
Landkreis Stendal Warum Gewalt gegen Frauen auf dem Land öfter unentdeckt bleibt
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02. Juli 2024, 11:23 Uhr
Frauen aus Stendal wollen die Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt schärfen. Eine grell angestrichene Bank soll auf das Problem aufmerksam machen und Betroffenen als erster Anlaufpunkt dienen. Aus Sicht der Initiatoren sind Gewalterfahrungen im ländlichen Raum noch schambehafteter.
- Sind Gewalterfahrungen für Frauen auf dem Land ein größeres Tabu als in der Stadt?
- Landfrauen aus Stendal haben das Problem jetzt mit einer grell angestrichenen Bank vor Ort sichtbar gemacht.
- Wie das Projekt bislang läuft.
Bei häuslicher Gewalt säßen Frauen auf dem Land noch einmal anders in der Klemme als in der Stadt. Das jedenfalls finden Michaela Oneßeit und Beate Güldenpfennig, Landfrauen aus Gohre und Dahrenstedt nahe Stendal. Vor allem, weil im Dorf jeder jeden kenne und betroffene Frauen daher oft nicht wüssten, wem sie vertrauen und wen sie ansprechen könnten.
Da sei die Angst vor dem Getuschel im Ort und den womöglich folgenden schmerzhaften Konsequenzen zu Hause. Auch die Polizei zu verständigen oder sich bei Interventionsstellen oder im Frauenhaus Hilfe zu holen, sei komplizierter als in der Stadt.
Orangene Bank soll Bewusstsein schaffen
Um das Problem stärker ins Bewusstsein zu rücken, haben die Landfrauen eine Bank anfertigen lassen und grell orange angestrichen. Nicht nur die Farbe, auch der Schriftzug "Kein Platz für Gewalt gegen Frauen" darauf soll ins Auge stechen. Die Bank, die nun zunächst in der Wandelhalle der Stadtverwaltung Stendal steht, sei als Einladung gedacht, um miteinander zu reden, sagt Michaela Oneßeit.
Sie ist auch im Landesvorstand des Landfrauenverbandes Sachsen-Anhalt aktiv. Möglicherweise sei die Hemmschwelle, auf der Bank zu sitzen und zu berichten niedriger, als offizielle Hilfsstellen oder gar die Polizei aufzusuchen. Auf der Bank könne ein Gespräch beginnen, außerdem sei sie ein Mahnmal, das in den Dörfern häusliche Gewalt gegen Frauen ebenso zu Hause ist wie in der Stadt.
"Sitzen auf Bank wie Hilfeschrei"
Tatsächlich erweckt die Bank Interesse. Sich darauf zu setzen, traute sich in den Stunden der Beobachtung durch MDR SACHSEN-ANHALT aber niemand. Das hat verständliche Gründe. Eine blonde Frau mittleren Alters, die ihren Namen nicht nennen mochte, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, wenn eine Frau auf der Bank Platz nähme, wäre das, als würde sie laut um Hilfe schreien. Dabei sei den meisten Opfern daran gelegen, nicht aufzufallen.
Eine junge Frau aus Stendal, die ebenso anonym bleiben möchte, sagte, sie hätte Angst vor den Konsequenzen. Sie vertraue nicht darauf, im Fall des Falles Hilfe in dem Ausmaß zu bekommen, in dem man sie bräuchte, dass – zum Beispiel – der gewalttätige Partner keine Gelegenheit mehr bekäme, ihr oder ihren Kindern zu begegnen.
Aktion läuft schleppend an
Selbst die Initiatorinnen der Aktion waren anfangs enttäuscht. Zur Einweihung der Bank waren wesentlich weniger offizielle Gäste gekommen, als eingeladen waren. Lediglich die Landtagsabgeordnete Juliane Kleemann (SPD) war gekommen. Stendals Oberbürgermeister Bastian Sieler (parteilos) stahl sich für ein paar kurze Grußworte für eine Viertelstunde aus einer Sitzung. Stendals Landrat Patrick Puhlmann (SPD) blieb fern, ließ aber verlauten, er halte die Aktion für sehr wichtig.
Visitenkarten von Beratungsstelle schnell vergriffen
In den Folgetagen jedoch stellten Michaela Oneßeit und ihre Mitstreiterinnen fest, dass durchaus Interesse an ihrem Anliegen besteht. Auf der Bank hatten die Landfrauen und auch die Vertreterinnen der Interventionsstelle "MißMut" Visitenkarten hinterlassen. Die ersten waren bereits nach zweieinhalb Stunden vergriffen. Mittlerweile sind etwa 60 Visitenkarten und Flyer von der orangen Bank mitgenommen worden.
Ab Juli "wandert" die orange Bank durch Stendals 18 Ortschaften. Ein QR-Code auf den ausgelegten Visitenkarten offenbart Hilfsmöglichkeiten in der Region und überregional.
Beratung und Unterstützung bekommen Sie als Betroffene in den Frauenhäusern, bei der Polizei, in ambulanten Beratungsstellen, in Interventionsstellen (zum Beispiel "MißMut e.V." in Stendal) oder am "Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen" unter 08000 116 016.
MDR (Katharina Häckl)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. Juni 2024 | 17:11 Uhr
schmulle83 vor 41 Wochen
Generell ist es äußerst wichtig auf dieses Thema hinzuweisen. Allerdings ist es für Betroffene keineswegs ganz so einfach in der Umsetzung möglich, entsprechende Hilfen zu bekommen.
Ich selbst war 10 Jahre Opfer häuslicher Gewalt durch den eigenen Ehemann. Den Landkreis, das Frauenhaus oder auch den Verein Miß Mut in den einzelnen Gewaltsituation quasi vor der Tür und dennoch unerreichbar. Man ruft auch mal nicht eben einfach die Polizei. In diesen Situationen ist es kaum bis unmöglich.
Als damaliges Opfer und Betroffene, würde ich aus heutiger Sicht niemandem dazu raten, sich Hilfe zu suchen und den Mund auf zu machen. Als Opfer steht man in der Beweispflicht und nicht einmal die Familienrichter entscheiden oder verhalten sich gegenüber den Gewaltopfern angemessen.
Im Zweifel für den Angeklagten.
Leider traurige Gewissheit und an der Tagesordnung.
Sich davon zu befreien ist ein Überlebenskampf und wenn man mit dem Täter oder der Täterin verheiratet ist und Kinder hat ein Alptraum.
Nudel81 vor 41 Wochen
Sehe das anders. Egal ob Land oder Stadt für die Opfer ist es immer schwierig auf sich aufmerksam zumachen und Hilfe zu bekommen. Da gibt es keine Unterschiede.
Maria A. vor 41 Wochen
Hoffentlich behalten die bisher als Sitzgelegenheiten genutzten Bänke ihre Funktion, falls sich das Projekt ausweitet auf weitere Mahnmal-Varianten mit anderen Anstrichen.