29. Mai: Große Pläne – findet sich Sachsen-Anhalts Zukunft im Museum?

Es war sicherlich nicht so geplant, ist aber dann doch ein ziemlich interessantes Zusammentreffen, die Bildung der neuen Landesregierung und die Eröffnung der Ausstellung "Große Pläne – Die angewandte Moderne in Sachsen-Anhalt". Aber wo sind eigentlich die großen Pläne für die Gegenwart, fragt Uli Wittstock.

Da dem Journalismus nicht nur das Lügen unterstellt wird, sondern auch der Hang, Negatives einseitig in den Mittelpunkt zu rücken, stelle ich einen positiven Umstand an den Beginn: Ja, es ist gut und richtig, nach den endlosen Verweisen auf prähistorische Himmelscheiben und Pfahlbauten, nach der Wiederentdeckung der Ottonen, der romanischen Kirchen, der Dome und Schlösser, der Reinszenierung der Reformation mit Mitteln der Denkmalpflege und dem ganzen mittelalterlichen Budenzauber festzustellen, dass in Sachsen-Anhalt die Zeit moderner Ideen gar nicht so lange her ist, genauer gesagt gerade mal einhundert Jahre. Und es ist gut, dass dieses Ausstellungsprojekt nicht nur die bekannten Orte wie Dessau, Halle oder Magdeburg einschließt, sondern auch Quedlinburg, Merseburg, Leuna oder Elbingerode.  Das zeigt zumindest eines, dass nämlich damals auch abseits der großen Städte Platz war für ungewöhnliche Ideen.

Das Bauhaus war seinerzeit nicht unumstritten

Der Dessauer Teil der Ausstellung wird noch deutlicher mit der Überschrift "Moderne Typen, Fantasten und Erfinder", rückt also Menschen in den Mittelpunkt, die damals sicherlich als "Spinner" bezeichnet worden sind, Verrückte, die an Mondraketen bastelten, Häuser aus Stahl entwarfen oder als Naturapostel und Tempelwächter zum Vorläufer der Ökobewegung wurden. Die meisten dieser Typen waren keine Sachsen-Anhalter, sondern machten als rastlose und umtriebige Menschen eine Zeit lang Station, weil sie hier in der Region Möglichkeiten fanden, ihre Ideen zu entwickeln, zu testen oder umzusetzen.

Als das Bauhaus von deutschnationalen Kräften aus Weimar vertrieben wurde, war so mancher in der historischen Dichterstadt froh, dass die "Spinner" endlich das Weite gesucht hatten. Es war der Dessauer Bürgermeister Fritz Hesse, der dann das Bauhaus in seine Stadt holte. Doch das war seinerzeit alles andere als unumstritten. Zwar stimmten 26 Stadträte im Jahr 1925 für das Bauhaus, aber 15 auch dagegen und nur dem engagierten Einsatz einiger weniger ist es zu verdanken, dass es überhaupt zu der Ansiedlung kam. Vor einer ähnlichen Situation stand die Magdeburger Stadtverwaltung. Die hatte nämlich 1921 den Architekten Bruno Taut zum Stadtbaurat berufen, der alsbald begann, die Barockfassaden der Stadt knallbunt einzufärben, so dass nicht wenige Magdeburger das Befühl beschlich, sich in einem anhaltenden Drogenrausch zu befinden.

"Bunte Magdeburg" der 1920er - europaweit geliebt, daheim beäugt

Das "Bunte Magdeburg" machte europaweit Schlagzeilen und der russische Dichter llja Ehrenburg sah sich veranlasst, einen flotten Reisebericht zu verfassen: "Hier blicken einen statt Häuserfassaden Blutsymphonien und lila Rasereien' an. Es ist nicht nur ein einziges Haus eines Sonderlings, nein, es sind ihrer zehn, zwanzig, hundert. Zeitungskioske, die wie Kaktusse bemalt sind, verletzen das Auge. Selbst die Straßenbahn ist prächtig gemustert wie ein Drache…".

Das sind die Worte eines reisefreudigen Intellektuellen, man ahnt wie ungleich unfreundlicher wohl das Urteil der Magdeburger seinerzeit ausfiel. Dennoch oder gerade deshalb kamen Touristen in die Stadt, die sich in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem Standort für moderne Architektur und Ausstellungen entwickelte.

Magdeburg 2016: Rückbau und Abwanderung

Sollte jemand in einhundert Jahren, also im Jahr 2116 auf die Idee kommen, unsere Moderne aus dem Jahr 2016 zu präsentieren, was würde er wohl ausstellen? Die Straßentunnel aus Magdeburg? Das Finanzamt Halle oder lieber das Outletcenter Brehna? Kaum etwas von dem, das derzeit im Land entsteht, erweckt den Anspruch, auch noch in einhundert Jahren in irgendeiner Form wichtig oder bedeutsam zu sein, weder die Windparks, noch die Autobahnverlängerungen und auch nicht die Biogasanlagen. Noch schwieriger dürfte es aber für die Ausstellungsmacher der Zukunft werden, die ungewöhnlichen Menschen, also moderne Typen, Fantasten und Erfinder unserer Zeit zu porträtieren.

Solche Zeitgenossen haben in den letzten Jahrzehnten nur selten einen Grund gesehen, in Sachsen-Anhalt vorbeizuschauen, geschweige denn hier Projekte umzusetzen. Es seien dies nicht die Zeiten für hochtrabende Ideen, so hört man oft, denn die Entwicklungslinien der letzten Jahrzehnte verliefen entlang der Begriffe "Deindustrialisierung", "Rückbau"  und "Abwanderung", ein falsches Umfeld für die Entwicklung neuer Projekte.

Doch gerade hier lohnt ein Blick auf jene Zeit vor einhundert Jahren. Als in Sachsen-Anhalt die Moderne Fuß fasste, waren nämlich Rahmenbedingungen ungleich schlechter, gekennzeichnet durch Krieg, Revolution, Wirtschaftskrise und Inflation. Und dennoch oder gerade deswegen suchten damals einige engagierte Politiker nach neuen Lösungen, förderten Projekte und nahmen dabei auch die Kritik der Öffentlichkeit in Kauf. So wurde Magdeburg in den zwanziger Jahren nicht zufällig ein Zentrum für Reformschulen, und zwar durch das Wirken des Stadtschulrates Hans Löscher, der Bildungsreformer aus ganz Deutschland aufrief, ihre Ideen in Magdeburg zu verwirklichen. Sachsen-Anhalts Bildungspolitik der letzten Jahre war hingegen auf die Schließung von Standorten fokussiert.

Zukunft in Sachsen-Anhalt ist museal geworden

Stattdessen ist die Zukunft in Sachsen-Anhalt museal geworden. In der deutschen Grammatik gibt es die Zeitform Plusquamperfekt, die vollendete Vergangenheit. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn ein Vorgang tatsächlich abgeschlossen ist. Sachsen-Anhalt läuft Gefahr, den Begriff Zukunft nur noch im Plusquamperfekt zu beschreiben.

Eine aktuelle Studie der Forschungsunternehmens Prognos sieht Sachsen-Anhalt als Bundesland auf dem letzten Platz bei der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit. Der Landkreis Stendal bildet dabei bundesweit das Schlusslicht mit dem Rang 402, dicht gefolgt von Mansfeld-Südharz. Am besten positioniert sich übrigens die Landeshauptstadt Magdeburg mit dem Platz 281, das ist aber leider noch nicht einmal bundesdeutsches Mittelfeld.

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