Suche bisher erfolglos Weil Pflegekraft fehlt: Neues Schuljahr für Mädchen im Rollstuhl ungewiss
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10. Juli 2024, 15:58 Uhr
In knapp vier Wochen beginnt das neue Schuljahr in Sachsen-Anhalt. Doch für eine Familie in Holzhausen in der Altmark ist noch unklar, wie es dann weitergeht. Ihre Tochter sitzt im Rollstuhl und braucht eine besondere Fachkraft als Schulbegleitung. Der bisherige Pflegedienst hat seinen Auftrag gekündigt, weil das Land seiner Ansicht nach zu wenig zahlt.
- Ein Mädchen im Rollstuhl aus Holzhausen in der Altmark braucht dringend eine Pflegefachkraft, damit es weiter zur Schule gehen kann.
- Das Problem ist die Bezahlung, die nicht gedeckt ist.
- Nach Gesprächen mit den zuständigen Behörden gibt es neue Hoffnung.
Felicitas, genannt Feli, genießt die großen Ferien wirklich, aber je näher der Beginn des nächsten Schuljahres rückt, desto aufgeregter ist das Mädchen. Die aufgeweckte Viertklässlerin sitzt im Rollstuhl und braucht intensive Betreuung, auch im Schulalltag. Es geht dabei um das An- und Ausziehen – in den Pausen oder auch im Sportunterricht – und um das Bereitlegen von Unterrichtsmaterialien im Klassenraum, sagen Felis Eltern, Jessica und Sven Gansewig.
Vor allem aber geht es um die pflegerische Betreuung. Feli kann nicht allein auf die Toilette gehen und muss deshalb katheterisiert werden. Außerdem muss die Pflegekraft darauf achten, dass das Mädchen seine Tabletten nimmt – und darauf, dass Feli genügend trinkt. Das Durstgefühl ist durch die Tabletten-Einnahme nämlich nahezu verschwunden.
Bisheriger Pflegedienst kündigt aus finanziellen Gründen
Solche Leistungen kann nur eine ausgebildete Pflegefachkraft übernehmen. Bislang hatte die Firma SAB eine Mitarbeiterin gestellt. Doch zum Ende des vergangenen Schuljahres zog Geschäftsführer Jakob Sabiniarz die Reißleine, zu seinem größten Bedauern, wie er MDR SACHSEN-ANHALT versicherte. Das Problem ist demnach: Pflegefachkräfte, so wie Feli eine braucht, bekommen tariflich deutlich mehr Geld als zum Beispiel einfache Schulwegbegleiter.
Bei der Bezahlung sind die Sozialagentur des Landes, die Pflegekasse und das Kreis-Sozialamt mit im Boot. Eine Pflegefachkraft kostet nach Angaben des SAB-Geschäftsführers 55 Euro pro Stunde – gezahlt würden aber nur 42 Euro. In den vergangenen drei Jahren habe man die Differenz aus eigener Tasche gezahlt. Damit müsse nun Schluss sein; das könne er auch seinen Mitarbeitern gegenüber nicht mehr verantworten, sagte Sabiniarz zu MDR SACHSEN-ANHALT.
Alle Anbieter lehnen Begleitung ab
Die Absage von SAB kam vergleichsweise kurzfristig, im Laufe des Mai 2024. Seitdem sind Felis Eltern traurig, perplex, sauer. Ihre Suche nach einer anderen Pflegefachkraft war bislang erfolglos; sechs Anfragen in der Region wurden abgelehnt. Es gibt nicht allzu viele, deren Ausbildung ausreicht, um die spezielle Schulbegleitung für Feli zu leisten. Außerdem fühlen sich Jessica und Sven Gansewig allein gelassen. Zwar kommen ermunternde Worte aus allen Behörden, eine Pflegefachkraft für Feli ist deshalb aber nicht gefunden.
Einzelfall oder verbreitetes Problem? Gibt es in Sachsen-Anhalt noch mehr Fälle von Kindern, die aufgrund von bürokratischen oder finanziellen Hürden nicht richtig zur Schule gehen können? Eine Antwort auf diese Frage ist schwierig. Das Landessozialministerium spricht auf MDR-Anfrage von Einzelfällen. Um wie viele es sich genau handelt, ist nicht öffentlich. Grund ist unter anderem der Datenschutz, da es sich um sehr sensible Fälle handelt.
Landkreis Stendal bewilligt Integrationshelfer – doch das ist keine Lösung
Das Sozialamt des Landkreises Stendal, von MDR SACHSEN-ANHALT auf den Fall aufmerksam gemacht, hat der Familie schneller als gewöhnlich einen so genannten Integrationshelfer bewilligt. Der nutze in persona den Gansewigs zwar nichts, weil die Pflegeausbildung fehlt, gibt Kreispressesprecher Stefan Rühling zu. Aber immerhin seien die Mittel für Feli fest eingeplant.
Der Anteil des Kreises an einer Pflegefachkraftstelle ist aber nur eines von mehreren Mosaiksteinchen in Hinsicht auf die Finanzierung. Die Pflegekasse und die Krankenkasse beteiligen sich ebenfalls daran. Die HEK-Pflegekasse, von MDR SACHSEN-ANHALT auf Felis Fall angeschrieben, will sich nun mit den Eltern in Verbindung setzen. Versuche der Gansewigs, mit der HEK in konstruktiven Kontakt zu kommen, waren in den vergangenen Wochen gescheitert.
Neue Hoffnung: Fall soll erneut geprüft werden
Auch das Landessozialministerium mit seiner Sozialagentur trägt zur Finanzierung der Stelle bei. Pressesprecherin Romy Richter verweist in einer Antwort an MDR SACHSEN-ANHALT auf die gültigen Regelsätze. Auf Felis Fall aufmerksam gemacht hat die Sozialagentur jetzt erneut Kontakt zu Familie und SAB aufgenommen. Immerhin sei das ein Einzelfall, der noch einmal geprüft werden müsse. SAB-Geschäftsführer Sabiniarz bestätigte neue Gespräche mit der Sozialagentur und zeigte sich im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT optimistisch, doch noch zu einer Lösung für Feli zu kommen.
Nun keimt neue Hoffnung auf in Holzhausen: Immerhin würden die Behörden sich jetzt bewegen, sagt Vater Sven. Mutter Jessica hat in den vergangenen Wochen viel geweint. Sie hat Angst davor, dass ihre Tochter ab August nicht zur Schule kann. Die Eltern hatten alles ihnen Mögliche getan, um Feli den Schulbesuch zu erleichtern. So haben sie zum Beispiel einen so genannten Treppensteiger organisiert, einen Sitz mit spezieller Steige-Technik. Die Grundschule Bismark ist nicht barrierefrei gebaut. Feli selbst sagt, wenn Mama weine, gehe sie oft weg, weil sie es nicht ertrage. Sie versuche auch zu trösten. "Ich kuschele mich an sie, aber es hilft nichts!"
MDR (Katharina Häckl, Kalina Bunk) | zuerst veröffentlicht am 09. Juli 2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. Juli 2024 | 07:30 Uhr
Anita L. vor 37 Wochen
Allein wenn man sich anschaut, wer da alles mitverantwortlich ist für eine Pflegefachkraft, wird einem ganz schwindlig. Und dann scheitert es daran, dass offenbar Pflege in den "Schule"-Schubladen nicht vorhanden ist? Oder wie soll man das verstehen, dass ein Integrationshelfer sofort bezahlt wird (den das Kind nicht benötigt), eine Pflegefachkraft aber nicht? Auch der Hinweis auf die sogenannten "Regelsätze" ist doch ein Witz: Wenn eine Pfelgefachkraft in der Pflege mit 55 Euro vergütet wird, kann doch nicht das zuständige Amt diese nicht zahlen, nur weil da kein Mensch in einer Pflegeeinrichtung oder zuhause, sondern in der Schule gepflegt werden muss. Da wiehert der Amtsschimmel, dass es zum Gotterbarmen ist.
christianhauer2705 vor 37 Wochen
Die Familie Gansewig wohnt nur ein paar Orte von mir entfernt.
Wir wohnen auch in der selben Gemeinde.
Daher denke ich,dass ich den Fall einigermaßen kenne.
Meine Hochachtung an die Eltern für ihren ständigen Kampf den sie führen müssen damit Feli das zuteil wird was ihr verbrieftes Recht ist (UN-BRK).
Nämlich Teilhabe.
Teilhabe an Bildung und einfach Teilhabe im Alltag.
Als ich vor gut 30 Jahren zur Schule kam war es noch etwas schlimmer.
Aber auch nach 30 Jahren,15 Jahre nach Ratifizierung der UN-BRK und im Jahr 2024 ist es kein Einzelfall.
Es ist leider Normalität und das leider über alle Behinderungen hinweg.
Leider können nicht alle Eltern so kämpfen und Kinder mit so großem Potenzial fallen hinunter und landen in Förderschulen,Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder in der kompletten Arbeitslosigkeit.
Es gäbe so einfache Lösungen und wir betroffenen haben sie parat.
"Nicht ohne uns
Über uns"
Bezieht uns mit ein und lasst uns alle voneinander profitieren.
steka vor 37 Wochen
verstehe ich nicht, wieso es so schwer ist, die paar Euro mehr zu bezahlen. Ais Intel sich ansiedeln wollte waren mit einmal Millarden möglich. es ist ein Spiegel was der Landesregierung das eigene Volk wert ist. Und warum muß sich immer esrst das Fernsehen einschalten damit behörden und versicherungen zum Wohle der Betroffenen aktiv werden ?