

Gibt es tatsächlich einen Unterschied zwischen mittelgroßen Kleinstädten und größeren Städten im Vergleich zum Land?

Es gibt ja die ganz deutliche Korrelation, dass (kommunale Wohnungs- Anm. d. Red.) Unternehmen in kleineren Städten in kleineren Gemeinden nicht über die Finanzkraft verfügen, über die man beispielsweise in Aschersleben, Wernigerode, Wittenberg und Naumburg verfügt. Und wir erleben auch, dass es eine Bevölkerungswanderung gibt. Es gibt eine ganz klare Orientierung der Menschen in die Mittel- und Oberzentren. Das hängt mit dem schleichenden Rückbau von Infrastruktur im ländlichen Raum zusammen. Digitalisierung: es gibt keinen ausreichenden Netzausbau. Wir haben einen Rückgang an Gymnasien. Wir haben keine hinreichende Nahversorgung, die Apotheke schließt, der Zahnarzt schließt, Kunst und Kultur wird zurückgebaut, so dass die Attraktivität des ländlichen Raumes natürlich tendenziell abnimmt.

Wirkt sich das auf den Leerstand aus?

Ja, natürlich. Wir beobachten in unserem Vergleich der Kennzahlen unserer Unternehmen, dass in den Mittel- und Oberzentren die Leerstandsquoten vielerorts stabil gehalten werden können. Und dass sie in kleinen Städten mit kleinen Gesellschaften, die nicht mal 1.000 Wohnungen haben, deutlich höher ist und deutlich höher heißt in dem Fall eben auch 15, 20, sogar 30 Prozent Leerstand.

Ab 15 Prozent Leerstand wird's kritisch, sagen Sie.

Das hat schon 1995 eine Expertenkommission so festgelegt, die damals am Altschuldenhilfegesetz mitgewirkt hat. Man hat anhand von Kennzahlen ermittelt, dass ein struktureller Leerstand von dauerhaft über 15 Prozent, das Unternehmen in seiner einer Investitionsbefähigung und Hausbewirtschaftung so weit einschränkt und sich die Liquidität so verzehrt, dass man keine ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Bestände mehr durchführen kann.

Für den Laien erklärt: Da setzt sich unter Umständen eine Spirale in Gang. Welche Entwicklungen können sich dann einstellen?

Die Kaltmiete der Unternehmen ist ja ihre einzige Refinanzierungsquelle. Aus einem Euro Mieteinnahmen verbleiben ganze 5 Cent und daraus müssen dann alle Investitionen bestritten werden, die für eine Bewirtschaftung von Wohnraum notwendig sind. Wir haben in Sachsen-Anhalt eine Durchschnittsmiete von 5,20 Euro nettokalt. Davon gehen die Erlösschmälerung ab, denn wenn die Wohnung leer steht, habe ich dafür keine Einnahme.

Und das wiederum heißt, dass ich natürlich mit fünf Euro die vielfältigen Investitionen in Klimaschutz, Energieeffizienz und Barrierefreiheit, die ich eigentlich leisten müsste, nicht mehr leisten kann. Das war schon früher nur sehr eingeschränkt möglich und kann es erst recht nicht bei Baukostensteigerungen von 30, 40 und 50 Prozent funktionieren. Hinzu kommt aktuell eine außerordentlich hohe Belastung durch die explosionsartig gestiegenen Kosten für Haushaltsenergie.

Das heißt, die Wohnungen altern. Der Zustand wird nicht besser: Was bedeutet das?

Auch das haben wir ja statistisch erfasst und den Gebäudezustand der Objekte vor zwei Jahren betrachtet und die Investitionen, die man für einen zeitgemäßen, vermietbaren Zustand benötigt, ermittelt. Die Wohnungspolitik und Bund und Land kennen diese Entwicklung. In den 90er-Jahren wurden zwar große Teile des DDR-Sanierungsstaus durch umfassende Investitionen aufgelöst, die jetzt aber auch schon wieder 20 oder 25 Jahre her sind. Wir müssen heute maßgeblich auch in den Wohnungen sanieren. Wir müssen den energetischen Zustand verbessern und sollen am Ende ja auch die Regelungen des Klimaschutzgesetzes einhalten.

Wenn die Wohnungen in so einem Zustand sind, wie sie ihn hier auf Ihren Fotos erfasst haben, dann bleiben wahrscheinlich auch die Mieter eher weg. Wenn wir in die Stadt Seeland schauen. Die Städte Seeland und Aschersleben haben vor zwei Jahren die Notbremse gezogen und die Wohnungen der Vorharzer Heimstätte verkauft. Wie schauen Sie auf solche Entwicklungen?

Mit einer gewissen Traurigkeit. Auch die Vorharzer Heimstätte GmbH war unser Verbandsmitglied, ist jetzt in Liquidation. Die Gemeinde Seeland muss heute dann leider ohne kommunalen Einfluss auf die Wohnraumversorgung auskommen, weil die wirtschaftlichen Nöte so groß waren, dass man sie aus eigener Kraft nicht lösen konnte. Es gab auch keine Bereitschaft der finanzierenden Banken, das zu tun. Und insofern ist das dann der bittere Gang im Wirtschaftskreislauf.

Die Wohnung und das Wohnen sind nicht allein soziales Gut, sondern immer auch ein Wirtschaftsgut. Und auch eine kommunale GmbH muss in diesem Wirtschaftskreislauf funktionieren, auch wenn sie das eben mit einer stark schrumpfenden, stark alternden Gesellschaft kaum mehr leisten kann.

Jens Zillmann | Verband der Wohnungswirtschaft

Denn das wird oft unterschätzt: die Wohnung und das Wohnen sind nicht allein soziales Gut, sondern immer auch ein Wirtschaftsgut. Und auch eine kommunale GmbH muss in diesem Wirtschaftskreislauf funktionieren, auch wenn sie das eben mit einer stark schrumpfenden, stark alternden Gesellschaft kaum mehr leisten kann. Da muss die Wohnungspolitik drauf reagieren, wie das ja schon im Stadtumbauprogramm 2002 – 2012 mit Stadtentwicklungs- und Unternehmenskonzepten umgesetzt wurde. In Kombination von Rückbau nicht mehr benötigter Wohnungen und der Aufwertung von Beständen mit Perspektive.

Was ist der gravierendste Unterschied zwischen einem privaten Wohnungsunternehmen, einem privaten Vermieter und einer kommunalen Wohnungsgesellschaft?

Der Versorgungsauftrag der kommunalen Gesellschaften ist, breite Schichten der Bevölkerung sozial verantwortlich mit Wohnraum zu versorgen. Ich kenne keine Vermieter-Gruppe oder keine Vermieterorganisation, außer den Wohnungsgenossenschaften, die sich so stark auch mit dem Leben und mit dem Wohnen der Menschen außerhalb ihrer Wohnung beschäftigt. Wir haben Begegnungsstätten, wir kümmern uns um die Senioren. Wir haben soziales Miteinander organisiert und gestalten die Integration in den Quartieren. Die Flüchtlingswellen 2015 und 2022 haben im Schwerpunkt wir bewältigt.

Wir wollen die Städte in unserem Land lebenswert und zukunftsfähig gestalten.

Jens Zillmann | Verband der Wohnungswirtschaft

Zudem gibt's Wohnungsgesellschaften, die eigene Kindergärten betreiben, Spielplätze errichten und sogar Hospize betreiben. Wir haben zudem keine Gewinnerzielungsabsichten. Jeder erwirtschaftete Euro wird umgehend in die Bestände investiert, zum Wohle unserer Mieter, aber eben auch zum Wohle unserer kommunalen Gesellschafter, der Städte und Gemeinden, denn ein attraktives Wohnumfeld und lebendige Quartiere sind das Ziel jeder Investition. Wir wollen die Städte in unserem Land lebenswert und zukunftsfähig gestalten.

Was brauchen die Wohnungsgesellschaften im ländlichen Raum, damit eben der gesellschaftliche Auftrag, soziales Wohnen zu gestalten, damit sie dem auch nachkommen können?

Verlässlichkeit und Planbarkeit in der Wohnungsbau- und Städtebauförderung, die wir im Moment nicht haben. Die Finanzausstattung und inhaltliche Ausrichtung der Förderprogramme entsprechen nicht ansatzweise den wirklichen Bedarfen. Allein im letzten Jahr hat die Bundesregierung die KfW – Förderprogramme vier Mal geändert und dabei die Parameter für uns ständig verschlechtert. Das ist kein Umfeld, in dem man planen und langfristig handeln kann.

Was braucht es konkret?

Ostdeutsche Wohnungsunternehmen im ländlichen Raum müssen stärker wahrgenommen und unterstützt werden. Die einseitige Ausrichtung der Bundespolitik auf den Neubau von 400.000 Wohnungen ist falsch und weltfremd. Man setzt die Anreize einseitig in eine Richtung zur Entlastung angespannter Wohnungsmärkte in überwiegend westdeutschen Metropolen, von denen wir jedoch nichts haben.

In Sachsen-Anhalt wünschen wir uns neben einer besseren Finanzausstattung, dass sich vor allem Prozesse verschlanken. Sie müssen weniger kompliziert und vor allem digitalisiert sein. Wir brauchen Verlässlichkeit und nicht alle zwei Jahre die Beliebigkeit eines Doppelhaushalts. Sondern hier brauchen wir langfristige, verbindliche Rahmenbedingungen und eine angemessene Finanzausstattung. Dann wird es auch für viele Kollegen einfacher, ihre Projekte umzusetzen.

Sie fordern ein neues Stadtumbauprogramm. Warum?

Weil nur so eine Bewältigung der enormen Herausforderungen in der Wohnungswirtschaft möglich ist. Ich denke, das muss dann in Einheit von Rückbau und Aufwertung erfolgen. Unstrittig ist, dass wir 30.000 leerstehende Wohnungen haben und unstrittig ist, dass wir weitere 170.000 Menschen bis zum Jahr 2030 verlieren werden. Das wird dazu führen, dass der Leerstand sich nicht auf natürlichem Wege abbauen lässt. Für die so genannte zweite Sanierungswelle, die energetische Sanierung von Beständen und Bewältigung des demografischen Wandels werden zirka 8,5 Milliarden Euro Investitionen nötig sein. Mittel, die wir aus eigener Kraft nicht aufbringen können und daher durch Fördermittel flankiert werden müssen. Wenn die Politik fordert, dann muss sie auch fördern!

Die Fragen stellte Tom Gräbe.

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MDR (Tom Gräbe)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Januar 2023 | 17:00 Uhr

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