Selbstversorger in der Altmark Mit nur 890 Euro Rente: Warum ein nachhaltiges Leben ein Abenteuer sein kann

24. Februar 2022, 09:04 Uhr

Christfried Lenz hat ein baufälliges Haus in der Altmark gekauft und bewohnbar gemacht. Er versorgt sich selbst mit Strom, Wärme und teilweise auch mit Essen. Für ihn ist das nachhaltige Leben ein Abenteuer – eines, das gleichzeitig Geld von der kostbaren Rente spart. Auch, wenn er im Winter manchmal abends eine Stirnlampe tragen muss.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Man sieht Christfried Lenz an, dass er schon viel erlebt hat. Falten durchziehen sein Gesicht, das sich zur Begrüßung zu einem beinahe jungenhaften Grinsen verzieht. Der 77-jährige Rentner hat das Mittelmeer besegelt, an der kommunistischen Revolution mitgearbeitet, sich mit verschiedensten Philosophen beschäftigt. Jetzt wohnt er in einem alten Fachwerkhaus im kleinen Dorf Rittleben in der Altmark, ganz in der Nähe des Ökodorfes "Sieben Linden". In seinem Fachwerkhaus und dem großen Garten lebt er ein sparsames, einfaches Leben als Selbstversorger.

Lange Woche der Nachhaltigkeit in Sachsen-Anhalt

Am Dienstag ist in Sachsen-Anhalt die lange Woche der Nachhaltigkeit gestartet. Organisiert unter anderem vom Netzwerk Zukunft wird es noch bis zum 8. Oktober in ganz Sachsen-Anhalt täglich verschiedene Veranstaltungen geben. Deren Ziel unter anderem: Zeigen, wie ein nachhaltiges Leben aussehen kann.

Nachhaltiges Leben spart Geld

Wer vor dem Fachwerkhaus an der Ecke einer einsamen Straße in Rittleben steht, könnte ins Grübeln kommen, in welchem Jahrhundert er gelandet ist – wären da nicht die Photovoltaik- und Solarthermie-Platten auf dem Dach. Das Gebäude ist ockerfarben und man sieht ihm sein Alter an. Christfried Lenz ist kein gelernter Handwerker, aber in und an seinem Haus ist fast alles in eigener Handarbeit entstanden. Aus Materialien, die er zumeist nicht gekauft hat, sondern gefunden. Oder geschenkt bekommen. Schließlich ist es am nachhaltigsten, zu nutzen, was schon da ist.

Nachhaltigkeit ist für ihn allerdings nicht nur Selbstzweck – sondern auch aus finanziellen Gründen nötig. Lenz bekommt nur 890 Euro Rente im Monat. Er hat in seinem Leben "nur das gemacht, worauf er Lust hatte", sagt er. Zweieinhalb Jahre ist er mit einem Katamaran übers Mittelmeer gesegelt, in West-Samoa hat er Musik gelehrt. Besonders viel Rente ist so nicht zusammengekommen. Aber Lenz kommt damit aus. "Das öffnet Türen, um unnötige Ausgaben und damit auch unnötige Umweltbelastungen zu vermeiden", sagt er.

Wandfarbe aus Sportplatzkreide, Mehl und Wasser

Das alte Fachwerkhaus hat Christfried Lenz Anfang der 2000er für 4.000 Euro gekauft. Zuvor hatte das baufällige Gebäude über zehn Jahre leer gestanden, erzählt er. Mit dem neuen Haus kamen viele Aufgaben auf ihn zu: Putz, Mauern und Teile des Dachs waren schadhaft. Lenz musste neue Backsteine einsetzen, die er gebraucht geschenkt bekommen hat. Im Innenraum hat er an vielen Stellen alten Lehm genutzt, um Wände oder die Einrichtung zu verputzen. Zum Schluss hat er die Innenräume mit weißer Farbe gestrichen, die er selbst angerührt hat – aus Sportplatzkreide, Wasser und Mehl. Was für viele absurd klingen mag, war für ihn einfach eine ökologische, günstige Wandfarbe.

Auch die Wärme erzeugt er in seinem Haus auf nachhaltige Weise mit erneuerbaren Energien: Sonnenwärme und Holz. Das Brennholz für den Ofen schlägt Lenz selbst im Wald – Totholz, das der Förster ihm zeigt. Auf dem Dach hat er zusätzlich Solarthermie-Platten, die Wasser in einem Pufferspeicher auf dem Dachboden erwärmen. Und zwar so gut, dass das Wasser sogar schon einmalbegonnen hat, zu kochen. Lenz musste einen zweiten Behälter mit mehr Wasser einbauen.

Später hat er außerdem noch Photovoltaik-Module auf dem Dach anbringen lassen. Die Module versorgen alle elektrischen Geräte im Haus mit Strom – den Herd, die Pumpe für die Heizung, die Kettensäge, den Laptop. Und auch die elektrische Orgel, die Lenz, ursprünglich Musiker, neben seinem Schreibtisch stehen hat. Knapp wird die Energie dabei nur selten: "Im Sommer ist das so viel Strom, das kann ich kaum selbst verbrauchen", erzählt Lenz. Er hat sich ein Elektrofahrzeug zugelegt, um einen Verbraucher mehr zu haben.

Im Winter mit Stirnlampe

Drei Viertel des Jahres, sagt Lenz, ist die Stromversorgung in seinem Haus keinerlei Problem. Im Winter, mit weniger Sonne, reicht der Strom nicht immer. Auf einem Rattanstuhl neben seinem Bett hat Christfried Lenz deswegen eine Stirnlampe liegen. An diesigen Tagen im Winter muss er sie abends aufsetzen, wenn er durchs Haus geht. So etwas wie Wäsche waschen kann er im Winter deswegen nicht an jedem Tag. Wenn er die Waschmaschine anschalten will, muss er auf einen Tag mit viel Sonne warten. Ein Problem ist das nicht, findet er. Mit dem Wetter verbunden zu sein, das bedeutet für ihn auch Lebendigkeit.

Mit dem Wetter geht Lenz auch, was sein Essen betrifft. In seinem Garten gibt es zwar keine abgegrenzten Beete, aber genug Gemüse. An einer Seite des Hauses wachsen Tomaten unter einem selbstgebauten Glasdach, an einer anderen aktuell Erbsen, Kürbis, Grünkohl und Sellerie. Gemüse muss Christfried Lenz also nur selten kaufen. Obst auch. Das pflückt er von Bäumen und Sträuchern, die auf Feldrändern und öffentlichem Grund wachsen. Erst neulich hat er 20 große Gläser Pflaumen eingemacht. Ganz kann er sich mit Nahrung aber noch nicht selbst versorgen. Einmal die Woche geht er in die Stadt und kauft, was er nicht selbst herstellen kann: Öl, Margarine, Salz, Zucker, Brot und mehr.

Wir denken immer, alles muss genau so sein, wie wir es uns gerade denken. Ich finde es schön, wenn nicht alles ganz genau geplant ist, ich brauche ein bisschen Abenteuer. Ich bin ein Teil der Natur und genauso flexibel wie das Wetter.

Christfried Lenz

Keine Angst vorm Alter

Auch an neue Kleidung kommt Christfried Lenz nicht wie die meisten anderen Menschen: Anstatt in einen Laden zu gehen, bekommt er von einem Bekannten gebrauchte Kleidungsstücke weitergereicht. Lenz nimmt sich, was ihm zusagt – er trägt nur Kleidung aus natürlichen Materialien. Wenn etwas kaputt ist, näht er es. Nicht unbedingt so, dass es aussieht wie zuvor. An den Knien seiner dunklen Jogginghosen sind gelbe Flicken. Sie halten ihn warm.

Dinge reparieren, selber machen, sich selbst versorgen – Christfried Lenz‘ Lebensstil ist nachhaltig, aber er bedeutet auch Arbeit. Körperliche Arbeit. Anstrengend findet Lenz das allerdings nicht – sondern befriedigend: "Als Konsument Dinge zu kaufen, ist nicht befriedigend. Wirkliche Befriedigung kommt von eigener Kreativität." Der 77-Jährige hat er keine Angst, im Alter die ganze Arbeit nicht mehr machen zu können. "Ich war im Leben allen möglichen Herausforderungen ausgesetzt und habe immer für alles eine Lösung gefunden. Egal, was passiert, es wird sich schon was finden", sagt er und lacht.

Erst der Kommunismus, dann der Klimawandel

Eines ist mehr als deutlich: Lenz ist Idealist. Er hat hat in seinem Leben viele Kämpfe gekämpft. Als junger Mann war er an der Gründung des Kommunistischen Bundes in Westdeutschland beteiligt. Lange war er sehr überzeugt von Marx‘ Theorie und dem Klassenkampf. Nach einem Musikstudium ist er Kraftfahrer geworden – um herauszufinden, warum die Arbeiterklasse keine Revolution beginnt. Dass die Revolution nicht kam, war ein harter Schlag für ihn, sagt er.

Jetzt führt er den Kampf gegen den Klimawandel und für die Energiewende. Er engagiert sich in einer Bürgerinitiative, die sich dafür einsetzt, dass der giftige "Silbersee" in Brüchau verschwindet. Und er hat lange Jahre vor Gericht dafür gekämpft, nur bestimmte Teile seines Rundfunkbeitrags zahlen zu müssen. Dass alle Menschen unabhängig von ihrem Reichtum den gleichen Beitrag zahlen müssen, hat ihn gestört.

Was wir lernen können

Die mit Lehm verputzten Innenwände im Fachwerkhaus sind nicht ganz glatt, die Farbe aus Sportkreide nicht ganz weiß. In den Ecken findet sich Staub und die eine oder andere Spinnwebe. Wie Christfried Lenz zu leben, ist nicht unbedingt etwas für jeden. Aber es ist der Beweis, dass ein sehr nachhaltiges Leben auch ohne viel Geld möglich ist. Und für die ein oder andere Person vielleicht eine Inspiration.

Die lange Woche der Nachhaltigkeit geht gerade erst los. Wer mehr darüber lernen will, wie ein Lebensstil wie der von Christfried Lenz möglich ist, ist vielleicht am 17.9. im Naturkundemuseum in Magdeburg gut aufgehoben – dort gibt es einen Vortrag darüber, wie neue Energien und Technologien bei einem nachhaltigen Leben helfen können. Am 23.9. können Interessierte auf einer Exkursion in Halle essbare Pflanzen bestimmen und sammeln. Und am 19.9. findet in Halle vor dem Weltladen eine "Straßendiskussion" statt. Thema: "Was brauche ich für ein gutes Leben?" Wer Christfried Lenz kennengelernt hat, wird darauf vielleicht antworten: "Weniger als man denkt."

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen – mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für die Journalismus-Startups Buzzard, Veto-Mag und Krautreporter.

Quelle: MDR/aso

27 Kommentare

Matthi am 17.09.2020

Dann muss er in die Stadt oder ins Altersheim weil es auf dem Land kaum noch Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten gibt selbst einen Pflegedienst wird er nicht finden weil für eine Person kommt kein Pflegedienst zu unrentabel.

Matthi am 17.09.2020

Den Rentenanspruch hat man sich erarbeitet durch Beiträge und wenn nicht zum Schluss eine Menschenwürdige Rente rauskommt muss man schon mal die Frage stellen was haben die Verantwortlichen mit den Beiträgen gemacht, Glaspaläste übige Gehälter und nicht zu vergessen das die Regierung schon mal in die R Kasse gegriffen hat um Haushaltslöscher zu stopfen.

Matthi am 17.09.2020

wwdd wer auch immer dahintersteckt ich weiß nicht ob Sie eine Ausbildung haben. In der DDR hat fast jeder eine Ausbildung gemacht so auch mein Bekannter ohne Facharbeiterabschluss heute IHK hätte er nicht als Elektriker arbeiten können und als Elektriker Klempner Fliesenleger usw. muss man schon ein bisschen mehr auf den Kasten haben als am Computer zu sitzen und an vorgefertigter Software zu arbeiten. Ohne uns Handwerker hätten sie kein Dach übern Kopf ein trocken Klo und die Kerze für Licht. Wenn alle Studieren wer setzt dann die Theorie in die Wirklichkeit um. Ihre Meinung finde ich arrogant ich hoffe Sie brauchen nie einen Handwerker.

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