Seltene Idee in der Altmark Jübar: Warum die Gemeinde ein eigenes Pferd hält

26. November 2022, 10:30 Uhr

Eine Kirche, eine Schule und eine Gaststätte gibt es in vielen Gemeinden. Jübar in der Altmark legt einen drauf: Hier steht das wohl einzige Gemeindepferd Sachsen-Anhalts, wenn nicht gar Deutschlands. Doch warum? Ein Stallbesuch bei der Ehrenbürgerin Ariosa.

Daniel Tautz vor einer grauen Wand
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Wer in Jübar nach Ariosa fragt, landet auf einem Gutshof am Ende der Dorfstraße. Hinter dem grünen Holztor türmen sich Holzstapel in die Höhe und passiert man die Reithalle, steht man schon bald am Zaun der gewaltigen Pferdekoppel. Hier an der Grenze zu Niedersachsen ist Sachsen-Anhalt fast vorbei. Wo Ariosa mit den acht anderen Pferden des Hofs ihr Heu futtert, war einst der Grenzstreifen zwischen DDR und BRD.

Der Boden ist matschig vom ersten Schnee der Saison, doch Ariosa galoppiert elegant über die Koppel. Wenn all ihre vier Beine kurz den Boden verlassen, wehen ihr Schwanz und ihre Mähne im Wind. Ariosa ist nicht nur irgendein Pferd im Ort, sie ist das Gemeindepferd von Jübar.

Ein Gutshof, ein Bürgermeister und eine Idee

"Du bist damals zu uns gekommen und hast gesagt: 'Wir haben eine verrückte Idee, hast du Lust mitzumachen?'", erinnert sich Elmar Baur, der gemeinsam mit seiner Frau den Hof vor zehn Jahren gekauft hat. In der einen Hand hält er Ariosas Zügel, ein Lächeln liegt in seinem Gesicht. Neben ihm steht Carsten Borchert, Bürgermeister von Jübar und maßgeblich an eben jener verrückten Idee beteiligt.

Warum braucht die Gemeinde ein Pferd?

Die sah wie folgt aus: Jübar kauft sich ein eigenes Pferd, von der Gemeinde für die Gemeinde. Die Reaktionen darauf: Naja, erstmal gemischt. Warum sich eine Gemeinde ein Pferd kaufen wolle, sei Borchert damals oft gefragt worden. "Da hab' ich damals so im Spaß gesagt: Der Gemeinderat Jübar hat beschlossen, dass wir das Pferd kaufen. Und wenn mein Gemeinderat der Meinung ist, wir kaufen uns einen Elefanten, dann muss ich halt einen Elefanten kaufen."

Eine Lipizzaner-Stute aus edlem Hause

Ein Elefant ist es nicht geworden, aber eben die Lipizzaner-Stute Ariosa. Und die Idee kommt nicht von ungefähr: Denn Jübar ist die Partnergemeinde von Maria Lankowitz in Österreich. Und dort werden am Gestüt Piber die edlen Lipizzaner gezüchtet, unter anderem für die Spanische Hofreitschule in Wien. Ariosa wird somit eine Art Partnerschafts-Maskottchen. Jübar zahlt noch 3.000 Euro zu und unterstützt das Gut Hanum anfangs mit Futtergeld.

Das war im April 2015, Ariosa ist also mittlerweile siebeneinhalb Jahre als Gemeindepferd in der Altmark. Aber was sind da eigentlich so ihre Aufgaben?

"Immer wenn hier Höhepunkte sind, dann ist Ariosa dabei", sagt Bürgermeister Borchert. "Oder wenn wir in der Grundschule Tag der offenen Tür haben, dann reiten die Kinder darauf. Und dann ist das der absolute Höhepunkt: Die Gemeinde Jübar hat ein Gemeindepferd und das steht nicht nur dumm rum, sondern es hat auch einen Sinn." Und dann gibt es im Hort der Grundschule Jübar ja auch noch eine AG für Ariosa.

Lernen mit Pferd in der Hort-AG

Auch heute rollt der Gemeindebus vor das grüne Holztor des Gutshofs, krankheitsbedingt besuchen heute nur die Grundschülerinnen Lilly und Lina das Pferd. Erst nähern sie sich etwas zögerlich, dann streicheln ihre Hände durch das weiche, weiße Fell von Ariosa. Sie füttern sie mit Leckerlis, longieren sie durch einen Slalom aus Hütchen und bürsten schließlich noch Hufen und Haare – ein richtiges Komplettprogramm.

Damit wolle die Gemeinde und der Gutshof die Kinder an den Umgang mit Tieren heranführen, sagt Elmar Baur. Und dabei gehe es auch darum, Verantwortung zu übernehmen. "In der heutigen Zeit ist ja sonst das Handy ein ganz wichtiger Partner für die Kinder und da geht natürlich vieles an sozialer Kompetenz verloren; an Mimik, an Bedürfnissen, die man nicht mehr so sieht. Und da ist ein Pferd ein ganz anderer Partner, der ganz andere Werte vermittelt. Das ist ein Lebewesen mit Bedürfnissen und da kann ein Kind dran wachsen."

Eine Reithalle mit Wohnzimmer-Flair

Vor Corona kam der Grundschulhort jeden Freitag zum Putzen, Ausmisten, Führen und Streicheln her. Jetzt läuft die AG langsam wieder an. Eine letzte Runde führen Lilly und Lina die Pferdedame durch die prächtige Reithalle. Große Kronleuchter hängen hier von der Decke, die Wände sind mit großflächigen Gemälden von Lipizzanern geschmückt. Das alles solle sich ein bisschen nach Wohnzimmer anfühlen, sagt Hofbesitzer Elmar Baur und zeigt auf die Plätze für die Zuschauenden. Unterschiedliche antike Sofas und Sitzmobiliare hat das Paar hier zusammengestellt.

Auch Bürgermeister Carsten Borchert strahlt, wenn er sieht, was aus der Idee heute geworden ist. "Wir sind kein Verein, wir sind eine Gemeinde, die das möglich macht", sagt Borchert. In Sachsen-Anhalt kenne er kein weiteres Gemeindepferd, ja nicht einmal in Deutschland. Wie um das zu bestätigen, lässt Ariosa ihr kräftiges, durchdringendes Wiehern los.

MDR (Daniel Tautz, Sascha Richter)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. November 2022 | 19:00 Uhr

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