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Viele Lehrerinnen und Lehrer, die heute im Dienst sind, sind ohne Social Media aufgewachsen – im Gegensatz zu den Schülerinnen und Schülern. (Symbolbild) Bildrechte: imago/ZweiKameraden

Soziale MedienWelche Rolle Fake News in der Schule spielen

17. September 2022, 11:30 Uhr

Eine Lehrerin, ein Schüler, ein Medienpädagoge, ein Staatssekretär und eine Expertin für Verschwörungserzählungen – sie alle waren zu Gast im Podcast "Digital leben" von MDR SACHSEN-ANHALT. Er wurde zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie live vor Publikum aufgezeichnet – auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung und des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung. Es geht darum, wie groß das Problem Fake News an Sachsen-Anhalts Schulen ist.

Im Internet ist es ganz einfach, einen beliebigen Satzanfang oder ein paar Sätzen automatisch weiter schreiben zu lassen. Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) machen es möglich.

Und so entwirft eine Software plötzlich einen Text, in dem sich Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zu Antisemitismus, Nationalsozialismus und Kritik an Israel auf einer angeblichen Konferenz äußert. Die gleiche KI erklärt die Schulden der Stadt Halle mit einem angeblichen Solarpark und Kapitalprojekten.

Es ist einfach, einigermaßen wahr klingende Geschichten von KI erfinden zu lassen. Wer will, kann sie noch automatisch bebildern lassen und dann in sozialen Medien teilen. Und fertig ist die zusammen geklickte Fake News, ohne großen menschlichen Input.

Nocun: Medienereignisse werden für Messengerdienste uminterpretiert

"Jedes größere Ereignis, das in den Medien stattfindet, wird zum Beispiel für den Messengerdienst Telegram uminterpretiert," sagt Katharin Nocun im Podcast "Digital leben" von MDR SACHSEN-ANHALT. Nocun ist unter anderem Autorin von "Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" und "Die Daten, die ich rief".

Katharina Nocun: Jugendliche sagen ihr, dass ihre Eltern an Fake News glauben. Bildrechte: imago images/teutopress

Katharina Nocun über Fake News, Verschwörungserzählungen und Desinformation

Was sind Fake News?

Nocun: Allgemein wird unter Fake-News eine Falschmeldung verstanden, eine falsche Tatsachenbehauptung. Allerdings wird der Begriff vor allem in der verschwörungsideologischen Szene grundsätzlich anders verstanden. Donald Trump hat zum Beispiel während seiner Präsidentschaft in der Corona-Krise Journalisten, die kritische Fragen gestellt und ihren Job gemacht haben, als Fake News beschimpft.

Was sind Verschwörungserzählungen?

Nocun: Bei Verschwörungserzählungen haben eine komplexe Geschichte. Darin gibt es eine Gruppe von Menschen oder Einzelpersonen, die sich im Geheimen verabredet haben, um Menschen ganz bewusst zu schaden. Dabei werden sehr starke Feindbilder konstruiert. In diesem Milieu spielen Falschmeldungen eine unglaublich große Rolle. Verschwörungserzählungen stützen sich oft auf Falschmeldungen. Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen sind aber grundsätzlich unterschiedliche Dinge.

Was ist Desinformation?

Nocun: Man spricht von Desinformation, wenn falsche Tatsachenbehauptungen bewusst in die Welt gebracht werden. Russischen Staatsmedien kann man Desinformationen nachweisen, weil da entsprechende Akteure wider besseren Wissens einfach Unwahrheiten behaupten. Der russische Staatssender RT Deutschland hat in seinen unterschiedlichen Sprachausgaben teilweise vollkommen konträre Dinge verbreitet – zum Mobilfunkstandard 5G oder zu Impfungen.

Ist all das immer problematisch?

Nocun: Verschwörungserzählungen gehen tatsächlich immer mit krassen Feindbildkonstruktionen einher. Man unterstellt einem Akteur oder einer Gruppe von Menschen eine böse Absicht. Das halte ich grundsätzlich immer für gefährlich, denn es führt im schlimmsten Fall dazu, Gewalt zu legitimieren. Oft wird sich ja über die sogenannte Reptiloiden-Verschwörungserzählung lustig gemacht. Dabei glauben Leute, es gebe Außerirdische, die sich als Menschen tarnen. In Foren oder bei Telegram werden dann Bilder von Prominenten gepostet und raue Stellen auf ihrer Haut eingekreist. Das wird als Beweis gedeutet, dass die Prominenten Außerirdische sind. Das kann man lustig finden, aber damit wird jemanden das Menschsein abgesprochen. Und so ließe sich einfacher argumentieren, man müsste einen Anschlag auf diese Person durchführen, sie plane etwas Böses und sei noch nicht mal ein Mensch. Oft spielt dabei auch Antisemitismus eine große Rolle.

Bildungsministerin: Fake News an Schulen "Einzelfälle"

An Sachsen-Anhalts Schulen scheinen Fake News allerdings kein großes Problem zu sein. Das sagt zumindest Bildungsministerin Eva Feußner (CDU). Sie und auch ihr Staatssekretär Frank Diesener sprechen von Einzelfällen. "Uns sind zumindest nicht so viele Mitteilungen bekannt, dass Schülerinnen und Schüler Fake News erhalten und dadurch verunsichert sind", sagt Diesener im Podcast.

Expertin Nocun sagt, der Glaube an Verschwörungserzählungen ginge quer durch die Gesellschaft, durch alle Alters- und Einkommensgruppen. "Natürlich findet man das auch an Schulen." Allerdings hätte sie auch Schüler kennengelernt, die in ihrem eigenen Zuhause mit Fake News konfrontiert würden – durch ihre Eltern, die in Facebook- oder Telegram-Gruppen Fake News aufsitzen würden: "Junge Menschen, die mir gesagt haben, dass ihre Eltern an Verschwörungsmythen glauben und die bei ihrer Familie dann Feuerwehr spielen."

Fake News als Thema im Unterricht nutzt der ganzen Familie

Wenn Schulen das Thema also im Unterricht behandeln, nutzt das also auch Familien. "Jugendliche sind dann ganz anders aufgestellt", sagt Nocun. Für Diesener ist deshalb klar, dass Schule möglichst früh über solche Themen sprechen sollte. Auch auf Elternabenden. "Je jünger die Kinder sind, umso bereiter sind die Sorgeberechtigten auch noch, bei diesem Entwicklungsprozess mitzumachen."

Diesener kündigte außerdem an, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Expertenkommission demnächst berufen würde – sie könne sich auch um solche Themen wie Fake News kümmern. Aber die Expertenkommission solle Schule vor allem "insgesamt in den Blick nehmen und sagen, wie Schule im Jahr 2030 aussehen kann".

Fake News kein Pflichtthema in Lehrerbildung

Die Lehrerfortbildung zu Fake News und Desinformation ist derzeit jedenfalls freiwillig. Und auch in der Lehrerausbildung sind diese Themen nicht verpflichtend. Das sagt Lehrerin Paula Friedrich aus Merseburg: "Wenn Lehramtsstudierende kein spezielles Interesse äußern oder ihr Ausbilder es von sich aus nicht macht, dann spielt das Thema Fake News keine Rolle in der Lehrerausbildung." Bislang sei es eine Frage des persönlichen Interesses.

Friedrich ist auch als medienpädagogische Beraterin im Auftrag des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung unterwegs. Im Saalekreis ist sie mir ihren Kolleginnen und Kollegen an etwa 70 Schulen unterwegs, um Lehrkräfte und Schüler zu schulen; sowohl zu Fake News als auch in Technologiefragen.

Fake News in Workshops an Schulen

Olaf Schütte von fjp Media: "Vor allem Schulsozialarbeiter bemühen sich um Schüler-Workshops für Medienkompetenz." Bildrechte: Jonas Mandel

Dass bei manchen Lehrkräften daran allerdings das Interesse zu fehlen scheint, ist die Erfahrung von Olaf Schütte, Geschäftsführer von fjp media, dem Verein junger Medienmacher in Sachsen-Anhalt. Er sagt, Sachsen-Anhalt habe mit Abstand die älteste Lehrerschaft in Deutschland. "Die ist zum Beispiel nicht mit sozialen Medien aufgewachsen."

Natürlich gebe es Fake News an Schulen, sagt Schütte. Sie würden sich an der Lebenswelt junger Menschen orientieren. Schütte berichtet von einem großen Magdeburger Gymnasium. "Dort kursierte vor der Bundestagswahl 2021 das Gerücht, dass es in der Kantine zukünftig kein Fleisch mehr geben sollte, weil die neue Bundesregierung das umsetzen wolle."

Der Verein fjp media bietet mit seiner "Servicestelle für Kinder- und Jugendschutz" jährlich etwa 400 Veranstaltungen zu medienpädagogischen Themen an. Nach solchen Workshops und Diskussionen in den Schulen würden weniger die Lehrerinnen und Lehrer fragen. "Es sind eher die Schulsozialarbeiter, die sich darum bemühen", sagt Schütte. Wenn sie anrufen, würden sie nach vorbeugenden Workshops fragen. "Aber wenn wir an den Schulen sind, sehen wir natürlich ein akutes Problem."

Schüler als Experten ernst nehmen

Mitunter seien seine Medienpädagogen mehrere Jahre nacheinander an der gleichen Schule, um Kinder- und Jugendliche zu schulen. Aber die Lehrer an dieser Schule würden ihre Fortbildung zu diesen Themen eher nicht so häufig nachfragen, sagt Schütte. "Ich glaube, für viele Lehrende ist es wirklich etwas Fremdes." Das rüttele auch am Selbstverständnis von Lehrern. "Man muss sich ein Stück weit nackig machen und anerkennen, dass junge Leute mehr wissen als der Lehrer", so Schütte.

Wenn sich Lehrkräfte dieser Lebenswelt verweigerten, würden sie die Augen vor der Realität verschließen, meint Schütte. "Dabei gibt es natürlich Expertinnen und Experten zu all diesen Themen an den Schulen. Nämlich die Schülerinnen und Schüler!"

Neue Themen für Fake News

Fake-News-Expertin Nocun sagt, Schule müsse aufklären und entsprechend ausgestattet werden. "Momentan greift politische Desinformation das Fundament unserer Gesellschaft an. Um eine glückliche Zukunft in einer freiheitlichen Demokratie zu haben, ist es unverzichtbar, dass die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer vergütet und gewertschätzt wird."

Die verschwörungsideologische Szene habe bereits andere Themen aufgegriffen, sagt Katharina Nocun. "Es geht nicht mehr um Corona. Derzeit kursieren Mythen zum Klimawandel. Von daher ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler die Schule mit dem richtigen Rüstzeug verlassen."

Mehr zum Thema: Digitales aus Sachsen-Anhalt

MDR (Marcel Roth)

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