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DokumentationStendal: Das Mehr im "Nüscht"

02. August 2022, 08:47 Uhr

Zugezogene und Rückkehrer fassen Fuß und in Stendal. Noch ist es ein kleiner Trend, aber zunehmend entscheiden sich gut ausgebildete und motivierte junge Leute bewusst für ein Leben in der Provinz. Ein beliebtes Ziel dabei: das "Nüscht", also die Altmark. Vier Beispiele.

Rückkehr zur Familie

Wie viele junge Stendaler zieht es auch Thomas Laleike nach der Ausbildung in die großen Metropolen. Zuerst nach Köln, dann für lange Jahre nach Hamburg.

Doch vor sechs Jahren reift in dem IT-Experten der Entschluss zurückzukehren, wie er erzählt: "Ich habe mich in Hamburg nicht mehr wohlgefühlt. Ich war Teamleiter, arbeitete zehn Stunden am Tag, hatte kaum noch Freizeit. Für mich war klar, ich will wieder näher an die Heimat ran."

In Stendal leben seine Eltern. Vater Rüdiger Laleike hat in der Stadt als Designer einen Namen, entwarf unter anderem das markante Stadtsignet. Thomas arbeitet zunächst im Büro des Vaters und startet dann als freiberuflicher Web-Designer durch. Schnell findet der 44-Jährige Auftraggeber.

Er stellt fest, mit seiner Geschichte ist er nicht allein: "Ich weiß gar nicht, ob ich der einzige Rückkehrer zu dem Zeitpunkt war oder einer der wenigen. Seitdem ich hier bin, kenne ich einige, die aus ganz ähnlichen Gründen zurückgekommen sind. Wir haben ja auch unsere Rückkehrer-Messe hier in Stendal, um es den Leuten einfacher zu machen. Um zu sagen, hier passiert relativ viel. Auch die Wirtschaft wartet auf euch. Kommt einfach her, es ist schön."

In the Middle of Nüscht

Sibylle Sperling kam 2009 mit ihrer Familie in die Stadt. Die Berliner Autorin erlebt das kleinstädtische Leben zuerst als tiefen Fall ins "Nüscht". Während ihr Ehemann als Chefarzt einen ausfüllenden Job hat, muss sie sich als junge Mutter in der Provinz zurechtfinden. Schritt für Schritt erobert sie sich die Stadt und das Drumherum, die Altmark. Sie findet eine Stelle als Lokaljournalistin und durch ihre Reportagen stößt sie auf überraschend viel Erzählens- und Entdeckenswertes.

Der dunkelste Himmel Deutschlands, regelmäßige Backtage im malerischen Dörfchen Wanzer, einsame Radwege durch weites Land – gemeinsam mit mehreren Mitstreitern beschreibt sie die Altmark 2018 in dem alternativen Reiseführer und Bestseller "In the Middle of Nüscht". Der Erfolg des Gemeinschaftswerks bestärkt sie, sich weiter für die neugefundene Heimat zu engagieren: "Ich merke den Enthusiasmus, die Region voranzubringen, zu stärken, die Heimat zu stärken, die Lebensqualität. Das sieht man an verschiedenen interessanten Projekten. Ich finde es auch gut, dass wir noch Luft haben, uns zu entwickeln. Dass wir noch Platz haben, dass wir noch etwas schaffen können. Hier ist nicht alles schon besetzt. Da sehe ich total viel Potential."

Mit der Rikscha durch Stendal

Nora Knappe holt die erste Fahrradrikscha nach Stendal. Im Rahmen des internationalen Projekts "Radeln ohne Alter" sucht sie einen Träger, akquiriert Fördermittel und chauffiert nun kostenlos und ehrenamtlich ältere Stendalerinnen und Stendaler durch ihre Stadt. Über Umwege landet die Wernigeröderin vor über zehn Jahren in Stendal. Auch wenn sie sich beruflich gerade umorientieren muss, sie weiß, was sie bleiben lässt: "Ich bin gerne hier und auch wenn mal das Leben nicht ganz rund läuft, ist es keinen Grund, gleich wegzulaufen. Das Schöne ist, man findet hier immer wieder einen Punkt, der einen neuen Anfang ermöglicht. Man hat eine Idee und auf einmal hat man ein Projekt am Laufen, wie mit dieser Rikscha zum Beispiel."

Jung und innovativ – auch das ist Stendal. Vor 30 Jahren wird mitten in der Altmark eine Hochschule gegründet. Heute bevölkern 1.800 Studierende den Campus Stendal, belegen BWL oder innovative Studiengänge wie Rehabilitationspsychologie und Kindheitswissenschaft. Studieren im Grünen, enger Kontakt zu den Lehrenden, kurze Wege und eine familiäre Atmosphäre sprechen immer mehr junge Studierende an. Der Klebeeffekt - die Zahl der Absolventen, die in der Region bleiben - ist hoch, wie der Prorektor der Hochschule Magdeburg-Stendal, Volker Wiedemer, stolz berichtet: "Über die Hälfte der Studierenden bleiben nach dem Studium bei uns. Das ist eine besonders hohe Quote. Das macht es besonders interessant für die Region, dass hier nicht nur Fachkräfte ausgebildet werden, sondern auch ihre Wirkung für die Region erzielen."

Familiengründung in der Altmark

Thomas Laleike arbeitet inzwischen mit hochmoderner Technik, spezialisiert sich auf virtuelle Rundgänge. Eine seiner Kundinnen – die Stadt Stendal. Auf der Internetseite der Stadt findet man ganz neu einen Rundgang durch das historische Rathaus. Das Happyend für Laleike schreibt dann aber doch die Liebe. Im Internet lernt er 2019 Katharina kennen. Die junge Bilanzbuchhalterin lebt in der Nähe von Hamburg, eine Fernbeziehung bahnt sich an. Dann kommt der Lockdown.

Sie zieht kurz entschlossen nach Stendal, um ihr Homeoffice bei Thomas einzurichten. Ein Jahr später ist Söhnchen Phil auf der Welt. Inzwischen ist die Hanseatin mit voller Überzeugung angekommen. Sie schätzt die kurzen Distanzen, auch der Kitaplatz für Phil war kein Problem. Und einen Job, da ist sie sich sicher, findet sie nach der Elternzeit bestimmt: "Wir werden auf jeden Fall erst mal hierbleiben. Da steht nichts zur Debatte. Wir haben beide unseren Lebensmittelpunkt in Stendal gefunden. Und um die Zukunft mache ich mir keine Sorgen, auch nicht für Phil. Der wird seinen Weg hier machen, so lange er möchte."

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MDR (Britta Bibiko, Mario Köhne)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Der Osten – Entdecke wo Du lebst | 09. August 2022 | 21:00 Uhr

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