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Schule wird in Zukunft noch digitaler werden. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Uli Deck

Schule 2035"Lehrer unterrichten keine Fächer, sondern Kinder"

12. Juni 2024, 15:13 Uhr

Digitale Technologien und die neuesten Werkzeuge der Künstlichen Intelligenz – sie verändern Bildung und Schule. Doch wie soll Schule in ein paar Jahren aussehen? Schüler wünschen sich zum Beispiel weniger Notendruck – und Bildungsstaatssekretär Jürgen Böhm glaubt, dass mehr Daten von Schülerinnen und Schülern beim Lernen helfen.

Wer Schülerinnen und Schüler fragt, ob sie gern zur Schule gehen und ob sie gern lernen, erhält überraschende Antworten. Der MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "digital leben" hat das bei einer Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung und von fjp Media bei etwa 20 Schülern gemacht. Das Ergebnis: Viele Schüler gehen gern zur Schule – aber kaum jemand von ihnen lernt gern.

Damit konfrontiert, sagt Sachsen-Anhalts Bildungsstaatssekretär Jürgen Böhm: "Lernen und Schule gehören zusammen. Man lernt zwar immer und überall. Aber die Aufgabe der Schule muss sein, dass das Lernen nicht spürbar sein darf." Vielleicht müsse man den Begriff des Lernens überprüfen. "Und vielleicht muss man auch noch ein bisschen an der Qualität unseres Unterrichtes arbeiten", sagt Böhm.

Die Schule der Zukunft

2035 fühlt sich Schule anders an als heute – das glauben die Schüler, aber auch der Bildungspolitiker Böhm. Er sagt: "Vielleicht werden die Kinder und Jugendlichen vor dem Unterricht anders in Empfang genommen. Vielleicht ist der Stundenplan flexibler und differenzierter. Und vielleicht geht man von den reinen Fächern weg zu themenbezogenem Lernen." Man müsse darüber nachdenken, wie man die Unterrichtsinhalte in den nächsten Jahren gestaltet. Denn für Böhm ist schon immer klar: "Lehrer unterrichten keine Fächer. Sie unterrichten Kinder."

2035 würden alle Lehrkräfte auch mit digitalen Geräten arbeiten und könnten auf Datenbanken zugreifen. Dort könnten zum Beispiel auch auf Unterrichtsvorbereitung zugreifen. "Nicht jede Unterrichtsstunde muss neu vorbereitet werden, die Lehrkraft kann auf Pools zurückgreifen und es wird sie auch immer geben." 2035 würden Lehrer selbstverständlich von Erzieherinnen und Erziehern unterstützt und können auch externe Partner im Unterricht einbinden.

Schule der Zukunft: Mit Noten und mit mehr Daten?

Schülerinnen und Schüler haben bei Noten oft eine klare Haltung: "Warum müssen Noten unsere Berufsorientierung entscheiden?", "Der Druck mit den Noten: Wir sollen in die skandinavischen Länder schauen!", "Wir werden durch Noten definiert und mein Abi-Schnitt entscheidet, ob ich weiter lernen darf."

Genauso klar ist die Haltung von Bildungspolitiker Böhm: "Wir haben auch 2035 Noten und Zeugnisse. Alles andere wäre weltfremd. Leistung auszuklammern, wäre auch für die Zukunft nicht richtig." Menschen würden sich über sich selbst definieren – und nicht über Noten. Sie seien nur ein Hilfskonstrukt.

Gleichzeitig wünscht sich Böhm für die Zukunft, dass Monitoring auszubauen, anhand dessen man sehen kann, auf welchem Lernstand jeder einzelne Schüler ist. Erste Konzepte für ein solches Monitoring würden am Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung in Halle entwickelt. Im laufenden Schuljahr gab es bereits an einigen Grundschulen im Land ein digitales Verfahren zur Lernstandsanalyse – im neuen Schuljahr soll es an allen Grundschulen eingeführt werden und verpflichtend für Klasse 1 und 3 gelten. Möglich ist die Analyse auch für Klasse 5 und 6.

Analysiert werden dabei die Ergebnisse aus standardisierten Tests in Mathe und Deutsch. Lehrkräfte können die Analysen ihrer Schüler nutzen – für Gruppen- und für Einzelauswertungen. Das Werkzeug würde Lehrkräften individuelle Förderhinweise für jeden Schüler geben und auch konkrete Unterrichtsmaterialien anbieten.

Nicht erst 2035: Digitale Hilfsmittel an den Schulen im Land

In höheren Klassen wird an etwa 30 Schulen im Land derzeit auch ein KI-Werkzeug getestet, das Schülern automatisch Feedback auf selbst geschriebene Texte geben kann. Fiete.ai wurde im März vorgestellt. Bereits seit November vergangenen Jahres können Lehrkräfte ChatGPT auf dem Bildungsserver nutzen. "Ein Viertel aller Lehrkräfte haben bereits die entsprechende Online-Fortbildung gemacht"; sagt Böhm. "Von denen nutzen etwa 50 bis 60 Prozent das Werkzeug täglich oder wöchentlich."

Eine Zehntklässlerin aus Erxleben kennt fiete.ai. "Wir haben das in Sozialkunde behandelt. Der Lehrer ist am aufgeklärtesten und hat uns das gezeigt, bevor wir unsere Facharbeiten geschrieben haben", sagt sie im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "digital leben". Das Feedback auf ihren Text sei okay gewesen. Aber es mache für sie keinen Unterschied, ob es von einem echten Menschen oder einem Computer bekomme.

Böhm sagt, derzeit würde für all diese Ideen eine interaktive Plattform entwickelt: die Lernwelt. Sie soll Ideen für Unterrichtsstunden enthalten, das Monitoring des Lernstandes der Schüler ermöglichen und eine Vernetzung schaffen, um Unterrichtsausfall abpuffern zu können.

Ziel sei allerdings nicht, digitalen Unterricht in die Klassen zu übertragen. "Aber vielleicht kann zum Beispiel der Mathelehrer den Physikunterricht übernehmen, weil der Lehrer vier Wochen ausfällt. Mit dieser Lernwelt kann er eine Physik-Unterrichtseinheit ins Klassenzimmer spiegeln und die Klasse betreuen", sagt Böhm. Am Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung würde dafür viel Geld und sehr viel Know-how investiert. "Wir sind gerade in der heißen Planungsphase.

KI-Tools würden vieles an Schulen ändern, sagt Bildungspolitiker Böhm. "Man wird diese sture Faktenwissen nicht mehr brauchen. Fakten kann man sich holen. Entscheidend wird werden, wie sie angewendet werden und welche Kompetenzen man mit Wissen hat." Für Prüfungsformate heißt das, dass das Fakten abfragen wenig sinnvoll sei. "Es gibt genug Faktenwissen. Aber wir werden ein Problem damit haben, mit dem vielen Faktenwissen der Zukunft umzugehen und es für die richtigen Sachen anzuwenden." Möglicherweise müsse dafür noch das richtige Unterrichtsfach gefunden werden.

Haben Schulleitungen 2035 Budget-und Personalhoheit?

2035 jedenfalls ist die Schulverwaltung komplett digital, glaubt Böhm. Es gebe eine datenbankgestützte zentrale Schulverwaltung. Daran arbeite das Land bereits. Damit könnten Schülerdaten ordentlich gespeichert und Formulare, Zeugnisse und Förderbedarf von Schülern digital erfassen werden.

In Zukunft will Böhm den Schulleiterinnen und Schulleitern mehr Autonomie zugestehen. Sie könnten 2035 komplett über ein Budget verfügen. Aber Lehrkräfte aussuchen – das sollten Schulleitungen 2035 nicht, so Böhm. Jedenfalls nicht komplett: "In einem staatlich organisierten Schulwesen muss man die Grundverteilung der Lehrkräfte auch in Gebieten sicherstellen, die bei Lehrern nicht so gefragt sind."

Bildungsorganisation der Zukunft

Jürgen Böhm glaubt, dass es 2035 wahrscheinlich noch Schullaufbahnempfehlungen und Gymnasien geben wird: "Nicht eine Schule für alle, sondern die richtige Schule für jeden", sagt er. Er sei ein großer Verfechter von Leistungsorientierung, Differenzierung und den richtigen Bildungsgängen mit Übergangsmöglichkeiten zwischen den Schulformen. "Aber manche Eltern wollen, dass ihr Kind unbedingt das Gymnasium besucht."

Böhm spricht sich auch dafür aus, Kita-Kinder vor dem Schulbeginn zu testen. Hamburg hat beispielsweise einen verpflichtenden Test für alle viereinhalbjährigen Kinder. Wird dabei ein Förderbedarf entdeckt, müssen die Kinder die Vorschule besuchen. "Ich finde das gut. Ein solcher Test fehlt leider hier", sagt Böhm.

Böhm befürwortet außerdem, dass Gymnasien die Schüler besser auf das Studium vorbereiten: "Eine einwöchige Studienorientierung oder ein Schnupperpraktikum an der Universität kann ich mir gut vorstellen." Aber damit all das 2035 ganzheitlich möglich wird, müsste das Bildungsministerium auch für Kitas und Hochschulen zuständig sein. "Das wäre super", sagt Böhm.

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MDR (Marcel Roth)

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