Traum vom Selbstversorger-Hof Warum ein junges Paar aus Hamburg in die Altmark zieht

05. Juni 2022, 17:56 Uhr

Von Hamburg nach Abbendorf: Lisa Rammensee und Florian Ridder sind Anfang 30, haben hippe Berufe und bis vor Kurzem in Hamburg gelebt. Seit sie auf einen alten Bauernhof in der Altmark gezogen sind, versuchen sie sich als Landwirte und Selbstversorger – viel Arbeit und den ein oder anderen Rückschlag inklusive. Ein Hof-Besuch.

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
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Es ist erst ein paar Monate her, da war eine 80 Quadratmeter große Wohnung das Zuhause von Lisa Rammensee, 31 und Florian Ridder, 32. Ihre Wohnung lag mitten im Hamburger Stadtteil Rotherbaum, wo auf einem Quadratkilometer mehr als 6.000 Menschen leben. Theater, Kino, Bars, Freunde: Alles war in ein paar Minuten zu Fuß, mit dem U-Bahn oder dem Bus erreichbar.

Inzwischen dauert der abendliche Spaziergang über das neue eigene Grundstück für die beiden länger, als früher der beinahe tägliche Gang zum Biomarkt. Lisa Rammensee und Florian Ridder haben das Großstadtleben hinter sich gelassen und sind auf einen Rest-Hof in Abbendorf in der Altmark gezogen. Keine 170 Menschen leben in dem Dörfchen im äußersten Nordwesten Sachsen-Anhalts, rund 20 pro Quadratkilometer. Man kennt sich.

Andere Prioritäten, auch durch Corona

Wenige Menschen, dafür umso mehr Platz und Grün: Statt in einer 80-Quadratmeter-Wohnung leben die Ex-Großstädter nun auf einem 20.000 Quadratmeter großen Grundstück inklusive Dreiseithof, Kuh- und Hühnerstall.

"Wir haben schon länger davon geträumt, aufs Land zu ziehen", erzählt Lisa Rammensee. "Spätestens durch die Corona-Lockdowns haben wir gemerkt, dass wir all die Möglichkeiten, die die Großstadt bietet, nicht wirklich brauchen, dass wir auch mit weniger glücklich sein können. Unser Leben fand ja eh nur noch zwischen Schreibtisch und unserer Garten-Fläche am Stadtrand statt."

Die Anzeige für den 130 Jahre alten Hof in Abbendorf entdeckte das Paar im Internet. "Es war bis dahin super schwierig, ein passendes Objekt zu finden, obwohl wir deutschlandweit gesucht haben", sagt Lisa Rammensee. Als sie Haus und Grundstück in Abbendorf zum ersten Mal besichtigten, seien sie aber sofort verliebt gewesen. Allen Warnungen und gut gemeinten Ratschlägen von Freunden und Familie zum Trotz, wie viel Arbeit mit dem Hof auf sie zukommen würde.

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Das Paar erzählt über seine Entscheidung für den Umzug aufs Land.

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So nah und doch so anders

Selbst die Internetverbindung erwies sich als schnell genug, um vom Hof aus weiterhin ihren Jobs nachgehen zu können: Lisa Rammensee arbeitet als Illustratorin, vor allem für Kinderbücher, Florian Ridder ist Koch und Inhaber eines Ramen-Restaurants in Hamburg. Nachdem die Finanzierung geklärt war, zogen sie im Herbst 2021 mit Sack und Pack von Hamburg nach Abbendorf. Und obwohl nur etwas mehr als 100 Kilometer Luftlinie zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat liegen, trennen die beiden Wohnorte Welten.

"Wir mussten uns zum ersten Mal im Leben ein Auto kaufen, weil es ohne hier nicht funktioniert", sagt Florian Ridder. "Aber ich bin überrascht, wie schnell wir uns an das Landleben gewöhnt haben und wie normal es sich nach einem halben Jahr schon anfühlt." Das erzählt er, während er in T-Shirt, kurzer Hose und Stoffschuhen über die Ländereien führt, vorbei an Holunderbäumen, Beeten voller Kartoffeln, Kräuter, Bohnen, Lauchzwiebeln und Knoblauch und über die Streuobstwiese mit den Apfel- und Kirschbäumen.

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Das Paar spricht über die Unterschiede des Lebens in der Stadt und auf dem Land.

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Zukunftsplan: Selbstversorgung

"Jetzt im Frühsommer, wo hier alles blüht, erkennen wir bei vielen Pflanzen und Bäumen auf dem Grundstück zum ersten Mal, um welche Arten es sich überhaupt handelt." Fürs Serien streamen oder andere Stadt-Hobbys bleibt Ridder und Rammensee kaum noch Zeit, denn fast jede freie Minute verbringen sie nun bei Pflanzungen, Unkraut jäten, der Ernte oder Holz zu hacken.

Das nötige Wissen für das Hofleben holen sich die Neu-Landwirte aus Büchern, bei YouTube – und nicht zuletzt auszuprobieren.

Natürlich klappt nicht alles auf Anhieb und es gibt immer mal Höhen und Tiefen, aber bereut habe ich den Umzug aufs Land bislang keine Sekunde.

Lisa Rammensee

Eines Tages wollen Rammensee und Ridder sich mit dem Hof weitestgehend selbst versorgen. Auch Ferienwohnungen, einen Hofladen und vielleicht sogar ein kleines Restaurant können sie sich vorstellen. Florian Ridder ist schließlich Koch und Platz ist auf dem Hof mehr als genug.

Spaß steht im Vordergrund

Einen konkreten Zeitplan haben sie dafür jedoch nicht. "Wichtig ist, dass uns das Ganze Spaß macht und nicht zum Stress wird", sagt Florian Ridder. Er träumt von einem Kreislaufsystem zwischen dem Hof in Abbendorf und seinem Restaurant in Hamburg: Auf dem Hof soll Gemüse und eines Tages vielleicht auch Fleisch für sein Geschäft produziert werden, die Abfälle aus dem Restaurant könnten wiederum als Dünger oder Kompost auf dem Hof verwertet werden.

Aus der Küche seines Restaurants in Hamburg hat sich Ridder inzwischen zurückgezogen. Stattdessen kümmert er sich von Abbendorf aus um Management-Aufgaben und den Onlineshop des Restaurants, den er und sein Geschäftspartner während der Coronapandemie an den Start gebracht haben.

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Das Paar spricht über das Remote-Arbeiten vom Hof aus.

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Das Arbeitszimmer teilt er sich derzeit nicht nur mit Freundin Lisa, sondern auch mit elf Küken, die in einem Käfig in einer Ecke heranwachsen. "Die haben keine Glucke, brauchen aber Wärme, und das hier ist das wärmste Zimmer des Hauses", sagt Lisa Rammensee, während sie die Küken mit Salat füttert. Schon bald werden sie alt genug sein, um den Hühnerstall zu beziehen. Eines Tages sollen vielleicht auch Schafe und Schweine auf dem Hof leben.

Schon jetzt kommen regelmäßig Freundinnen und Freunde des Paares aus der Stadt zu Besuch nach Abbendorf, die meisten bleiben gleich für mehrere Tage. "Man merkt bei vielen richtig, dass sie auch Lust auf so ein Natur-Projekt haben", sagt Florian Ridder. "Die wollen hier ständig mit anpacken und helfen."

Derzeit wohnt sein bester Freund aus Hamburg mit auf dem Hof Meisennest, wie Ridder und Rammensee ihr Projekt getauft haben. Wie lange der Freund bleibt, weiß er noch nicht. Möglicherweise ergeht es ihm bald wie seinen Gastgebern: Die können sich eine Rückkehr in eine Stadtwohnung nämlich nicht mehr vorstellen.

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
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Über den Autor Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über gesellschaftliche und politische Themen aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer)

8 Kommentare

Tom0815 am 07.06.2022

@Rain Man
Die beiden berichten, wie sich Ihr Leben durch den Umzug von der Stadt aufs Land verändert hat, warum sie diesen Weg gegangen sind und welche Pläne sie für die Zukunft haben. Das klingt für mich alles sehr sympathisch, nachvollziehbar und ich drücke ihnen wirklich die Daumen.
Was haben Sie denn konkret an dem Beitrag über die beiden auszusetzen? Oder geht es Ihnen einfach nur generell ums meckern und möglichst zu verhindern, dass noch mehr Menschen von der Stadt aufs Land ziehen, weil dort eh alles schon so voll ist und die demografische Entwicklung die ländlichen Regionen ja eh schon überquellen lässt?

Und das jemand nach dem Umzug von der Stadt aufs Land das erste Mal ein Auto braucht ist nicht die Realität, sondern halt ein andere. Ich "verurteile" ja auch niemanden der auf dem Land lebend in der Stadt das erste Mal U-Bahn fährt.

Frau_Holle am 07.06.2022

Wie romantisch. Ich wünsche dem Paar eine gute Zeit. Mögen ihre Träume in Erfüllung gehen. Es steckt viel Arbeit dahinter, alle Achtung.
Frage an den MDR: gibt die Erzieherin oder der Postbote, die einfach täglich Ihre Arbeit, auch für die Gesellschaft, leisten, nicht so viel für eine Story her? Ist das zu normal? Selbstverwirklichung vs. Gesellschaft - solche Themen sind vielleicht zu polarisierend?

Rain Man am 07.06.2022

„Wie lange der Freund bleibt, weiß er noch nicht. Möglicherweise ergeht es ihm bald wie seinen Gastgebern: Die können sich eine Rückkehr in eine Stadtwohnung nämlich nicht mehr vorstellen.“

Die Grünen sollen bitte in ihren Städten bleiben. Die braucht und will hier keiner.

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