AltmarkWarum Landwirte bei der Weizenernte zu Börsenmaklern werden
36 Millionen Tonnen Getreide könnten die deutschen Bauern in diesem Jahr von den Halmen holen. Das geht aus der jüngsten Schätzung des Statistischen Bundesamtes hervor. Weizen ist dabei die bedeutendste Getreideart. Aber wie gut ist die Weizenernte in diesem Jahr?
- Für die Landwirte in Sachsen-Anhalt steht die Erntezeit an, auch für einen landwirtschaftlichen Betrieb aus dem altmärkischen Wallstawe.
- Bei der Weizenernte hatten die Landwirte in diesem Jahr auf eine Rekordernte gehofft.
- Die Qualität des Weizens ist aber von Schlag zu Schlag unterschiedlich.
Neben jeder Menge Berufserfahrung setzt Norbert Kühl auf diesen Handdrescher für eine erste Reifeprobe. Es ist Ende Juli. Der Ackerbauchef will herausfinden, ob er den Startschuss für die Weizenernte geben kann.
"Mit dem Gerät können wir prüfen, wie trocken der Weizen ist, ob noch zu feucht, oder ob wir starten können", sagt Kühl. 14,5 Prozent Feuchte wären optimal. Erst wenn das Gerät einen Wert nahe diesem Bereich anzeigt, kann die Ernte beginnen. Das Ergebnis lautet 20,4 Prozent Feuchte.
Verantwortlich für 3.000 Hektar Land
Es ist folglich noch Zeit, der Weizen nicht trocken genug, denn zu nass bedeutet hohe Trocknungskosten, zu trocken hingegen weniger Gewicht und damit weniger Gewinn. Der Weizen der altmärkischen GbR Wallstawe muss also noch reifen. Landwirt Fred Neuling leitet den Betrieb und ist damit verantwortlich für knapp 3.000 Hektar Land, 1.600 Kühe und Kälbchen sowie mehr als 60 Mitarbeiter. Der 34-jährige Geschäftsführer hofft in diesem Jahr auf eine Rekord-Weizenernte, hat zwei Drittel des Weizens, der noch nicht einmal geerntet ist, bereits verkauft. Neuling sagt: "Ich bereite natürlich oder gucke natürlich ständig, wie sind die Preise, gehen die Preise hoch, runter."
Neuling muss immer wieder abwägen: Ist der Weizenpreis hoch genug, um direkt zu verkaufen, oder sollte er noch warten und einlagern trotz entstehender Lagerkosten. Eine Entscheidung, die Fred Neuling und sein Ackerbauleiter Norbert Kühl mindestens Tag für Tag, teilweise Anhänger für Anhänger treffen müssen, denn darüber entscheidet auch die Qualität des Weizens, die von Schlag zu Schlag stark variieren kann. Um möglichst hohe Gewinne einzufahren, wird der Landwirt daher eher zum Börsenmakler.
Wie groß ist der Preisdruck?
"Dazu gehört auch Nachrichten lesen, Signale vom Weltmarkt deuten, bestimmte Veranstaltungen besuchen, wo auch Börsenmarkler oder Agrarmarktwissenschaftler teilnehmen, die sich damit täglich beschäftigen", sagt Neuling. Daraus versucht der Landwirt dann für seinen Betrieb möglichst gut abzuleiten, wann er welches Getreide verkauft. Fred Neuling vertreibt sein Getreide dabei in alle Welt.
Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas und möchte in die EU. Sorgt das aus seiner Sicht für noch größeren Preisdruck? "Ob jetzt die Ukraine EU-Mitglied ist oder nicht, sehe ich bezogen auf den Weltmarktpreis Weizen, an dem wir uns auch orientieren und mit dem wir zu tun haben, keinen viel größeren Einfluss, als er jetzt auch hat", so Neuling. Der Fokus in Wallstawe liegt daher klar auf den heimischen Weizenfeldern.
Weizen muss trocknen
Neuer Ernteversuch zwei Wochen später. Wieder ist Norbert Kühl mit seinem Handdrescher im Weizenfeld und misst die Feuchte. 15,1 Prozent Feuchte zeigt das Gerät früh am Vormittag. Wenn die Sonne den Weizen noch eine Stunde lang vom Tau trocknet, wird der Wert optimal sein.
Die Weizenklassen
Weizensorten werden nach festgelegten Mindeststandards eingestuft. Diese sind:
Als A-Gruppe wird "Qualitätsweizen" bezeichnet, der über hohe Protein- und Sedimentationswerte verfügt.
Die B-Gruppe umfasst diejenigen Sorten, die als „Brotweizen“ für die Gebäckherstellung gut geeignet sind.
In die C-Gruppe wird Weizen mit niedrigem Protein-Gehalt eingeordnet, der hauptsächlich als Futterweizen verwendet wird.
Als "Eliteweizen" wird die E-Gruppe mit sehr hohen Werten bezeichnet, die für die meisten heimischen Brot- und Gebäckrezepturen fast zu hoch sind. Eliteweizen wird aber zum Ausgleich von Backschwächen anderer Sorten genutzt.
In die K-Gruppe (für "Keksweizen") sind diejenigen Sorten eingruppiert, die diesem Verwendungszweck entsprechend niedrige Werte haben.
Kühl informiert das Drescherteam: "Ich wollte noch mal Bescheid sagen, wir können jetzt anfangen, das Korn ist reif und trocken genug." Während die Mähdrescher anrücken, lässt Norbert Kühl die Dreschprobe im Landhandel VSE Dähre auf Proteingehalt und Backeigenschaft testen. Dabei stellt sich heraus, dass es sich um A-Weizen handelt.
"Eine Rekord-Ernte wird es nicht"
Weizen wird in Deutschland sehr streng kontrolliert. Konkret lässt der Ackerbauchef aus jedem einzelnen Anhänger in der Weizenernte eine Probe ziehen. Je höher die Qualität, desto teurer lässt sich das Getreide schließlich verkaufen und jede Qualitätsstufe bringt aktuell 20 bis 30 Euro mehr pro Tonne.
Qualität ist das eine, aber wie steht es um die Quantität? "Sieht so aus, als wenn es eine durchschnittliche Weizenernte wird", so Geschäftsführer Fred Neuling. "Aber eine Rekord-Ernte wird es nicht. Das ist schon absehbar." Denn auf eine Rekordernte hatte Fred Neuling aufgrund der guten Wetterverhältnisse eigentlich gehofft. Zudem will er noch warten mit dem aktuellen Weiterverkauf, denn momentan liegt der globale Weizenpreis bei knapp 220 Euro pro Tonne und damit bei 50 Euro weniger als noch im Mai.
MDR (Carina Emig, Daniel George)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 09. August 2024 | 19:00 Uhr
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