Waldimir-Komarow-Schule
Die Wladimir-Komarow-Schule in Stendal profitiert von einem Förderprogramm des Bundes für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Bildrechte: MDR/Bernd-Volker Brahms

Programm des Bundes Heiß ersehnter Geldsegen für Brennpunktschulen

20. August 2024, 05:00 Uhr

Niemand nimmt das Wort "Brennpunktschule" gerne in den Mund – schon gar nicht offiziell. Aber in vielen Städten gibt es Schulen, an denen der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und Kindern aus finanzschwachen Familien wächst. Mit dem Millionen Euro schweren Programm "Start-Chancen" soll in den kommenden zehn Jahren "Schulen mit Herausforderungen" geholfen und eine größere Chancengerechtigkeit für die Kinder geschaffen werden. Mit dabei ist die Wladimir-Komarow-Sekundarschule in Stendal.

Ein Mann steht vor einem Bücherregal
Bildrechte: MDR/Hannah Singer

Kinder aus 27 verschiedenen Ländern besuchen derzeit die Wladimir-Komarow-Sekundarschule im Stendaler Plattenbauviertel "Stadtsee". Das Schulgebäude aus den 1970er-Jahren wird gerade erstmals saniert. Lange Zeit wurde damit gerechnet, dass die Schule irgendwann nicht mehr benötigt wird. Doch nun platzt sie aus allen Nähten. Gelernt wird teilweise provisorisch in Containern.

320 Kinder – überwiegend aus finanzschwachen Familien und mit Migrationshintergrund – besuchen die Schule. Keine optimalen Voraussetzungen, sagt die Schulleiterin Christiane Bloch: "Ich sehe schon, dass unsere Kinder benachteiligt sind. Wenn ich 28 Kinder in einer Klasse habe und dort maximal drei bis fünf Muttersprachler drin sind, dann brauche ich da Unterstützung." Oft stoßen Kinder kurzfristig dazu, können teilweise so gut wie kein Wort Deutsch. Zuletzt mussten 40 ukrainische Schülerinnen und Schüler in den Schulalltag integriert werden – ein Drittel aller ukrainischen Kinder an Sekundarschulen im Landkreis Stendal. Schon länger werden Ankömmlinge zunächst in einer internationalen Klasse gebündelt, ehe sie auf die Klassen verteilt werden.   

Schulleiterin Christiane Bloch
Schulleiterin Christiane Bloch freut sich über die Aufnahme in der "Start-Chancen"-Programm. Bildrechte: MDR/Bernd-Volker Brahms

30 Schulen aus Sachsen-Anhalt starten im Programm

Der Landkreis Stendal ist Träger der Schule. Man kennt im Landratsamt die ungleiche Verteilung der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Handlungsbedarf sieht Landrat Patrick Puhlmann (SPD) indes nicht. "Die Schule hat sich darauf eingestellt. Das Lehrerkollegium leistet dort seit Jahren großartige Arbeit und das ist einfach zu honorieren", sagte Puhlmann. Man wolle jetzt nicht einfach dazwischen grätschen, in dem man "durch irgendwelche Aktionen wie Schuleinzugsbereiche oder der Neuverteilung" eingreife. "Sollte das irgendwann mal eine andere Situation werden, dann muss man neu nachdenken", so der Landrat weiter. Von einer Brennpunktschule könne schon gar nicht gesprochen werden.  

Schulleiterin Christiane Bloch ist heilfroh, dass nun mit dem "Startchancen-Programm des Bundes" eine massive Unterstützung kommt. "Auch wenn jetzt eine Menge Arbeit auf uns wartet, haben wir uns sehr gefreut, dass wir berücksichtigt wurden", sagt sie. Die Komarow-Sekundarschule und auch die benachbarte Gagarin-Grundschule gehören zu den landesweit 30 ersten Schulen, die ins Programm aufgenommen wurden. Insgesamt werden es ab 2025 dann 97 Schulen landesweit sein, wie das Bildungsministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mitteilt.

Patrick Puhlmann
Landrat Puhlmann sieht die Wladimir-Komarow-Sekundarschule nicht als Brennpunktschule. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Klaus-Dietmar Gabbert

Höhe der Gelder noch unbekannt

Grundlage für die Auswahl seien gemeindegenaue Daten zur Armutsgefährdung und schulscharfe Daten zur Migration und zum Sprachförderbedarf gewesen, sagt Elmar Emig, Sprecher des Bildungsministeriums. Wie viel Geld nun jeweils in die Schulen fließen wird, stehe noch nicht fest. Insgesamt wollen Bund und Länder für die kommenden zehn Jahre bundesweit 20 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Eine Übersicht der ausgewählten Schulen stellt das Bildungsministerium auf seiner Webseite bereit.

Über das "Startchancen-Programm" Insgesamt können in Sachsen-Anhalt 97 Schulen nach dem Programm "Startchancen" gefördert werden. Darunter sind 58 Grundschulen, 29 weiterführende Schulen (davon 17 Sekundarschulen, zehn Gemeinschaftsschulen, ein Gymnasium, eine Gesamtschule), drei Förderschulen sowie sieben Berufsbildende Schulen. Keine private Schule erfüllte die Sozialkriterien, die für eine Berücksichtigung notwendig waren.

Jeder Zehnte verlässt Schule ohne Abschluss

"Das ist ein zentraler Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit auch in unserer Region", sagt der Stendaler SPD-Bundestagsabgeordnete Herbert Wollmann. Der Bildungserfolg sei in Deutschland immer noch zu sehr von der sozialen Herkunft abhängig. Dem können mit dem Programm entgegengewirkt werden, sagt er. Bundesweit sollen rund 4.000 Schulen profitieren. Im Landkreis Stendal verließen 2022 insgesamt 15,2 Prozent aller Schulabgänger die Schule ohne Abschluss. Sachsen-Anhalt ist bundesweit mit rund zehn Prozent Spitzenreiter, wobei allerdings das Hinzuziehen von Förderschulen die Statistik etwas verzerrt.

Das Programm "Startchancen" besteht aus drei Säulen. Es soll Geld fließen für bauliche Veränderungen an den Schulen, um damit bestimmte pädagogische Konzepte umsetzen zu können. Es soll zusätzliches pädagogisches Personal eingestellt werden. Außerdem sollen die Schulen durch ein individuelles Budget eigene Schwerpunkte setzen können. 

Auftakt im Herbst

"Wir haben bisher noch keine näheren Informationen", sagt Schulleiterin Bloch. Nichtsdestotrotz wurde bereits eine Steuergruppe aus fünf Lehrkräften gebildet, die erste Ideen zu Papier bringen. Im Herbst soll es dann eine Auftaktveranstaltung in Halberstadt mit den 30 bisher ausgewählten Schulen geben, teilt Ministeriumssprecher Emig mit.

Insbesondere bei dem Engagement zusätzlicher Lehrkräfte hat Schulleiterin Bloch einige Sorgenfalten: "Die finanziellen Mittel dafür sind da, aber wir merken ja jetzt schon bei den Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen, dass eben nicht so viel am Markt vorhanden ist." Sie wünscht sich Unterstützung von außen. "Wir brauchen multiprofessionelle Teams", sagt sie. Es müsse gerade in den Kernfächern Deutsch und Mathematik in kleineren Lerngruppen gearbeitet werden.

Erste Ideen sollen nach den Sommerferien 2025 realisiert werden

Eine Aufgabe werde es aber auch sein, dass jetzt beschäftigte Personal auf die neuen Aufgaben einzustellen. "Wir sind jetzt im ersten Jahr in der Findungsphase", sagt Christiane Bloch. Nach den Sommerferien 2025 soll es erste Ansätze in der Praxis geben.

Dann werden nach derzeitigem Stand auch die provisorischen Container auf dem Schulgelände abmontiert. Die Sanierung der Schule, die schon länger vor dem "Startchancen-Programm" in die Wege geleitet wurde, soll dann abgeschlossen sein. Rund 2,6 Millionen Euro investiert der Landkreis Stendal. Zur Großbaustelle an der Schule wird dann die Umsetzung des "Startchancen-Programms".      

MDR (Bernd-Volker Brahms, Fabienne von der Eltz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. August 2024 | 07:30 Uhr

6 Kommentare

der Steuerzahler vor 29 Wochen

Die Komarow-Schule in Stendal ist wohl die Schule im Landkreis, die seit Jahrzehnten (also schon weit vor 2015) mit den größten Herausforderungen zu kämpfen hat, was vor allem mit dem sozialen Umfeld im Wohngebiet Stadtsee zu tun hat. Die Herausforderungen sind durch zahlreiche Flüchtlinge in den letzten Jahren nochmal deutlich gestiegen. Die Lage dort ist jedoch mit einem Großteil der Sekundarschulen im Landkreis nicht im Ansatz zu vergleichen, weil es dort nur wenig bis gar keine Schüler mit Migrationshintergrund gibt.

Es ist daher sinnvoll diese Schule gezielt zu fördern, damit wir in Zukunft diese Kinder möglichst gut ausgebildet auf dem Arbeitsmarkt integrieren können. Sie stellen zumindest eine Möglichkeit dar, die man ergreifen kann.

Nicht geborene Kinder ohne Migrationshintergrund können in 30 Jahren nämlich zu 100% keine Bettpfannen leeren oder Haare schneiden.

Sonnenanbeter vor 29 Wochen

Diese Art von Symbolpolitik stößt früher oder später dann an Grenzen, wenn die älteren Lehrkräfte nach und nach in Rente gegangen sind, und nicht durch jüngere ersetzt werden können. Das ist nur eine Frage der Zeit. Die Attraktivität solcher Schulen nähert sich dem Nullpunkt, wenn nur noch eine Minderheit der Beschulten der deutschen Sprache mächtig ist, wohlgemerkt in einer Sekundarschule. Zu meiner Zeit wurde man erst gar nicht eingeschult, wenn man sich als Kind (noch) nicht hinreichend artikulieren konnte, aus gutem Grund. Die meisten Lehrer sind, und wollen auch nebenher keine Dolmetscher sein, sondern wurden ausgebildet in einer bestimmten Fächerkombination, aus der sie ihr Wissen weitergeben, und die Schüler damit zu Abschlüssen verhelfen sollen. Wer sich diesen neuen Bedingungen dauerhaft stellen möchte, muss eine enorme Frustrationstoleranz mitbringen. Die Gefahr der Selbstaufgabe ist hier enorm...

Sonnenanbeter vor 29 Wochen

"28 Kinder in einer Klasse habe und dort maximal drei bis fünf Muttersprachler drin sind...". Das kann doch nicht zum Normalzustand werden, den man unwidersprochen hinnimmt. Die Einstellung vom Landrat ist mehr als bedenklich. Problem bekannt, funzt aber (noch) irgendwie. Da möchte man nicht "dazwischen grätschen". Nichtstun = "honorieren"? Ernsthaft? Unter diesen Bedingungen wird es in Zukunft immer schwieriger werden, überhaupt noch geeignetes Lehrpersonal zu finden. Diesem zusätzlichen Stress möchten und werden sich die wenigsten freiwillig aussetzen. Stendal ist nicht der Nabel Deutschlands, der Lehrermarkt stark umkämpft...

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