Frau umarmt Mädchen 3 min
Im Video: Rund 400 Menschen betreut die Stiftung Schloss Hoym. Sie haben häufig geistige und mehrfache Behinderung. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Kürzungen drohen Eingliederungshilfe unter Druck: Warum Träger in Sachsen-Anhalt Alarm schlagen

26. April 2025, 05:00 Uhr

In Sachsen-Anhalt erhalten rund 30.000 Menschen mit Behinderungen Unterstützung durch die sogenannte Eingliederungshilfe. Doch um die Ausgestaltung der Hilfen ist ein Streit entbrannt. Träger von Einrichtungen fühlen sich unter Druck gesetzt und befürchten Einschnitte – trotz steigender Landesmittel. Ein Blick in den Alltag in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung.

Tom Gräbe
Bildrechte: MDR/Fabian Frenzel

Vormittags steht Wäsche sortieren auf dem Plan – Alltag in einer Wohngruppe des Schlosses Hoym, das von der gleichnamigen Stiftung betrieben wird. Die Bewohnerinnen und Bewohner hier brauchen Unterstützung bei alltäglichen Dingen. Betreuerin Christin Meyer begleitet sie dabei.

Die Menschen hier leiden unter "frühkindlichem Hirnschaden, Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie. Es ist also eine sehr betreuungsintensive Wohngruppe", sagt sie. Die Einrichtung betreut rund 400 Menschen – zum Teil rund um die Uhr. Rund 400 Mitarbeiter zählt die Stiftung. Ziel ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen: so viel Eigenständigkeit wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig.

Eine blonde Frau steht in einer Küche.
Christin Meyer begleitet die Bewohner durch den Alltag. Bildrechte: MDR/ Tom Gräbe

Stabilität als Grundpfeiler

Routinen sind essenziell. "Wenn sie hier keinen strukturierten Alltag haben, dann eskalieren die Bewohner. Denn sobald sie irgendwie Veränderungen haben, haben sie stark zu tun", so Meyer. Sicherheit steht an erster Stelle: "Hier sind die Messer verschlossen, Gabeln, alles ist hier verschlossen, weil wir eben auch Bewohner haben, die mal ein Messer verschwinden lassen." Bewohner, die zu selbstverletzendem Verhalten neigen. Das Netz an Betreuung ist engmaschig, Bindung ist wichtig. Und eine enge Beziehung. 

Plaste-Geschirr steht auf einem Tablet.
Messer und Gabeln sind weggeschlossen. Geschirr ist häufig aus Plastik. Bildrechte: MDR/ Tom Gräbe

Proteste gegen neue Rechtsverordnung

Die Sorge der Einrichtungen: Das Land hat den bisherigen Rahmenvertrag für die Eingliederungshilfen vor einiger Zeit gekündigt – neue Konditionen werden aktuell verhandelt. Ein Ergebnis gibt es noch nicht. Zwischenzeitlich hat das Land eine Rechtsverordnung erlasen. Und die sorgt für Unmut. Wer die nicht akzeptiere, bekommt Lohnsteigerungen nicht ausgeglichen, erklärt die Leitung der Einrichtung.

Hans-Michael Strube, Vorstand der Schloss-Hoym-Stiftung, fühlt sich regelrecht erpresst. "Es ist Verhandeln mit dem Messer an der Kehle. Für das Schloss Holm bedeutet das aktuell Verluste. Jetzt müssen wir gucken, wie lange wir das durchhalten."

Er habe das Gefühl, das Sozialministerium, wolle nicht wirklich verhandeln, sondern den Trägern seinen Willen aufzuzwingen. "Das ist ganz, ganz schade. Das hat mit Sozial nichts mehr zu tun", kritisiert Strube.

Ministerium betont Teilhabe und Reformen

Das Sozialministerium betont hingegen, Ziel sei es, Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion zu stärken. Leistungserbringer seien gefordert, effizientere Konzepte zu entwickeln und sogenannte Komplexleistungen schrittweise zu reduzieren. Diese beinhalten gebündelte Hilfen – Wohnen, Betreuung und Pflege, wie sie im Schloss Holm angeboten werden.

Ein Mann mit Brille sitzt in einem Büro
Stiftungsgeschäftsführer René Strutzberg fürchtet letzten Endes um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Bildrechte: MDR/ Tom Gräbe

Stiftungsgeschäftsführer René Strutzberg warnt vor weitreichenden Folgen, wenn Betreuungsangebote reduziert würden: Schlimmstenfalls könne das dazu führen, dass Bewohner in den Maßregelvollzug gingen. Was letztendlich eine nur eine Kostenverlagerung für das Land bedeuten würde.

Unsicherheit bleibt

Die Verhandlungen über einen neuen Rahmenvertrag laufen noch – doch nicht nur in Hoym wächst die Unsicherheit.

MDR (Tom Gräbe, Oliver Leiste)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. April 2025 | 19:00 Uhr

7 Kommentare

Shantuma vor 2 Wochen

@Ralf G:
Es ist richtig, Sonderbehandlungen sind numal teurer, das kennen wir alle aus z.B. der Medizin, oder auch wenn wir Sonderausstattungen haben wollen, oder Sonderwünsche äußern.

Ob der Mehrwert dann wirklich den Kosten entspricht ist meist fraglich. Gerade wenn man wie hier noch einen zusätzlichen Aufwand hat. Und dafür entsprechendes Fachpersonal einstellen muss.

Am Ende muss man aber klar sagen, wenn die Kasse leer ist, dann kann man eben nicht alles finanzieren.
Und ich glaube nicht daran, dass wir eine Generation von Politikern haben, die so demütig und frei sind, um dieses System von Grunde aus zu kippen. Denn zuviele Freunde, Bekannte und auch der eigene Ruf sind von diesem System abhängig.
D.h. wir fahren dieses System erst an die Wand bevor sich etwas gravierend ändert.
Das ist leider so.

KarlStuelpner vor 2 Wochen

Der Staat sollte sich nicht in alles einmischen.

Hier werden familiäre Angelegenheiten verstaatlicht.
Gibt natürlich Fördermittel und schöne Posten.

Twisted vor 2 Wochen

Der Politik sollte klar sein, dass man auch mit noch so tollen Tricks im Bereich der Eingliederungshilfe kein Geld sparen kann, weil die Hilfe in der Regel durch Personen zu leisten ist und auch deren Gehälter steigen. Hier wird viel Geld in die Verwaltung und Kategorisierung von Menschen gesteckt, dass hinterhe rbei ihrer Betreuung fehlt.

Mehr aus Salzlandkreis, Magdeburg, Börde und Harz

Mehr aus Sachsen-Anhalt

Szene aus Livestream MDR-Fernsehen 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK