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Bei den Dreharbeiten zur neuen MDR-Serie "Generation Grenzenlos" nimmt Lilly das Kamerateam mit in ihren Garten. Bildrechte: Max Mendez

Generation Grenzenlos?Wie auch junge Menschen weiter von Ost-West-Klischees betroffen sind

22. Oktober 2024, 16:29 Uhr

Ursprünglich kommt Lilly aus Niedersachsen. Heute lebt sie in Halle. Sie gehört zur Gen Z und damit zur ersten Generation nach der Wende, die Deutschland nie geteilt erlebt hat. Doch frei von Ost- und West-Klischees ist ihre Welt nicht. Wie blickt die 27-Jährige auf das Thema Ost-West?

Lilly hat ihre neue Wahlheimat in Halle entdeckt. Die junge Frau wurde acht Jahre nach dem Mauerfall geboren, in Lüneburg in Westdeutschland. Für ihr Biochemie-Studium kam sie in die Stadt an der Saale. Die Zeit, als Deutschland in Ost und West geteilt war, kennt sie nur aus Erzählungen. Doch auch heute, über drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, wird ihr ihre westdeutsche Herkunft gespiegelt.

Ich dachte, ich komm hier her und wenn man nicht drüber spricht, dann existiert auch die Grenze nicht.

Lilly aus Halle

"Ich habe mich nie als Westdeutsche wahrgenommen, zumindest so lange nicht, wie ich im Westen auch selber gelebt habe", erzählt die 27-Jährige. "Ich würde sagen, das erste Mal, dass ich mit dem Etikett westdeutsch konfrontiert war, war in dem Moment, als ich nach Ostdeutschland gezogen bin." Vor drei Jahren kam Lilly für ihren Master nach Halle. Mittlerweile promoviert sie am Leibniz Institut. Sie findet die Stadt toll, sagt sie, aber dieses stets präsente Ost-und-West-Thema habe sie total überrascht.

Vor drei Jahren zog Lilly für ihren Biochemie-Master nach Halle. Heute promoviert sie am Leibniz Institut. Bildrechte: Max Mendez

Immer häufiger hörte sie im privaten und beruflichen Alltag die Gretchen-Frage, woher sie eigentlich sei. Bis dahin habe sie sich nie ernsthaft Gedanken um ihren Geburtsort gemacht, sagt sie: "Ich bin naiv an die Sache gegangen und habe gedacht, es spielt keine Rolle. Und je weniger ich das thematisiere, desto kleiner wird auch die Rolle. Ich dachte, ich komme hier her und wenn man nicht drüber spricht, dann existiert auch die Grenze nicht."

Identität Westdeutsch – Gibt's den "Wessi" heute noch?

Tatsächlich identifizieren sich auch in der ersten Nachwendegeneration laut einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung nur acht Prozent der jungen Westdeutschen als "Westdeutsche" gegenüber 22 Prozent der jungen Ostdeutschen, die sich selbst als "Ostdeutsche" bezeichnen. Knapp 65 Prozent sind zudem der Meinung, dass eine Herkunft aus den neuen Bundesländern weiterhin eine Rolle im Alltag spielt (gegenüber 41 Prozent der jungen Menschen aus den westlichen Ländern).

Hier können Sie sich die aufgezeichnete Diskussion auf Instagram anschauen, in der es darum geht, ob Ost/West heutzutage überhaupt noch ein Thema ist:

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Wer gehört zu der Gen Z?Die Generation Z ist wie alle anderen Generationen nicht offiziell definiert. Mehrheitlich wird gesagt, dass Menschen dieser Generation zwischen 1995 und 2010 geboren sind. Es ist die erste Generation, die mit digitalen Medien aufgewachsen ist.

Lilly begegnen Klischees über Westdeutsche verstärkt – "wohlhabender Mensch", "gebildeter Mensch", "überheblicher Mensch" waren noch die milderen Aussagen, die sie in ihrer neuen Wahlheimat gehört hat. Ganz kalt lässt sie das nicht: "Diese Erwartungen lösen aus, dass ich besonders oft in mich reinhöre. Ich überprüfe diese Vorurteile und möchte sichergehen, dass ich denen nicht gerecht werde." Sie denkt viel darüber nach, ist besonders kritisch mit sich und ihrem Verhalten, sagt sie weiter. Auch mit ihren Eltern redet sie seitdem vermehrt über die deutsche Teilung.

Ost oder West: Wo sich der Lohn lohnt

Auch die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern der ehemaligen BRD und der ehemaligen DDR sind bis heute real. Laut Statistischem Bundesamt verdienen Menschen im Osten Deutschlands im Schnitt 824 Euro brutto im Monat weniger als Menschen im Westen Deutschlands. Demnach lässt sich auch heute noch eine imaginäre Grenze durch die Mitte Deutschlands entlang der 1989 gefallenen Mauer ziehen. "Ich verstehe die Frustration, die manche Leute daraus ziehen, wenn sie in Berufen arbeiten, wo die Arbeit in Ostdeutschland finanziell weniger anerkannt wird als im Westen", sagt Lilly über die bis heute existierenden Lohnunterschiede.

Besonders jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten in den neuen Bundesländern wenig Lohn für ihre Arbeit: Der Stundenlohn von Menschen unter 25 Jahren war im Stichmonat April 2023 in Sachsen (12,34 Euro), Sachsen-Anhalt (12,23 Euro) und Thüringen (12,31 Euro) im Schnitt geringer als der junger Menschen in Westdeutschland, wie MDR SACHSEN-ANHALT ausgewertet hat. Weniger gab es nur noch in Mecklenburg-Vorpommern mit 11,54€ Bruttostundenlohn.

Rechtsextremismus – nur ein Problem in Ostdeutschland?

Mit der Europawahl und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg war 2024 ein Superwahljahr Deutschland. Lilly war bei der Europawahl als Wahlhelferin im Einsatz. Auch auf die Wahlen in den drei ostdeutschen Bundesländer waren viele Augen gerichtet. Betrachtet man das Wahlverhalten der 18- bis 24-Jährigen, zeigt sich eine Partei als Stimmgewinner: die AfD. Im Vergleich zu 2019 bekommt sie 11 Prozentpunkte Stimmenzuwachs. Die Partei erreicht in Sachsen damit 31 Prozent der Stimmen in der Altersgruppe. In Thüringen wählten insgesamt 38 Prozent der jüngsten Wählergruppe die AfD.

"Ich habe das am eigenen Leib erfahren, wie frustrierend diese Art der Stimmauszählung für mich persönlich ist." Die AfD gilt in Sachsen und Thüringen laut Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem. Trotzdem – oder gerade deswegen – haben besonders viele junge Menschen die Partei gewählt. "Langfristig muss ich mir die Frage stellen, ob ich in einem Bundesland leben möchte, wo so extreme politische Meinungen vorherrschen", sagt Lilly mit Blick auf die Wahlergebnisse. Aber sind rechtsextreme Parteien nur ein Problem in Ostdeutschland?

Rechtsextremismus in Westdeutschland

Demokratiegefährdende Einstellungen sind in beiden Teilen Deutschlands ähnlich hoch: So stimmen laut der Studie "Im vereinten Deutschland geboren – in den Einstellungen gespalten?" der Otto-Brenner-Stiftung Ost- und Westdeutsche bei der Aussage "lieber einen starken Führer als eine parlamentarische Demokratie und Wahlen" zu wollen, fast überein. 26 Prozent der befragten Ost- sowie 23 Prozent der befragten Westdeutschen stimmten der Aussage zu.

Aber: Sieben Prozent der Ostdeutschen haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Zu diesem Ergebnis kam 2023 eine repräsentative Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig zu "Autoritären Dynamiken und der Unzufriedenheit mit der Demokratie".

Neue MDR-Serie: Generation Grenzenlos? Gen Z zwischen Ost und West

Lilly im Labor mit Kameramann Marcus Zahn bei den Dreharbeiten für die neue MDR-Serie "Generation Grenzenlos". Bildrechte: Max Mendes

"Generation Grenzenlos?" zeigt die Vorurteile und Klischees über Ost und West, mit denen das Leben der Generation Z umgehen muss. Sieben Frauen und Männer im Alter von 21 bis 28 Jahren bieten - stellvertretend für die Generation Z - einen Einblick in die Denkweise und den Alltag einer Generation. Lilly ist eine von ihnen.

Folge 1: Aufwachsen in Ost und West

Es geht um noch bestehende Klischees zwischen Ost und West. Wie sieht es mit der Identität aus? Versteht sich die Gen Z noch als Ossi oder Wessi? Ist Gen Z im Osten anders aufgewachsen als im Westen?

Folge 2 : Kohle und Karriere

Folge 3 : Politisches Denken

Wie ist die politische Stimmung in Ostdeutschland? Rechtsextremismus ist immer noch ein Thema – aber was kann man ändern? Und wie soll die Zukunft aussehen: Teilung adé?

"Mein Wunsch wäre auf jeden Fall, dass es nicht mehr nötig ist, sich abzugrenzen oder einzuordnen." In Ost und West will Lilly sich deshalb nicht einteilen. Sie wünscht sich weniger Starrsinn und stattdessen mehr menschliche Aspekte und mehr Rücksichtnahme. Sie selbst identifiziert sich, wenn überhaupt, als Europäerin.

Generation Grenzenlos? ist ab Montag (30.9) als MDR-Podcast und als Serie in der ARD-Mediathek verfügbar. Am Donnerstag (3.10) ist die Serie um 17:50 im MDR-Fernsehen zu sehen.

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MDR (Michaela Reith, Tycho Schildbach, Anna Wulffert, Cynthia Seidel)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | 03. Oktober 2024 | 17:50 Uhr

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