Trans* sein "Papa, du siehst aus wie ein Mädchen" – Vom Leben im falschen Geschlecht

26. September 2022, 13:24 Uhr

Zum Standesamt gehen und Namen und Geschlecht offiziell ändern – das ist in Deutschland nicht so einfach möglich. Menschen, die sich nicht mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren, stellt das im Alltag oft vor große Probleme. Die 41-jährige Melanie setzte alles daran, auf dem Papier und körperlich als Frau anerkannt zu werden. Ihr Weg führte sie dabei auch nach Magdeburg.

Michaela Reith
Bildrechte: MDR/Michaela Reith

Ein lauer Herbsttag im Jahr 2021. Melanie sitzt im Garten ihrer Nachbarin Lisa, die ihr die Fingernägel in einem knallroten Farbton lackiert. "Willkommen im Nagelstudio", scherzen die beiden. So ausgelassen wie heute war Melanie in ihrem früheren Leben selten. Melanie ist trans*. Das heißt, sie identifiziert sich nicht mit ihrem angeborenen Geschlecht. Sie wurde als Junge großgezogen. Für Melanie ist die Sache aber klar: Sie war schon immer weiblich.

Wenn Melanie von ihrer Kindheit in den 1980er Jahren erzählt, dann mit einer Mischung aus Trotz und Trauer. Weil sie lieber mit Puppen und Pferdchen spielte, eckte sie bei den Kindern aus ihrer Grundschule schnell an. Während der Pubertät litt sie schließlich immer mehr unter ihrem Körper.

Ich habe mich im Spiegel angeguckt: Irgendwie ist da unten was zu viel, was da oben fehlt.

Melanie, trans*

Gerne hätte sie sich auch ihrem direkten Umfeld anvertraut, doch sie wusste nicht wie. "Machen wir uns nichts vor: Die Zeit zur Wendezeit war damals bestialisch, wo hätte man öffentlich sagen können: 'Ich fühle mich voll als Mädchen. Ich will ein Mädchen sein.'?"

Vom Bruder zur Schwester

Nach außen lebte sie weiterhin als Junge, später als Mann. Sie arbeitete als Anlagenfahrer in einem mittelständischen Unternehmen, wurde Vater von zwei Kindern. Erst mit 38 Jahren fand sie den Mut, sich vor Familie, Freundeskreis und Arbeit als Frau zu outen. Für sie war ihr Coming-out ein Befreiungsschlag. Nicht so für einen Teil ihrer Familie.

"Mein Bruder war am Anfang schockiert, weil er sich nichts darunter vorstellen konnte. Der hat dann zu meiner Schwägerin gesagt: 'Jetzt nimmt mir eine höhere Kraft meinen Bruder weg.'" Auch ihre Kinder bemerkten die langsame Veränderung ihres Papas. Melanie fing an, neue Frisuren auszuprobieren. Und da habe dann irgendwann ihre Tochter gesagt: "Papa, du siehst aus wie ein Mädchen."

"Ich bin dankbar, dass das problemlos über die Bühne ging. Meine Tochter hyped das regelrecht, die findet das toll. Bei meinem Sohn hat es ein Stück gedauert, aber das hat sich auch wieder völlig normalisiert", erzählt Melanie. Mittlerweile finde auch Melanies Bruder gut, eine Schwester zu haben. "Wenn ich jetzt irgendwo bin, dann ist jedes zweite Wort 'meine Schwester', 'meine Schwester'. Das ist wirklich top."

Jeder Tag ist ein Outing

Melanie musste lange warten bis sie Ihren Namen und Ihr Geschlecht offiziell ändern konnte.
Melanie musste lange warten bis sie ihren Namen und ihr Geschlecht offiziell ändern konnte. Bildrechte: MDR/Michaela Reith

Für Melanie ist jeder Tag ein Outing. Denn solange sie gesetzlich noch nicht als Frau anerkannt wird, muss sie etwa bei ihrer Arbeit als Anlagenfahrerin oder in öffentlichen Gebäuden in die Männerumkleide und auf die Männertoilette gehen. Wer wie Melanie aktuell den eigenen Namen und das Geschlecht auch auf dem Papier ändern will, braucht zwei unabhängige Gutachten. Erst wenn beide Gutachten grünes Licht geben, bewilligt das Gericht die Änderung von Namen und Geschlecht. Demzugrunde liegt das Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980.

Wer bestimmt unser Geschlecht?

Das Transsexuellengesetz besagt unter anderem, dass Menschen, die sich als trans* outen, ihr Geschlecht aktuell nicht selbst bestimmen können. Laut Plänen der Ampel-Koalition soll das Transsexuellengesetz 2023 dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz weichen. Bislang liegt noch kein Gesetzesentwurf vor, aber es gibt Eckpunkte zur geplanten Änderung. Unter anderem:
– Volljährige Personen können ihre Vornamen und ihren Geschlechtseintrag durch Erklärung mit Eigenversicherung veranlassen.
– Bei Kindern unter 14 können die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen.
–Jugendliche ab 14 dürfen das selbst – allerdings nur mit Einverständnis der Eltern. Bei innerfamiliären Konflikten, kann das Familiengericht eingeschaltet werden.

Geschlechtsangleichende Operation

Melanie möchte nicht nur auf dem Papier, sondern auch körperlich eine Frau sein. Dazu hat sie eine geschlechtsangleichende Operation vornehmen lassen. Laut Bundesverband Trans* gehen Schätzungen von bis zu einem Prozent von in Deutschland lebenden trans* Personen aus. Nicht jede trans* Frau und jeder trans* Mann entschließt sich zu einer Geschlechtsangleichung.

In Mitteldeutschland ist das Universitätsklinikum Magdeburg eine von zwei Kliniken, die die komplexen geschlechtsangleichenden Operationen durchführt. "Das machen wirklich wenige, weil es eine aufwendige Operation ist. Nicht nur die Operation selber, sondern die Vorbereitung dafür und auch die Nachsorge", erzählt Professor Dr. Infanger, der im Uniklinikum Magdeburg mit einem interdisziplinären Team trans* Personen operiert.

Lange Wartelisten, lebenslange Nachsorge

Die Wartelisten dafür sind ellenlang. Bis zu zwei Jahre müssen Menschen auf die Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau warten. Bei Frau zu Mann sind es sogar bis zu vier Jahre, weil das noch aufwendiger ist. Prof. Dr. Infanger versteht deshalb auch die Stimmen einiger Kritiker und Kritikerinnen nicht, die trans* Person vorwerfen, das Leben im anderen Geschlecht missbräuchlich zu verwenden. Immerhin sei es oft ein "riesiger Leidensweg" bis man sich geoutet hat, sagt der Schweizer Chirurg.

Nach der geschlechtsangleichenden OP müssen trans* Personen ein Leben lang Hormone nehmen. "Die Operation ist meist der letzte Schritt, um das auch äußerlich zu zeigen und sich auch so zu fühlen. Die Patienten sind immer extrem dankbar. Trans* Frauen etwa, die vorher ein bisschen ängstlich und nicht selbstbewusst hergekommen sind, kommen in der ersten Kontrolle geschminkt, selbstbewusst und glücklich. Das ist der Lohn des Chirurgen dafür", sagt Prof. Dr. Infanger. In fast dreißig Jahren habe er es noch nie erlebt, dass jemand seine oder ihre Transition bereut hat.

Für Melanie ist die Operation nur der nächste logische Schritt. "Das muss man sich so vorstellen: Man wird neu geboren quasi", sagt sie. Sie hofft, dass sie endlich die wird, die sie schon immer war.

exactly: Endlich Frau! 29 min
exactly: Endlich Frau! Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Welche Hürden gibt es auf dem Weg zum anderen Geschlecht? Und wer bestimmt das eigentlich – man selbst, das Umfeld oder der Staat? Wie Melanie ihre Transition bestreitet, erfahrt ihr bei Exactly.

Hinweis der Redaktion: Wir verwenden in diesem Artikel das Sternchen als Platzhalter für verschiedene Endungen nach "trans" (z.B. transgender oder transgeschlechtlich). Mit dieser Schreibweise sollen sich möglichst viele Menschen in einem Begriff wiederfinden können.

MDR (Michaela Reith, Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt die Story | 23. September 2022 | 20:45 Uhr

17 Kommentare

X AE A-99 am 27.09.2022

Leider enden die Kosten nicht nach der OP, was den geringsten Anteil ausmacht. Im Artikel selbst wird ja von lebenslanger Medikation gesprochen. Im Dokumentarfilm „What is a Woman“ wurden die Gesamtkosten von größer einer Million Dollar beziffert. Hauptkosten sind demnach die lebenslangen Medikamentengaben wie Hormonblocker, etc. Die Pharmaindustrie wird es daher freuen je mehr es trans* Personen werden.

maxi2 am 27.09.2022

Der Beitrag ist doch eigentlich eine wunderbare Erfolgsgeschichte. Da steht eine Frau zu sich selbst. Sie tut Niemanden weh damit und ist glücklich sich endlich im richtigen Körper zu fühlen. Der Leidensdruck davor war sicherlich enorm, sonst hätte sie sich nicht zur OP entschlossen. In Anbetracht der Kosten für zum Beispiel einen Alkoholentzug (um die 10000Euro für 4 Wochen Entzug, von allen anderen vorausgegangen Kosten für unsere Gesellschaft ganz zu Schweigen), sind die vermeintlich ach so hohen Krankenkassenzuschüsse doch absolut verschmerzbar. Besonders wenn wie in diesem Fall anschließende eine glückliche Frau steht, welche wieder ihren Teil für die Gesellschaft beiträgt. Also auch wenn das nicht die große Meldung aus der Weltgeschichte ist, eigentlich auch mal schön zu sehen wie ein Mensch glücklich wird und ansonsten halt leben und leben lassen.

Harka2 am 27.09.2022

Wenn man Kinder wie Kim Petras verfolgt, stellt man sich unwillkürlich die Frage, warum ein Kind erst so lange leiden muss, um dann endlich die Person zu sein, die sie schon immer war. Nur weil einige Fanatiker und engstirnige Moralapostel es sich nicht vorstellen können oder wollen, sollte man diesen Menschen keine unnötigen Hürden für ein selbstgewähltes Lebensgefühl verwehren. Transsexuelle Menschen tun niemanden weh und zwingen niemanden zu irgendwas - warum ihnen ihren freien Willen verwehren?

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