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Wanderprediger Gustaf NagelArendsee will Freigeist-Förderverein nicht unterstützen

07. März 2023, 18:00 Uhr

In Arendsee will ein neuer Förderverein das Erbe des Wanderpredigers und Naturapostels Gustaf Nagel wiederbeleben. Auf Nagels Grundstück am See sollen zum Beispiel der Tempel wiederaufgebaut und der Garten rekultiviert werden. Die erhoffte Unterstützung durch die Stadt bleibt allerdings bislang aus.

Die große Weide, deren lange dünne Zweige bis zum Boden reichen und von denen manche das Wasser des Arendsees berühren, die hat Gustaf Nagel noch selbst gepflanzt. 1910 errichtete der Wanderprediger und Naturapostel auf seinem Grundstück einen Naturgarten, dazu kamen ein winziges Wohnhaus für sich, seine Frau und seine drei Kinder, eine Grotte zum Meditieren, ein Tempel zum Beten und Predigen und diverse Stelen und Säulen. Alle sind von Nagel in eigentümlicher Weise selbst gebaut worden; sie ähneln Kleckerburgen aus Stein.

Bis in die 1950er-Jahre hinein lebte der in ganz Europa bekannte Mann am Arendsee. Das erste Mal für Furore hatte er gesorgt, als er in jungen Jahren barfuß nach Jerusalem pilgerte. Danach gaben sich die Besucher auf dem Grundstück in Arendsee die Klinke in die Hand. Tausende kamen, um den wundersamen Mann zu erleben, den "Christus vom Arendsee".

Nagel predigte im Tempel am Arendsee

Er war auch eine beeindruckende Erscheinung. Nagel trat zumeist in langem, weißen Gewand auf. Er trug langes, braun wallendes, offenes Haar und einen langen, dunklen Vollbart. Zudem war er meistens barfuß unterwegs. Er verkörperte quasi seine Lebens- und Glaubenseinstellung: eins zu sein mit Gott und der Natur, Flora und Fauna ehrfürchtig zu behandeln, sich vegetarisch zu ernähren.

In seinem Tempel predigte er vor seinen Gästen. Die kamen teils von weither. Aber auch die Arendseer kamen Gustaf Nagel immer wieder besuchen.

Gustaf Nagel war als Wanderprediger und "Christus vom Arendsee" bekannt. Bildrechte: IMAGO / piemags

Frau aus Arendsee traf Nagel persönlich

Christine Meyer, die Zeit ihres Lebens das Nagelsche Erbe pflegte, erinnerte sich MDR SACHSEN-ANHALT gegenüber an ihre erste Begegnung mit dem Naturapostel, an seine Ehrfurcht gebietende Erscheinung, seine warme Stimme, seine Strenge anderen und sich selbst gegenüber und daran, dass der Mann in dem weißen Mantel ihr einen Apfel schenkte, den sie vor Aufregung zitternd entgegennahm.

 

So lange sie es gesundheitlich konnte, wurde Christine Meyer nicht müde, immer wieder an Gustaf Nagel zu erinnern, sein Grundstück am See gemeinsam mit Gleichgesinnten zu pflegen, den Garten bunt zu halten, die Gebäudereste zu bewahren. Sie organisierte Führungen und Veranstaltungen vor Ort.

Jetzt hat diese Aufgabe ein neuer Förderverein übernommen, und der will noch mehr: den Tempel zum Beispiel wiederaufbauen.

Förderverein kann Wiederaufbau allein nicht stemmen

Das allerdings ist ein teures und anstrengendes Unterfangen. Die Vorarbeiten – unter anderem Untersuchungen durch den Denkmalschutz und eine Machbarkeitsstudie, die Nagels Erbe als unbedingt zu erhalten und als wichtig für Arendsees touristische Zukunft ausweist – finanziert der Verein über klassische Spendensammlungen, Experten, die auf mögliche Honorare verzichten, und über Crowdfunding, also das Spendensammeln im Internet. 25.000 Euro sind so schon zusammengekommen.

Damit aber ist nur die theoretische Grundlage geschaffen. Die praktischen Arbeiten stehen noch aus. Allein der Wiederaufbau des Tempels kostet etwa 180.000 Euro. Der Förderverein hofft darauf, dass die Stadt Arendsee – sie ist Eigentümerin des Nagel-Grundstücks – einen Antrag an das europäische Leader-Programm stellt. Mit Geld aus diesem Topf soll besonders der ländliche Raum gefördert werden. Doch noch stellt sich der Stadtrat quer. Die Kommune müsste nämlich einen Eigenanteil von etwa 20 Prozent selbst tragen.

Stadtrat Reichardt: Feuerwehr geht vor

Dagegen ist zum Beispiel Jens Reichardt. Er sitzt für die Fraktion Arendsee-Land/Freie Liste im Arendseer Stadtrat und sagt, so weit dürfe das Engagement der Stadt für dieses eine Projekt nicht gehen. Immerhin gebe es etliche Vereine, die auf städtischen Grundstücken tätig sind, Sportklubs zum Beispiel. Denen müsse man leider auch Absagen auf Förderung erteilen.

Angesichts der aktuellen Haushaltslücke von 1,6 Millionen Euro müsse die Stadt abwägen und zuerst an Pflichtaufgaben denken. Reichardt führt da den Brandschutz ins Feld. Durch die Klima-Veränderungen sei der Grundwasserspiegel auf dem Gebiet der Stadt in den vergangenen Jahren extrem gesunken. Man brauche neue, teure Tiefwasserbrunnen, um im Notfall an Löschwasser zu kommen. Über Zisternen, um Löschwasser vorzuhalten, verfüge die Kommune überhaupt nicht. Die Löschwasserteiche seien – zum Beispiel in Fleetmark und Kerkuhn – in schlechtem Zustand und müssten saniert werden.

Das gehe vor, sagt Jens Reichardt und stimmte im Stadtrat gegen ein Engagement der Kommune zur Bewahrung des Gustaf-Nagel-Erbes am See. Wenn der Förderverein das Areal wie geplant wiederbeleben will, müsse er selbst den Eigenanteil im Rahmen einer möglichen Leader-Förderung aufbringen. Dazu aber sieht sich nach den Worten der Vorsitzenden Antje Pochte der Verein nicht in der Lage.

Wie das Areal also zum 150. Geburtstag Gustaf Nagels aussehen wird, steht momentan in den Sternen.

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MDR (Katharina Häckl, Julia Heundorf)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. März 2023 | 14:40 Uhr

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