23. August: Willkommen in der postolympischen Gesellschaft

"Üben, üben, üben, sonst kommst du nicht nach drüben", so hieß ein Spruch in der DDR. Bei den Olympischen Spielen in Rio blieben Sachsen-Anhalts Sportler allerdings weit hinter den Erwartungen zurück. Kein Grund, sich die Mauer zurückzuwünschen, meint Uli Wittstock.

Olympisch gesehen, ist Sachsen-Anhalt mit der Medaillen-Ausbeute auf Platz 51, also auf Augenhöhe mit der Elfenbeinküste und den Bahamas und liegt damit noch vor den Fidschi-Inseln, Burundi oder Grenada. Das ist für so ein kleines Bundesland eigentlich gar nicht so schlecht, möchte man meinen. Doch wenn man die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt, dann zeigt sich ein etwas anderes Bild. Zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen schafften immerhin noch 22 Sportlerinnen und Sportler die nötige Olympia-Qualifikation, 2016 hatte sich die Sachsen-Anhaltische Delegation halbiert. Nur zur Erinnerung: Einst rief Baron Pierre de Coubertin die Jugend der Welt auf, sich im sportlichen Wettkampf zu messen, aber in Regionen mit demografischem Wandel ist diese Jugend ein knappes Gut geworden. Talente, die nicht geboren werden, laufen auch keine Rekorde.

Dass zudem etwas mit der Talentfindung im Argen liegt, darüber ist viel und umfangreich debattiert worden. Je nach Blickrichtung sind mal die Schulen schuld, mal die Sportvereine, die Trainingsmethoden und natürlich fehlendes Geld oder aber der Misserfolg liegt an der falschen Wettkampfbahn, am falschen Schwimmanzug oder am falschen Wetter. Im Suchen nach Ursachen zeigen Funktionäre und Akteure jene meisterliche Höhe, die im sportlichen Wettkampf allermeist verfehlt wird. Die bundesdeutsche Bilanz sieht da um einiges besser aus, als Sachsen-Anhalts Beitrag zum Weltsport, allerdings nur bei oberflächlicher Betrachtung.

Weltspitze bei den Schützen und Waffenexporten

ARD-Hörfunkreporter Alexander Bleick verwies in seinem Kommentar auf den Umstand, dass die deutschen Athleten sich nur in Randsportarten durchsetzen konnten, hingegen bei den publikumswirksamen Disziplinen wie Leichtathletik, Schwimmen oder Radfahren der Konkurrenz nichts entgegenzusetzten hatten. Immerhin wurde die Rückkehr der deutschen Sportschützen an die Weltspitze bejubelt, vielleicht nicht verwunderlich für eine Nation, die zu den führenden Waffenexporteuren zählt.

Aber diese Olympischen Spiele zeigen aus deutscher Sicht ein tieferliegendes Problem an, das möglicherweise weniger mit dem Sport an sich zu tun hat, sondern eher mit veränderten Rahmenbedingungen. Denn es ist ja nicht so, dass das Sportinteresse der Deutschen geschwunden wäre, wie sich an den Umsätzen der Fitnessbranche zeigt, die seit Jahren steigen. Im Jahr 2015 gaben die Deutschen immerhin 4,8 Milliarden Euro für ihre persönlichen sportlichen Aktivitäten aus, im Jahr 2010 waren es noch 3,8 Milliarden Euro.

Drittliga-Fußballer vs. Olympiasieger

Aber zugleich ist Deutschland jenes Land, in dem sich per Volksentscheid die Einwohner zweimal gegen eine Olympiabewerbung aussprachen, einmal in München, einmal in Hamburg. Hätten sich die Städte für eine Fußballweltmeisterschaft beworben, wäre das Votum wohl anders ausgefallen. Die Effizienz der Fußballwertschöpfung lässt für andere Sportarten in Deutschland kaum noch Platz, weder bei der Suche nach Sponsoren, noch in der öffentlichen Wahrnehmung und so wundert es nicht, dass ein deutscher Drittliga-Fußballer mehr verdient, als ein deutscher Olympiasieger. Und da hilft auch nicht die pflichtschuldige Anmerkung, dass es bei den Olympischen Spielen nicht um Geld, sondern um sportlichen Wettkampf und um Ehre gehe. Die Olympischen Finanzströme erzählen eine andere Wahrheit.

Auch ohne Dopingdiskussion stecken die Spiele zunehmend in einer Legitimationskrise und das nicht nur in Deutschland. Das mag auch daran liegen, dass die modernen Helden nicht auf der Ringermatte oder unter dem Gewicht einer zweihundert Kilo Hantel geboren werden, sondern im Internet bei Youtube, Facebook, Snapchat oder Pinterest. Als Baron Pierre de Coubertin die modernen Olympischen Spiele ins Leben rief, wurde in den Fabriken noch hart körperlich gearbeitet, Muskelkraft war auch ein Statussymbol. Die erfolgreichsten Gewichtheber kommen inzwischen aus China, Thailand und dem Iran. Deutschland hingegen ist bei vergleichsweise aristokratischen Sportarten wie dem Reiten erfolgreich, für den Olympischen Ruhm mag man sich hierzulande nur ungern den Rücken krumm machen. Nun könnte man mit konservativer Lesart den Niedergang von klassischen Tugenden wie Fleiß, Anstrengung und Opferbereitschaft beklagen.

Sport kein Ausweg aus Armut

Und tatsächlich muss man feststellen, dass in rückständigen Regionen wie Jamaika der Leistungssport ein Ausweg aus der Armut ist, während Sachsen-Anhalt, immerhin ein Bundesland in dem jedes vierte Kind als arm gilt, Schwierigkeiten mit dem sportlichen Nachwuchs hat. Leistungssport ist hierzulande eben kein Aufstiegsversprechen mehr, was mit Blick auf die gesundheitlichen Risiken vielleicht eine ganz gute Meldung ist. Daraus aber eine Krise für Deutschland zu phantasieren, wie es ja besonders in konservativen Kreisen üblich ist, führt in die Irre, denn Deutschland ist nicht deshalb Exportweltmeister, weil hier mit besonders viel Muskelkraft gewerkelt wird, sondern weil die Herausforderungen der Moderne weniger körperliche als vielmehr geistige und soziale Fitness erfordern. Diesen Sprung in die Moderne muss die Olympische Bewegung noch vollziehen, sonst droht sie zumindest hierzulande weiter ins Abseits zu geraten.

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