Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

UpcyclingAltmärkerin verwandelt Müll in Mode

07. Oktober 2024, 09:49 Uhr

Man nennt es "Upcycling": Aus Altem etwas Neues machen. Heike Meyer aus der Altmark nutzt etwa alte Verpackungen, um daraus Taschen zu fertigen. Außerdem gestaltet sie Bücher zu Deko um. Damit inspiriert sie andere, kreativ zu sein und bringt in Arendsee außerdem Menschen zusammen.

In ihrem lichtdurchfluteten Atelier im altmärkischen Arendsee sitzt Heike Meyer umgeben von farbenfrohen Streifen aus recyceltem Verpackungsmaterial. Mit konzentriertem Blick fertigt sie mit geschickten Händen das nächste kreative Stück, das bald eine neue Daseinsberechtigung finden wird. Hier, in ihrem kleinen Reich, vereint sich die Liebe zur Handarbeit mit dem dringenden Wunsch, die Umwelt zu schützen.

Es entsteht ein kleines Stück Nachhaltigkeit. Die 57-Jährige fertig in ihrer Freizeit Nützliches aus Altem. So entstehen aus aussortierten Verbundkartons neue Taschen, Platzdeckchen oder Boxen. Und ihre Produkte sind nicht nur bei Freunden und Bekannten gefragt, sondern in ganz Deutschland und sogar dem Ausland.

Prägende Lektionen durch Oma

Aufgewachsen in einer Welt voller Handarbeit und Kreativität, hat sie schon früh das Stricken, Häkeln und Nähen von ihrer Oma gelernt. "Das Rattern der alten Singer-Nähmaschine meiner Oma hat mich schon als Kind fasziniert", erzählt sie im Gespräch und lächelt verträumt. Die Leidenschaft war also schon früh da.

Als sie 2006 von ihrer Arbeitskollegin eine aus alten Verpackungen gefertigte Tasche geschenkt bekam, verliebte sie sich sofort in diese. Das sollte der Anstoß zu einem neuen Kapitel in ihrem Leben werden. Auch wenn das Upcycling erst Jahre später kam.

Bei diesem Inhalt von Youtube werden möglicherweise personenbezogene Daten übertragen. Weitere Informationen und Einstellungen dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung.

"Es ist einfach so viel Müll", fährt die Arendseerin fort. Das fiel ihr vor allem auf, wenn ihre Enkel zu Besuch waren. "Jeder Bonbon ist nochmal extra verpackt", ärgert sie sich. Die Gedanken über den vielen Müll erinnerten sie an die bunte Tasche, die ihr so viel Freude bereitet hatte.

Es fühlt sich einfach richtig an, wenn ich den Müll weiterverarbeite.

Heike Meyer

Auf der Suche nach Anleitungen zum Nachmachen dieser kunstvoll geflochtenen Einkaufstasche stieß sie jedoch auf keine Ergebnisse. "Also habe ich begonnen, selbst zu experimentieren", erinnert sich Meyer. Unzählige gescheiterte Versuche später sollte es dann aber doch noch funktionieren – ein bunter Mix aus alten Milchverpackungen war entstanden.

Der erste Bewunderer ihrer selbstgemachten Tasche war eine Kassiererin im Supermarkt, die wissen wollte, woher sie diese hatte. "Als ich ihr dann gesagt habe, dass ich die selbst gemacht habe, fragte sie direkt, ob sie mir die abkaufen kann", erzählt Heike Meyer stolz.

Handwerkerin stellt in Magdeburg und Salzwedel aus

Da fiel ihr auf, dass die Menschen an ihrer Handarbeit interessiert sind. In den Jahren danach hat sich ihr Experimentieren zur Profession entwickelt. Heute hat sie ihre eigene Shop-Seite "Schnittfalter" im Internet und stellt ihre Werke auf Märkten und Festen aus, unter anderem beim Hansefest in Salzwedel oder der Handwerkermesse in Magdeburg. Besonders schön seien dabei die Reaktionen ihrer Kunden, die oft nostalgisch reagieren: "Wie zu DDR-Zeiten, toll!"

Ein Streifen wird immer über und unter andere Streifen eingeflochten. Bildrechte: MDR/Lydia Zahn

Aber nicht nur Ältere, auch Jüngere spricht sie mit ihrer Handarbeit an. Vor allem kleine Kinder machen bei ihren Produkten große Augen. "Ich hatte letztens ein sehr schönes Erlebnis", beginnt Heike Meyer zu erzählen. Und fährt fort: "Eine Mutter kam mit ihren Söhnen in meine Werkstatt, um eine Geldbörse zu kaufen. Und ihr Sohn war so fasziniert von meiner Arbeit, dass er, als sie wieder zu Hause waren, zu seinem Papa lief und begeistert erzählte, dass er das jetzt auch machen wolle." Sie bereite nun alles vor, um dem kleinen Jungen etwas ihrer Handarbeit beizubringen.

Orimoto: Alte Bücher zu Kunst machen

Aber so wie sie ihr Wissen weitergibt, fordert sie sich auch selbst. Die 57-Jährige erweitert stets ihr Angebot. Angefangen mit Taschen, fertigt sie mittlerweile auch Platzdeckchen, Laptop- und Umhängetaschen. Außerdem hat sie Orimoto (Bücherfalten) für sich entdecken können. Dabei faltet sie Buchseiten zu Motiven oder Schriftzügen. Die seien besonders in ihrem Online-Shop "Schnittfalter" gefragt. "Eigentlich bei jedem kleinen Teil, wo andere sagen, dass ist Müll, da denke ich drüber nach, was ich da noch draus machen oder wo ich das noch mit einarbeiten kann", erzählt Heike Meyer.

Aber nicht nur der Umwelt will sie etwas Gutes tun, auch ihren Mitmenschen. So hat sie 2016 einen Handarbeitsclub gegründet. Auch wenn die Handarbeit heute weniger eine Rolle spielt, sitzen die Damen jeden Alters einmal wöchentlich zusammen und tauschen sich aus, haben Spaß. "Und genau das wollte ich damit bezwecken, dass die Menschen, vor allem die älteren Damen, rauskommen und so Jung und Alt zusammenbringen", erklärt Meyer mit einem warmen Lächeln und steht auf.

So können sie am Ende aussehen - die Taschen von Heike Meyer Bildrechte: MDR/Lydia Zahn

Gemeinsam: Hilfe von Familie und Nachbarn

Auf dem Weg zu ihrem Tisch ist, fällt auf, wie ordentlich es in ihrer Werkstatt ist. Alles ist gut organisiert, in Regalen und auf Ständern verstaut. Dabei bleibt es trotzdem gemütlich und wohnlich. Man kann sich gut vorstellen, wie Heike Meyer mehrere Stunden am Stück in diesen Räumen verbringt. Die Materialien, die feinsäuberlich sortiert bereitliegen, bekommt sie von Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen, Kitas und ihren Kindern. Jeder sammelt für sie.

"Es fühlt sich einfach richtig an, wenn ich den Müll weiterverarbeite", sagt die Arendseerin, während sie einen Streifen aus einem Milchkarton schneidet. Ihr Mann hilft dabei, die Kartons zu reinigen und vorzubereiten, während ihre Schwiegermutter die kleinen Streifen zu größeren zusammenklebt. Wenn die Streifen bereit sind, beginnt der eigentliche Zauber – das Flechten.

Ich weiß, dass ich die Welt mit meiner Handarbeit nicht verändern kann.

Heike Meyer

Während sie die Streifen zwischen zwei Lagen einflechtet und streng zusammenschiebt, unterbricht sie ihre Arbeit und sagt ernst: "Ich weiß, dass ich die Welt mit meiner Handarbeit nicht verändern kann, aber ich kann einen kleinen Teil zur Veränderung beitragen und vielleicht andere inspirieren." Während sie weiterfaltet, kann man sich noch gar nicht vorstellen, dass daraus mal eine Tasche werden soll. Während dieses Prozesses arbeitet sie bereits die Tragegriffe mit ein, denn "so halten sie besser, sind stabiler und es sieht besser aus", sagt Heike Meyer.

Die Umhängetaschen seien sogar noch mehr Arbeit als die Einkaufstaschen, da die Streifen schmaler sind. Bildrechte: MDR/Lydia Zahn

Heike Meyers Werke erobern die Herzen

Sieben bis neun Stunden und 35 Tetra Paks beziehungsweise rund 175 Streifen braucht es ungefähr, bis eine Tasche fertig ist. Das sei viel Arbeit, diese aber auch wert, sagt Meyer. Und mit die größte Freude sei es für sie, wenn sie sieht, wie ihre Taschen getragen werden. Und das ist immer öfter der Fall.

Denn ihre Werke haben mittlerweile nicht nur Deutschland, sondern auch international viele Herzen erobert. Bestellungen aus Montreal oder Australien zeigen, dass ihre Botschaft der Kreativität und des Umweltschutzes weit über die Grenzen von Arendsee hinausreicht.

Heike Meyer ist mehr als nur eine Upcycling-Künstlerin. Sie ist ein strahlendes Beispiel für unermüdlichen Einsatz, die Schönheit der Handarbeit und die Kraft des Wandels – nicht nur für sich selbst, sondern auch die Menschen um sie herum und darüber hinaus.

Mehr zum Thema Upcycling

MDR (Lydia Zahn, Max Schörm) | Erstmals veröffentlicht am 05.10.2024

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 01. Oktober 2024 | 09:30 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen