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Schnelles Internet wird überall benötigt – sei es zu Hause oder auf der Arbeit. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Guido Kirchner

Stockender AusbauDigitalisierung: "Wir sind in der zweiten Liga"

03. Juli 2022, 09:00 Uhr

Er will mittelständischen Unternehmen bei der digitalen Transformation helfen und geht mit Konzernen und Politik hart ins Gericht: Prof. Key Pousttchi hat in Naumburg ein Institut gegründet und ist der Meinung: Viele digitale Dinge funktionieren in Deutschland nicht, weil sich niemand tief hineinkniet.

Key Pousttchi ist genervt – diesen Eindruck machen mitunter seine Posts bei Twitter oder bei LinkedIn. Pousttchi ist Wirtschaftsinformatiker und sieht, wie die digitale Transformation in Deutschland seit 20 Jahren nicht wirklich vom Fleck kommt.

"Wir tun immer so, als wären wir nur knapp an der Champions League vorbeigeschrammt und würden dort in ein paar Jahren wieder landen. In Wirklichkeit sind wir längst in der zweiten Liga und müssen aufpassen, dass wir nicht auf einem Abstiegsplatz landen."

Wirtschaftsinformatik kann Digitalisierung

Er habe das mit der Digitalisierung von der Pike auf gelernt. "Deswegen rege ich mich darüber auf, wenn irgendwelche Leute tolle Sachen verkünden, die mit der Realität wenig zu tun haben. Das hat uns genau in die Sackgasse geführt, in der wir in Deutschland sind", sagt er im MDR SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital leben".

Pousttchi hat Ende Juni in Naumburg ein Institut gegründet, das mittelständischen Unternehmen bei der Digitalisierung helfen will. "wi-mobile Institut für digitale Transformation" heißt es – wi steht dabei für Wirtschaftsinformatik.

Geht es nach Pousttchi, ist die Wirtschaftsinformatik die beste Disziplin, die bei der Digitalisierung helfen kann. "Denn das Fach Wirtschaftsinformatik macht seit etwa 50 Jahren genau das", sagt Pousttchi. Hier werde an der Schnittstelle Technik, Wirtschaft, Mensch und Gesellschaft geforscht.

Wer ist Key Pousttchi?

Professor Key Pousttchi ist 52 Jahre alt. Er ist in Niedersachsen geboren, hat an der Universität der Bundeswehr studiert und war Offizier und vor 25 Jahren als Pressesprecher im Bosnien-Einsatz der Bundeswehr in Sarajewo. Er war Wissenschaftler an der Bundeswehr-Uni, hat an der Uni Augsburg eine Forschungsgruppe geleitet und vor 20 Jahren zu mobile Commerce, mobile Payment und mobile Business geforscht. Er hat 2009 kommissarisch den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Uni Magdeburg geleitet und hatte zuletzt bis 2020 den ersten deutschen Lehrstuhl "Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation" – einen SAP-Stiftungslehrstuhl – an der Uni Potsdam innen.

Key Pousttchis Institut in Naumburg

Sein in Naumburg gegründetes Institut hat Pousttchi aus eigenen Mittel finanziert. Nach drei Jahren soll es sich rechnen. Das Institut will mittelständischen Unternehmen bei der digitalen Transformation helfen und beraten, Weiterbildungen für "Chief Digital Officer" und andere Schulungen und Vorträge anbieten. Man wolle auch kostenlose Angebote für Schulen machen, sagt Pousttchi.

"Ich habe eigentlich meinen Lehrstuhl von der Uni Potsdam privatisiert und mache genau die gleichen Themen wie vorher, muss mich aber nicht mehr mit den Vorgängen und Restriktionen einer Universität auseinandersetzen", sagt Pousttchi.

Und Pousttchi will in Naumburg auch weiter forschen. Dazu müsse man auch einmal öffentlich auf die Pauke hauen und die Leute aus ihrer Lethargie reißen. Ansonsten finde man nicht öffentlich statt. "Ich habe aber keine Lust darauf, dass wissenschaftliche Ergebnisse in der Schublade verschimmeln." Demnächst erscheine ein Forschungspapier, das der Frage nachgehe, wie Plattform-Unternehmen wie Apple, Google, Facebook und Amazon vernünftig reguliert werden könnten. "Wir haben systematisch aufgearbeitet, wie das mit der Regulierung von Internetkonzernen funktioniert. Das kann dann mal jemand lesen in Berlin. Das tun sie aber nicht."

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Zehn Thesen zur digitalen Transformation

Mit der Politik geht Pousttchi hart ins Gericht, hat in Jan Böhmermanns Sendung "ZDF Magazin Royale" schon erklärt, warum die Breitbandinfrastruktur in Deutschland so schlecht ist. Zudem will er in Naumburg zehn Thesen zur digitalen Transformation Deutschlands aufstellen und sie an die Bundesregierung schicken.

Eine These: "Es ist ein Skandal sondergleichen, dass wir im Jahr 2022 unsere Kinder zu perfekten Konsumenten von Smartphone und Internetdiensten ausbilden. Ihnen aber nicht erklären, wie der Kram funktioniert." Informatik müsste seit 20 Jahren Pflichtfach sein, sagt Pousttchi. "Dann würde auch im Bundestag einiges anders diskutiert. Denn die Jahrgänge, die da jetzt sitzen, die hätten das längst als Pflichtfach in der Schule haben müssen."

Manchmal ist der Mensch auch die dressierte Maus, die genau das macht, was das Smartphone von ihm will.

Denn über die Auswirkungen der Digitalisierung könne man erst vernünftig diskutieren, wenn man sie verstanden habe. Das gilt auch für Schulen: Dort müssten alle Fächern mit der Digitalisierung umgehen. "Deswegen klappt das in Schule immer nicht, weil über den bestehenden Prozessen einfach nur sündhaft teure Hardware gekippt wird."

Das einzige, was der Digitalpakt Schule bisher richtig klasse bewirkt hat, ist die Gewinnsteigerung der Aktionäre der Firma Apple.

Prof. Key Pousttchi

Der Blick aufs große Ganze fehlt

Es gebe kein Gesamtkonzept. "Und das muss nicht fünf Jahre dauern, sondern alle Verantwortlichen setzen sich zusammen und dann ist das in einer Woche fertig." In mittelständischen Unternehmen ginge das, beim Staat nicht und auch in Konzernen ginge es nicht. Deswegen würde sich sein Institut in Naumburg um den Mittelstand kümmern.

Warum deutsche Politik nicht digital kann

"Das Problem wissenschaftlicher Politikberatung ist simpel erklärt: Politiker wollen nicht beraten werden, sondern Rechtfertigung für ihr Handeln", schreibt Pousttchi bei LinkedIn. "Dafür suchen sie sich die passenden, flexiblen Wissenschaftler aus – ein schmutziges Spiel.

Deutsche Politik könne nur zwei Dinge wirklich gut, sagt Pousttchi: Gesetze machen und Geld investieren. "Nur so wie Politik heutzutage funktioniert, hat niemand Zeit, sich in ein Problem tief hineinzuknien." So würden Gesetze gemacht und Unternehmen oder andere müssten das Problem dann lösen. Oder es werde Geld ausgegeben, zum Beispiel fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt Schule und die Politik könne so sagen, sie habe einen Schwerpunkt gesetzt. "Was Politik aber machen müsste, ist, sich Gedanken zu machen, wie denn die Lösung aussieht." In anderen Ländern funktionieren Politik und Politiker anders, so Pousttchi.

Beispiel EstlandKey Pousttchi: "Mit dem ehemaligen estnischen Staatspräsidenten konnte ich über Blockchain diskutieren, in einer Tiefe wie sonst mit meinen Studenten. Der hat sich da reingefuchst, weil er seine Verwaltung digitalisiert hat und verstehen wollte, wie das Ganze funktioniert. Und dann gibt es in Diskussionen auch ganz einfache Lösungen. In Estland kann jeder, der im Gesundheitswesen arbeitet, in die Daten der Patienten reinschauen. Aber es wird mitprotokolliert und Gnade ihm Gott, er kann hinterher nicht sagen, warum er das getan hat. Wenn das missbräuchlich getan wird, dann geht man in den Knast. Bei der Polizei in Hessen gab es ja Fälle, bei denen es hier, da steckten Chipkarten im PC und die Leute waren essen und jemand anders guckt rein. So geht das nicht."

Internetkonzerne als Gefahr für die deutsche Wirtschaft

Pousttchi sagt, Deutschland müsse jetzt das nachholen, was in den vergangenen 20 Jahre in den Schulen versäumt wurde: "Wir müssen weiten Teilen der Bevölkerung erklären, wie Digitalisierung funktioniert und wie sich die Wirtschaft verändert."

Denn er sieht zudem die Gefahr, dass sich das Geschäftsgebahren großer Internetkonzerne auch auf die reale Wirtschaft auswirken. "Apple, Google, Facebook und Amazon schieben sich zwischen Kunde und Händler." Das habe Folgen für Banken, Versicherungen und Einzelhandel. Die Plattformen versuchten immer, der erste Ansprechpartner des Kunden zu sein und können damit den Gewinn komplett abschöpfen. "Wenn wir das so lassen, macht das die deutsche Wirtschaft in 20 Jahren vollständig kaputt."

Dabei sei Digitalisierung kein Hexenwerk, "sondern ehrliche Arbeit, gut ausgebildeter Leute. Und nur wer das dicke Brett bohrt, steht auf der Gewinnerseite." Auf Deutschland und auf Key Pousttchi in Naumburg wartet viel Arbeit.

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MDR (Marcel Roth)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 03. Juli 2022 | 10:17 Uhr

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