Teilhabe Mit fremden Augen: Der Alltag mit Assistenz für Menschen mit Behinderung
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21. März 2025, 05:00 Uhr
Einfach mal ins Kino gehen oder einen Ausflug machen: Für viele Menschen mit Behinderung ist das nur mit einer Assistenzbegleitung möglich. In Stendal hat eine junge Frau das Glück, eine passende Assistentin an ihrer Seite zu haben. Glück, denn der Weg dorthin war hürdenreich. Nun will sie ihr Wissen an andere Betroffene weitergeben.
- Leben mit einer persönlichen Assistentin – das ist für Annemarie aus Stendal Alltag.
- Menschen mit Beeinträchtigungen haben Anspruch auf so eine Unterstützung, doch die Hürden sind hoch.
- Annemarie setzt sich dafür ein, dass auch andere Menschen leichter Hilfe bekommen.
Annemarie Kock ist blind. Vieles in ihrem Alltag könnte sie nicht erledigen, hätte sie keine Assistenzbegleiterinnen. Anne-Marie Kock arbeitet bei den Maltesern in Stendal als Beraterin für Menschen mit Behinderung. Sie hat Rehabilitationspsychologie studiert und ist sehr versiert am Computer. Doch auch hier geht einiges nur mit einer Assistenzbegleitung. Hilfe braucht sie auch in Beratungssituationen: "Zum Beispiel Hausbesuche machen oder jemanden erklären, wo setzte ich denn jetzt hier am besten das Kreuzchen beim Schwerbehindertenausweis."
Wer hat ein Recht auf Assistenz?
Menschen mit Behinderung haben einen Rechtsanspruch auf Assistenz. Das gilt für alle Lebensbereiche – von Alltag und Job bis zu Freizeit und Urlaub. Auch Mütter und Väter mit Einschränkungen können Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kinder bekommen. (SGB IX, §78)
Wo werden Betroffene Beraten?
Viele Orte in Sachsen-Anhalt haben Beratungsstellen der EUTB (Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung). In Stendal ist die EUTB-Beratungsstelle mit Anne-Marie Kock in der Karlstraße Ecke Hallstraße an der Kleinen Markthalle zu erreichen. Im Internet bietet die EUTB umfangreiche Informationen.
Wie werden Assistenten vermittelt?
Vermittelt werden Assistentinnen und Assistenten vor allem über Vereine. Die Kosten werden je nach Situation ganz oder teilweise von Versicherung, Krankenkasse oder anderen Ämtern übernommen.
Wer kann Assistent werden?
Assistenzbegleiter kann jeder werden. Dafür braucht es keine spezielle Ausbildung, aber in jedem Fall viel Einfühlungsvermögen. Die wichtigste Voraussetzung für Menschen mit Behinderung ist, dass ihr Assistent oder ihre Assistentin menschlich zu ihnen passt.
Ihre Arbeits-Assistentin Christin Alberts hilft ihr täglich fünf Stunden in der Beratungsstelle, bei Außenterminen oder Veranstaltungen. Sie sagt, ganz wichtig sei die Empathie, also dass es zwischenmenschlich passt. "Ich leihe ihr meine Augen, wenn sie sie braucht, und das macht Spaß. Anne ist ein toller Mensch. Ich bin sehr gern hier". Nie hätte sie gedacht, dass es so gut funktioniert, Hand in Hand zu arbeiten. Sie ist schon ein Jahr dabei und möchte nichts anderes mehr machen.
Ich leihe ihr meine Augen, wenn sie sie braucht.
Auch für den Alltag und die Freizeit hat Annemarie Kock für ein paar Stunden Assistenz bewilligt bekommen. Da teilen sich zwei Assistentinnen 20 Stunden in der Woche auf. Das ermöglicht Anne-Marie Aktivitäten wie Einkaufen, Ausflüge, Baden am See oder den Besuch von Kulturveranstaltungen. "Wenn ich sage, ich gestalte meinen Tag selbstbestimmt, kann ich das nur mit Unterstützung. Ich möchte ja etwas erleben. Ich möchte ja teilhaben."
Recht auf Unterstützung – aber bürokratische Hürden
Menschen mit einer Beeinträchtigung haben ein Recht auf Unterstützung. Ihnen steht per Gesetz finanzielle Hilfe zu. Doch viele von ihnen wissen das nicht oder scheitern an den bürokratischen Hürden. Manche brauchen zu Hause sogar eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Das ist aber sehr viel teurer als ein Heimplatz. Jörg Seliger vom Muldentaler Assistenzverein hilft Betroffenen und Angehörigen beim Stellen der Anträge auf Selbständigkeit. Er sagt, viele Anträge würden abgelehnt oder nicht in der beantragten Höhe genehmigt. "Man muss eben dreimal in den Widerspruch gehen, wenn es beim ersten Mal nicht klappt", so Seliger.
Anne-Marie will ihre Erfahrungen weitergeben
Annemarie Kock hat diese Hürden genommen. Ihre Anträge sind bewilligt. Nun gibt sie über ihre Arbeit ihre eigenen Erfahrungen weiter: "Man braucht wahrscheinlich einen gewissen Kampfgeist. Man braucht ein gewisses Durchhaltevermögen", sagt sie. Doch es lohne sich. Deshalb hat Anne-Marie Kock in Stendal auch ein neues Veranstaltungsformat eingeführt, das Inklusionscafé. Hier informieren Experten alle drei Monate Menschen mit Behinderungen über ihre Rechte und Hilfsangebote. So will Anne-Marie Kock noch mehr Menschen erreichen: "Das Ziel ist, Menschen mit Behinderungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und das ist in vielen Bereichen nur mit Assistenz möglich."
MDR (Aud Merkel, André Plaul)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. März 2025 | 19:00 Uhr
Ines W. vor 5 Wochen
Für mich ein schwieriges Thema:
Viele Menschen in unserem Land benötigen Hilfe und ehrlich gesagt sehe ich jetzt keinen großen Unterschied zwischen einer Seniorin die mit einer bezahlten Assistenz länger zu Hause leben könnte und einem Menschen mit Behinderung der ohne Assistenz auch nicht zu Hause leben kann.
Bei der Seniorin sagt die Pflegekasse ziemlich schnell wo die Grenzen der Finanzierbarkeit sind, bei Menschen mit Behinderung sehe ich es, ohne Expertin zu sein, eher so, dass hier sehr viel Geld zur Verfügung steht weil es die Allgemeinheit und keine Versicherung zahlt.
Auch bei der Arbeitsassistenz bin ich skeptisch, dann plötzlich ein Job für eine Person von zwei Personen vielleicht zu 75% erledigt wird. Mir geht es hier ausdrücklich nicht darum, dass ich die Integration in Arbeit für behinderte Menschen ablehne, sondern ich stelle auf den Kosten Nutzen Faktor ab. Integration um jeden Preis muss ja auch jemand bezahlen und das Geld fehlt woanders.