Verkauf kommunaler Wohnungen Was passiert, wenn Kommunen ihre Wohnungen verkaufen

29. Januar 2023, 08:26 Uhr

Bevölkerungsrückgang, Leerstand, Sanierungsstau: All das sind Herausforderungen für kommunale Wohnungsgesellschaften. Wenn sich wirtschaftliche Probleme nicht lösen lassen, bleibt ihnen mitunter nur der Verkauf. Was passieren kann, wenn kommunale Wohnungen privatisiert werden. Ein Beispiel aus der Stadt Seeland.

Tom Gräbe
Bildrechte: MDR/Fabian Frenzel

Mieter werben Mieter. Für 150 Euro in bar. Das steht auf einem Zettel an einer Hauseingangstür eines Mehrfamilienhauses in Nachterstedt. Nachbarn könne man sich aussuchen. "Powered by Accentro", steht ganz unten auf dem Zettel. Accentro ist ein börsennotiertes Immobilienunternehmen.

Wohnraum für die neuen Wunschnachbarn scheint es reichlich zu geben. Klingelschilder ohne Namen, leere Fenster ohne Gardinen – all das sieht man hier nicht nur einmal. Die Häuser sind in die Jahre gekommen. Angegraute Fassaden, Nachwende-Dämmungen in Pastelltönen. Drinnen: mitunter DDR-Treppenhaus-Chic mit Wandfarbe oder neueren Tapeten. Offensichtlich immer mal wieder renoviert. Einfacheres Wohnen ist das hier. Der Vermieter war jahrzehntelang die Vorharzer Heimstätte. Eine kleine, kommunale Wohnungsgesellschaft. Eine Gesellschaft, bei der das Geld nie locker saß. Und das ist den Häusern auch anzusehen.

Umstellung für Mieter in Nachterstedt

In einem der Gebäude wohnt auch Lolita Falk. Sie und ihre Nachbarn haben seit 2021 einen privaten Vermieter. "Die haben Versprechungen gemacht, sind hierher und haben die Leute durcheinander gebracht", sagt sie. "Die Versprechungen wurden nicht eingehalten, sprich: Modernisierung." Nichts sei besser geworden, sagt sie. Mieter würden ausziehen. Als ihre Therme nicht funktionierte, hätte sie eine Zeit lang keinen Ansprechpartner gefunden. Lolita Falk fühlt sich allein gelassen.

Nachterstedt ist ein Dorf. Man kennt sich. Auch die Mitarbeiter der alten Wohnungsgesellschaft. Hausmeister, Handwerker, Verwaltung. Der neue Eigentümer der Häuser hat offensichtlich umstrukturiert. Sprechzeiten gibt es: weiterhin im Büro im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Vorharzer Heimstätte. Vor der Tür steht noch ein Auto mit der Aufschrift der alten Wohnungsgesellschaft.

Vorharzer Heimstätte verkaufte Immobilien 2021

Die kommunale Gesellschaft gehörte den Städten Seeland und Aschersleben. Die Vorharzer Heimstätte, hat ihre Immobilien 2021 verkauft. 677 Wohnungen in Frose, Hoym, Nachterstedt und Neu Königsaue. Dazu einige Gewerbeeinheiten. Anwohner waren damals: skeptisch.

Das waren die Gründe für den Verkauf

Doch für den Verkauf gab es Gründe. Die Städte Seeland und Aschersleben haben die Reißleine gezogen. Weit über 25 Prozent Leerstand, mindestens sechs Millionen Euro Sanierungsstau, dazu Schulden. Eine Spirale.

"Mit den wenigen Investitionsmitteln, die uns zur Verfügung standen, konnten wir den Wohnungsbestand nicht grundlegend sanieren", sagt Seelands Bürgermeisterin Heidrun Meyer. Wegen des Sanierungsstaus seien Mieter in modernere, sanierte Wohnungen privater Vermieter gewechselt. Dazu kommt der Bevölkerungsrückgang. Die Folge: Leerstand. "Dieser Zustand hielt über mehrere Jahre an und eine Verbesserung war nicht in Sicht", so Heidrun Meyer. Wegen der Kredite hatte die Vorharzer Heimstätte keine Gelder für Investitionen. Für die Gesellschaft gab es Rettungsversuche.

Später haben die Städte Seeland und Aschersleben als Gesellschafter Alternativen gesucht. Zusammen mit der Bank. Dann fand sich ein Investor. Die Entscheidung, die Wohnungen zu privatisieren, habe man sich nicht leicht gemacht. Schließlich haben kommunale Vermieter auch einen gesellschaftlichen Auftrag: bezahlbaren Wohnraum zu bieten. "Die ursprüngliche Idee, den sozialen Wohnungsbau im ländlichen Bereich durch kommunale Träger zu steuern, wurde immer schwerer", stellt Heidrun Meyer fest. Finanzieller Spielraum habe gefehlt. "So mussten die vorhandenen Mittel für Kitas, Schulen, Infrastruktur, etc. verteilt werden. Dies hatte Priorität und nicht die Betreuung von über 600 Wohnungseinheiten."

Leerstand kostet

Ab 15 Prozent dauerhaftem Leerstand würden sich Wohnungen nicht mehr ordnungsgemäß bewirtschaften lassen. Stellt Jens Zillmann fest. Er ist Direktor des Verbands der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt, der Interessenvertretung der kommunalen Wohnungsunternehmen. 81 Gesellschaften repräsentiert der Verband. 15 Prozent Leerstand, diese Zahl habe eine Expertenkommission festgesetzt. Das Problem: fehlen die Mieteinnahmen, kann das Unternehmen nicht mehr investieren. Leerstand kostet. "Die Kaltmiete der Unternehmen ist ja ihre eigene Refinanzierungsquelle." Davon müssten alle Kosten für die Bewirtschaftung des Wohnraumes bestritten werden. Leere Wohnung heißt: keine Einnahme.

Die Vorharzer Heimstätte war auch im Mitglied im Verband. Jens Zillmann hat den Verkauf verfolgt. Die Stadt Seeland müsse jetzt ohne kommunalen Einfluss auf die Wohnraumversorgung auskommen, sagt er. "Denn das wird oft unterschätzt, dass eben die Wohnung und das Wohnen nicht nur soziales Gut sind. Was sie ohne Frage sind. Aber sie sind auch ein Wirtschaftsgut."

Aber: Auch eine kommunale Wohnungsgesellschaft müsse im Wirtschaftskreis funktionieren, sagt Jens Zillmann. "Da muss man darauf reagieren, wie man das ja schon mal gemacht haben mit Stadtentwicklungskonzepten, mit Schrumpfungs-Konzepten in einer Art von Aufwertung von Bestand."

Kommunale Wohnungsgesellschaften stehen vor Herausforderungen

Dazu kommen noch die Herausforderungen der Zeit. Energiekrise, Baukostensteigerungen. Vielerorts der demographische Wandel. Nach einer Umfrage des Bundesverbands der Wohnungswirtschaft, an der 481 kommunale Vermieter teilgenommen haben, plant ein Viertel der Gesellschaften keinen Neubau. Auch bei Modernisierungen wird gespart.

Was kommunale Wohnungsunternehmen leisten

Letztlich geht es um Daseinsfürsorge. Eigene Wohnungsgesellschaften sind für Städte und Gemeinden auch ein Instrument, Städtebau zu betreiben. Die Stadtpolitik, die Gemeinschaft, entscheidet letztlich mit über Bauvorhaben, die Bewirtschaftung von Wohnungen. Bernward Küper, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt, sagt: "Eine Kommune kann damit tatsächlich also am Wohnungsmarkt mit dazu beitragen, Mieten, Mietniveau zu regulieren."

Wohnungen zur Verfügung stellen, wenn der Markt für private Vermieter nicht interessant ist – oder, im Gegenteil, angespannt – das ist auch Aufgabe der kommunalen Wohnungsgesellschaften. Solche Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand zu geben, dürfte die Ultima Ratio sein – aber, die Wohnungsgesellschaft in der Stadt Seeland ist kein Einzelfall. In Dessau wird zum Beispiel gerade über den Verkauf kommunaler Wohnungen diskutiert.

Wenn kommunale Wohnungen privatisiert werden

Als die Immobilien der Wohnungsgesellschaft der Vorharzer Heimstätte in der Stadt Seeland im Mai 2021 verkauft wurden, waren die Städte Seeland und Aschersleben als Eigentümer bemüht, einen verantwortungsbewussten Käufer zu finden. In der Pressemitteilung zum Verkauf hieß es damals: "Die Käuferin ist eine eigentümergeführte Immobiliengruppe (...) Sie hat in den vergangenen Jahren schon mehrfach Immobilien aus Beständen von Ländern, Kommunen und Genossenschaften erworben und weiterentwickelt. Im Rahmen des Angebotes hat (…der Käufer…, Anmd. d. Redaktion) mehrere Referenzschreiben von Bürgermeistern und Geschäftsführern beigefügt. Diese wurden vom Geschäftsführer der Gesellschaft in persönlichen Telefonaten überprüft.

Wenn eine große Unternehmensgruppe einsteigt

Käuferin der Immobilien der Vorharzer Heimstätte war eine private Immobilienfirma. Die Vermietung erfolgt über die "Seeländer Wohnungsgesellschaft mbH". Mittlerweile besitzt Accentro einen Mehrheitsanteil an dieser Gesellschaft. Das teilte das Unternehmen auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit. Zum Geschäftsmodell der börsennotierten Unternehmensgruppe gehört die Privatisierung von Wohnraum. Das Unternehmen plane nach eigenen Angaben auch langfristig und saniere Wohnungen des Bestandes sukzessive, um diese dem Mietmarkt zur Verfügung zu stellen. Im Sommer vergangenen Jahres hätte Accentro den Bestand übernommen. "Allerdings konnten wir seit Übernahme der Wohnungen bereits 72 Wohnungen mit insgesamt 3.294,34 Quadratmeter vermieten", schreibt das Unternehmen weiter. Hausmeisterservice und Büro gebe es vor Ort.

"Generell ist es uns ein Bedürfnis, wertvollen und dennoch erschwinglichen Wohnraum zu schaffen und langfristig zur Verfügung zu stellen", schreibt das Unternehmen.

Es gibt viel zu tun: Sanierungsbedarf bleibt

Was bleibt, ist der Sanierungsbedarf. Der ist groß. Ihn abzuarbeiten, dürfte dauern. Eine andere Straße, ein anderes Gebäude in Nachterstedt. Ebenfalls eine Immobilie, die von der Seeländer Wohnungsgesellschaft vermietet wird. Im Keller des Mehrfamilienhauses, in dem Andrea Hammermann wohnt: ein notdürftig verschlossener Abfluss. Die Mieter haben selbst einen Deckel gebaut. Zeitweise hätte es den Abfluss hochgedrückt. Mittlerweile wurde das Problem offenbar mieterseitig behoben. Der Keller selbst allerdings, ist feucht. Andrea Hammerman wünscht sich: "Dass man die Keller vielleicht auch nutzen kann. Dass ich auch etwas reinstellen kann, was denn nicht nach einem zwei, drei Monaten schimmelt." Sonst bräuchte es keinen Keller, sagt sie.

Auch hier im Flur: Fliesen und eine Tür aus einer anderen Zeit. Der Werbezettel an einem der Hauseingänge, der mit dem Bargeldversprechen für erfolgreiche Mieter-Anwerbung, zeigt letztlich Möglichkeiten. Wegen des Leerstandes können sie sich hier ihre Nachbarn quasi aussuchen. Ihren Vermieter aber nicht. Sie wohnen jetzt nicht mehr bei einer kommunalen Wohnungsgesellschaft, sondern bei einem privaten Eigentümer. Ob die private Gesellschaft die Herausforderungen bewältigen kann, vor der die kommunale Wohnungsgesellschaft auch stand, wird sich zeigen.

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MDR (Tom Gräbe)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Januar 2023 | 17:00 Uhr

5 Kommentare

harzer am 29.01.2023

Ich hatte in Nachterstedt auch mehrere Häuser zu bewirtschaften über meinen
Arbeitgeber Deutsche Annington jetzt Vonovia, sie wurden alle verkauft ,da die Kosten zu hoch waren, sowie Leerstand! Das kann sich keine WG. leisten.

kleiner.klaus77 am 29.01.2023

Kommunale Wohnungen sollten als Standortvorteil gesehen werden, denn was soll ich nach Sachsen-Anhalt zurückziehen, wenn ich nur eine Wohnung bei einem unsozialem Vermieter bekomme?!

ElBuffo am 28.01.2023

Und diese Verwaltung ist nach dem Verkauf der Wohnungen weg? Diese Vergaberichtlinien lassen sich leicht umgehen, wenn es sich hier um einen funktionierenden Markt handelt. Muss wohl so sein, wenn noch andere Anbieter vorhanden sind und sogar an diese verkauft werden kann.
Bleibt also die Frage, warum es dieses kommunale Unternehmen nicht hinbekommen hat, sich von Leerstand zu verabschieden und der Rest ordentlich zu modernisieren.

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