StendalNachtigal-Büste gestohlen: Metalldiebstahl oder politischer Aktivismus?
Wo bis vor wenigen Tagen noch das Abbild von Gustav Nachtigal auf die Stendaler Bahnhofstraße blickte, steht jetzt nur noch ein Sockel. Die Büste des Afrikaforschers ist gestohlen worden. Das Motiv der Täter ist unklar: Metalldiebstahl, aber auch politischer Aktivismus könnten dahinterstecken. Denn Nachtigal ist umstritten, auch über die Grenzen der Altmark hinaus.
In Berlin wurde der Nachtigalplatz schon vor Jahren umbenannt und auch die Gustav-Nachtigal-Straße in Köln soll bald einen neuen Namen bekommen. Der Grund dafür: Gustav Nachtigal war in seinen letzten Lebensjahren Kolonialbeamter. Als Reichskommissar gründete er deutsche Kolonien in Westafrika. Für viele steht sein Name deshalb in Verbindung mit den deutschen Kolonialverbrechen und soll aus den Stadtbildern getilgt werden.
Nachtigal war Altmärker
In Stendal gibt es nicht nur immer noch einen Nachtigalplatz und eine Dr.-Gustav-Nachtigal-Straße, sondern bis zum vergangenen Wochenende auch eine bronzene Nachtigal-Büste. Denn Gustav Nachtigal war Altmärker: Er wurde 1834 in Eichstedt im Kreis Stendal geboren.
Jetzt steht auf dem Nachtigalplatz nur noch ein Sockel mit seinem Namen und seinem Geburts- und Sterbejahr darauf. Die Büste selbst ist verschwunden – von den Tätern gibt es bisher keine Spur.
Man könne nur spekulieren, ob es sich dabei etwa um Metalldiebstahl handelt oder etwas anderes hinter der Tat steckt, so der Stendaler Oberbürgermeister Bastian Sieler. "Vielleicht will man sich den Herrn Nachtigal selbst in den Garten stellen oder es ist politisch motiviert, ich weiß es nicht. Der Name ist ja nicht ganz unumstritten in Deutschland", sagt er und spielt damit auf Nachtigals Kolonialamt an.
Bedeutsamer Forscher oder brutaler Kolonialherr?
Ursprünglich war Gustav Nachtigal 1862 nach Afrika gereist, um sich von seiner Tuberkulose-Erkrankung zu erholen. Später begab er sich auf sechsjährige Forschungsreise durch Libyen, Nigeria, den Tschad und den Sudan bis nach Ägypten. Seine Erkenntnisse schrieb er in seinem dreiteiligen Reise- und Forschungsbericht "Sahara und Sudan" nieder, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Die Berliner Gesellschaft für Erdkunde machte Nachtigal zu ihrem Präsidenten.
1882 trat Nachtigal in den Dienst des deutschen Kaiserreiches, zunächst als Generalkonsul in Tunis. Zwei Jahre später ernannte Otto von Bismarck ihn zum Reichskommissar für Deutsch-Westafrika – das Amt, wegen dem heute Straßen mit seinem Namen darin umbenannt werden.
Seine Aufgabe war es, zuvor durch hanseatische Kaufleute erworbene Gebiete zu deutschen Kolonien zu erklären. Dabei setzte er teils erpresserische Methoden wie Geiselnahme und militärische Gewalt ein. So gründete er formal die Kolonien Togo, Kamerun und Südwestafrika (heute Namibia). Nach nur einem Jahr im Amt starb er an Tuberkulose.
Was war Nachtigal nun: Forscher oder Kolonialist? Beides, sagt der Stendaler SPD-Ortsvorsitzende Jacob Beuchel. Er setzt sich für eine zeitgemäße Aufklärung über Nachtigal ein, organisierte in der Vergangenheit Workshops über Kolonialismus und kritische Stadtrundgänge.
Differenzierte Aufklärung statt Umbenennung
Die Person Nachtigal sieht Beuchel differenziert, auf eine Stufe mit anderen Kolonialherren stellt er ihn nicht: "Ich würde Nachtigal nicht als Menschen einstufen, der per se einen nationalistischen Gedanken verfolgt hat. Vielleicht hat er sich eher aus Naivität oder aus der Suche nach Ressourcen für seine Entdeckungen davon überzeugen lassen." Genau wissen könne man das aber nicht, sondern nur anhand seiner Aufzeichnungen mutmaßen.
Entsprechend fordert Beuchel auch nicht die Umbenennung des Stendaler Nachtigalplatzes nach Berliner Vorbild. Stattdessen wünscht er sich facettenreichere Aufklärung, die Nachtigals Zeit als Kolonialbeamter stärker einbezieht. Eine Gedenktafel auf dem Nachtigalplatz wäre dafür ein guter erster Schritt, außerdem ausführlichere Informationen über sein Kolonialamt im Altmärkischen Museum.
Auch Oberbürgermeister Sieler geht nicht davon aus, dass Nachtigalplatz und Dr.-Gustav-Nachtigal-Straße in Zukunft neue Namen bekommen. "Im Gegensatz zu Hamburg oder anderen Städten ist Herr Nachtigal Stendaler, das ist ja nochmal was anderes. Und er ist auch weltweit bekannt, zumindest für das Gute was er gemacht hat, für das Forschen." Einen konkreten Antrag zur Namensänderung habe es bisher auch gar nicht gegeben. "Aber natürlich wandelt sich die Zeit. Also eine Ewigkeitsgarantie gibt es da nicht", ergänzt er.
Zeitnah ersetzt wird die Büste trotz des Wohlwollens Nachtigal gegenüber aber auch nicht. Sie ist laut Sieler nicht versichert und ein Neubau wäre teuer. Man hoffe im Rathaus eher darauf, dass die polizeilichen Ermittlungen etwas ergeben. "Ich vermute aber wie bei anderen Fällen, dass da kaum mehr eine Chance besteht", räumt der Oberbürgermeister ein.
MDR (Saskia Affolter)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Dezember 2024 | 15:30 Uhr
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