25. September: Wozu brauchen wir eine Ostbeauftragte?

Es gibt in Deutschland viele Ausländerbeauftragte, aber nur eine Ostbeauftragte der Bundesregierung. Sieht die Ostbeauftragte vielleicht deshalb den sozialen Frieden im Osten in Gefahr. Oder stimmt etwas grundsätzlich nicht an der politischen Wahrnehmung fragt Uli Wittstock.

Es gibt Kinderschutzbeauftragte, die sich für den Schutz von Kindern einsetzen sollen. Es gibt Wolfsbeauftragte, die für den Schutz von Wölfen zuständig sind, auch für Störche, Biber oder Kraniche existiert ein Beauftragtenwesen. Merkwürdigerweise gibt es für bedrohte Feldhasen keinen Beauftragten, für bedrohte Feldhamster hingegen schon.

Eine kurze Netzrecherche zeigt also, dass die Beauftragung in der Bundesrepublik nicht ganz klaren Regeln folgt und sich in Bezug auf ihren Gegenstand als ziemlich vielfältig erweist. Wikipedia nennt für Deutschland einundsechzig Beauftragte, vom Fahrradbeauftragten bis zum "Beauftragten für das Bergmannssiedlungsvermögen bei der Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlebezirk und der Wohnungsbaugesellschaft Rheinische Braunkohle".

Die meisten dieser Beauftragten sind bestellt worden, um sich für den Schutz oder den Erhalt von bedrohten Lebewesen oder Dingen einzusetzen, mit einigen Ausnahmen wie etwa der Drogenbeauftragten, die sich nicht für, sondern gegen Drogen engagiert.

Wie zeitgemäß ist eine Ostbeauftragte?

Aber wofür ist eigentlich die Ostbeauftragte der Bundesregierung zuständig, deren vornehmstes Ziel ja eigentlich ihre Selbstabschaffung sein müsste, wenn dann dereinst die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse angeglichen sein werden? Einmal im Jahr präsentiert die Ostbeauftragte ihren Bericht zur Lage der Nation, bezogen auf jenen Teil der Republik, der je nach Sichtweise und eigenem Erleben als abgehängte Krisengegend oder aufstrebende Wirtschaftsregion wahrgenommen wird.

Tatsächlich hat sich jedoch Ostdeutschland in den letzten 26 Jahren so stark ausdifferenziert, dass es kaum möglich erscheint, die unterschiedlichen Regionen und Lebenswelten unter dem Generalbegriff "Ostdeutschland" zusammenzufassen.

Der Alltag einer alleinerziehenden Mutter, die mit dem Mindestlohn in der sogenannten freien Wirtschaft auskommen muss, ist von grundsätzlich anderen Fragen bestimmt, als der Alltag ihrer Nachbarin, die zwar ebenfalls alleinerziehende Mutter ist, aber den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber vorweisen kann.

Die Situation eines frühverrenteten Bergmanns im Mansfelder Land ist nur schwer vergleichbar mit der Perspektive eines zwanzig Jahre jüngeren Metallarbeiters, der nun nach Phasen von Erwerbslosigkeit und Leiharbeit eine deutlich schlechtere Rente erwartet. Wenn die Ostbeauftragte also ihren Job ernst nimmt, müsste sie eigentlich daran arbeiten, den Osten abzuschaffen und möglicherweise sind wir damit weiter gekommen, als die Öffentlichkeit bereit ist anzuerkennen.

Denn die sozialen Probleme, die sich in Ostdeutschland finden lassen, sind in Westdeutschland ebenfalls gegenwärtig. Welche Funktion hat also unter diesen Voraussetzungen eine Ostbeauftragte?

Diese Frage stellt sich vor allem auch deshalb, weil es in der Bundesrepublik keine Nord-, Süd-, oder Westbeauftragten gibt. Die Wahrnehmung von Ostdeutschland als einer dauerhaften sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gefahrenzone ist nicht nur ein politisches Zerrbild, sondern verstellt auch den Blick auf das wahre Problem, das nämlich längst keines mehr von Himmelsrichtungen ist, auch wenn in Ostdeutschland die soziale Schieflage besonders deutlich wird.

Was die Ostbeauftrage sein sollte

Sollte sich also die Bundesregierung nicht grundsätzlich in der Lage sehen, an diesen Problemen etwas zu ändern, dann müsste der Job der Ostbeauftragten umgewidmet werden in eine Beauftragung für soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, ein umfangreiches Aufgabenfeld mit vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Besonders viel Aufsehen erregte die Ostbeauftragte mit ihrer Warnung, dass der gesellschaftliche Frieden in Ostdeutschland in Gefahr sei, eine Aussage, die von den meisten ostdeutschen Politikern prompt zurückgewiesen wurde. Doch auch hier lohnt ein genauerer Blick.

Wikipedia kennt verschiedene Ausformungen des Begriffes "Frieden", vom "Religionsfrieden" über den "Betriebsfrieden" oder den "Schulfrieden" bis hin zum "Frieden der Geschlechter". Zu einem "gesellschaftlichen Frieden" weiß die Online-Enzyklopädie allerdings keinen Rat.

Bevor also der Verlust eines solchen Friedens beklagt wird, wäre es zunächst erst einmal ratsam, das Wesen dieses gesellschaftlichen Friedens zu bestimmen, der möglicherweise ja auch an ganz anderen Stellen bedroht sein könnte. Hier hätte eine Beauftragte für den gesellschaftlichen Frieden ein reiches Betätigungsfeld.

Interessanterweise hat die auch Linkspartei einen Ostbeauftragten, der allerdings offiziell Ost-Koordinator heißt. Diesen Job hatte bislang Roland Claus inne, Bundestagsabgeordneter aus Halle, der nun sein Amt an Susanna Karawanskij aus Leipzig weiterreicht.

Susanna Karawanskij
Ist Ost-Koordinatorin der LINKEN: Susanna Karawanskij. Bildrechte: DIE LINKE Kreisverband Nordwestsachsen

Auf die Frage, warum die Linke noch einen Ostbeauftragten brauche, antwortete Roland Claus: "Die Deutsche Einheit fand als Sieg des Westens über den Osten statt." Genau diese Sicht auf die Dinge verstellt einen gewichtigen historischen Umstand. Es war seinerzeit nämlich eine deutliche Mehrheit der Ostdeutschen, welche die rasche Einführung der D-Mark forderte.

Dies auszublenden erweckt den Eindruck, die Ostdeutschen wären nicht Subjekt, sondern Objekt der Entwicklung gewesen. Und genau diese Blickrichtung ist es, die dazu führt, dass so mancher Ostdeutsche sich auf der Verliererseite glaubt und sich nun dazu aufgerufen fühlt, Flüchtlingen das Mitgefühl zu verweigern. Ein Blick in die Kommentarspalten des MDR genügt, um für diese Denkhaltung jede Menge Belege zu finden.

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