20. Oktober | Über den Hass: Ein Jahr Pegida

In der DDR waren ja die Verhältnisse angeblich von der Wiege bis zur Bahre geregelt und abhängig vom weisen Handeln der Partei- und Staatsführung, zum Wohle der Bevölkerung natürlich. Allerdings gab es durchaus Schlupflöcher und so legte ich nach meinem Abitur eine Lernpause ein und wechselte für zwei Jahre in die Produktion, konkret in die Stahlproduktion beim "VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann". Das Ziel war klar: Geld für das Studium zu verdienen.

Als Abiturient kannte ich mich zwar ein wenig aus mit Physik und Chemie, war aber vor dem Schmelzofen nur eine angelernte Hilfskraft, die offiziell "Dritter Schmelzer" genannt wurde, dafür aber ziemlich gut bezahlt wurde. Netto blieb mir unterm Strich mehr übrig, als meinen Lehrern an der Penne. Plötzlich fand ich die Diktatur des Proletariats gar nicht so schlecht. Die Kollegen am Ofen fanden es folglich auch ziemlich merkwürdig, dass ich dennoch studieren wollte, denn zumindest finanziell lohnte sich ein Studium eigentlich nur für einige Berufe. Nach zwei Jahren wechselte ich dennoch vom Stahlwerk an die Universität und als ich schließlich mein Diplom in den Händen hielt, gab es die DDR nicht mehr. Und damit änderte sich so ziemlich alles im Land, unter anderem auch die Rolle des Arbeiters.

Inzwischen ist der Begriff des Arbeiters aus der Alltagssprache nahezu verschwunden, verdrängt durch den Arbeitnehmer. Dahinter verbergen sich allerdings sehr unterschiedliche Formen des Geldverdienens, vom Minijob über einen Mindestlohn bis hin zum gut verdienenden Angestellten. Und obwohl es, ganz objektiv gesehen, den Ostdeutschen besser geht als vor 25 Jahren, so haben die sozialen Veränderungen dennoch Gewinner und Verlierer zur Folge. Und so ist es vielleicht doch kein Zufall, dass die gegenwärtigen Proteste gegen die Flüchtlinge und zur Rettung eines sogenannten "Abendlandes" besonders in Ostdeutschland viele Menschen auf die Straße bringen.

Ist der "Wutbürger" in Wirklichkeit ein "Hassbürger"?

Teilnehmer einer Demonstration des Bündnisses Patriotischer Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes (Pegida) laufen durch die Dresdner Innenstadt.
Was treibt die Menschen auf die Straße? Bildrechte: imago/Robert Michael

Der Soziologe Heinz Bude hat dem Deutschlandfunk Köln ein interessantes Interview gegeben. Er spricht von einem so genannten "Verbitterungsmilieu". Er sagt: "Das sind Leute, die nicht unbedingt arbeitslos geworden sind. Das sind in der Regel Leute, die relativ hoch gebildet sind; die sogar von sich in Anspruch nehmen, dass sie ein offenes Weltbild haben, aber von dem tiefen Gefühl geplagt sind, dass sie in ihrem Leben unter ihren Möglichkeiten geblieben sind aufgrund von Bedingungen, die sie selbst nicht haben kontrollieren können." Diese Menschen sind aus Sicht des Soziologen Bude keine "Wutbürger", denn es sei nicht Wut, sondern Hass, der diese Menschen antreibe. Das zeige sich unter anderem in den Äußerungen, die auf einschlägigen Kommentarseiten im Netz zu finden sind. Bude schätzt das Potenzial dieser "Hassbürger" auf bundesweit  etwa zehn Prozent. Wie viele von ihnen sich bei den wöchentlichen Pegida-Umzügen und den zahlreichen regionalen Ablegern wiederfinden, lässt sich nur vermuten, aber es dürften ziemlich viele sein.

Das Gefühl, unter seinen Möglichkeiten geblieben zu sein, ist in Ostdeutschland möglicherweise stärker ausgeprägt als im Westen, nämlich bei jenen, welche die radikalen Änderungen der Wende als persönliche Zurücksetzung erlebt haben. Viele Kommentare auf den MDR-Seiten zu 25 Jahren Deutscher Einheit sind ein Beleg für diese Kränkung. Und das ist übrigens auch der Unterschied zu den Montags-Demonstrationen gegen die Hartz IV-Gesetze, die im Jahr 2004 die Bundesrepublik beschäftigten. Damals war es nicht der Hass, der die Menschen auf die Straße trieb, sondern die Sorge um den sozialen Zusammenhalt im Land. Auf dem Höhepunkt der Proteste waren es immerhin 200.000 Menschen, die gegen die Einführung der neuen Sozialgesetze demonstrierten. Von solchen Zahlen ist Pegida sehr weit entfernt. In meiner Schulzeit wurden im Musikunterricht Kampflieder gesungen, eine Übung, die wenig Begeisterung in der Klasse auslöste. Eines davon hieß: "Dem Morgenrot entgegen" und mit dem Morgenrot war natürlich eine konkrete Hoffnung auf bessere Verhältnisse verbunden. Pegida hingegen strebt dem Abendland entgegen, das ist ein Ort, an dem man nicht Hoffnung schöpft, sondern Gute Nacht sagt.

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