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Berufung abgeschmettertWahlfälschung in Stendal: Ehemaliger CDU-Chef muss Schadenersatz leisten

14. Juli 2022, 18:20 Uhr

Es könnte der Schlusspunkt der Stendaler Wahlfälschungsaffäre von 2014 und 2015 sein. Das Oberlandesgericht Naumburg hat geurteilt, dass der ehemalige CDU-Kreisvorsitzende Wolfgang Kühnel Schadensersatz für zwei Wiederholungswahlen leisten muss. Die Stadt Stendal hatte geklagt, um nicht auf den Kosten von 49.000 Euro sitzen zu bleiben.

Das Oberlandesgericht Naumburg hat am Donnerstag einen vorläufigen juristischen Schlusspunkt unter die Stendaler Wahlfälschungsaffäre gesetzt. Demnach muss nicht nur der verurteilte Wahlfälscher Holger Gebhardt, sondern auch der ehemalige CDU-Kreisvorsitzende Wolfgang Kühnel Schadensersatz für zwei Wiederholungswahlen von 2014 und von 2015 leisten. Die Stadt Stendal hatte geklagt.

Insgesamt ging es um einen Schaden von rund 49.000 Euro. Nach Bekanntwerden von Wahlmanipulationen musste die Stadt Stendal im Herbst 2014 kurzfristig zunächst die Briefwahl zur Stadtratswahl wiederholen. Als dann aber klar wurde, dass diese Nachwahl juristisch nicht haltbar sein würde und weitere Manipulationen herauskamen, da musste 2015 schließlich die gesamte Stadtratswahl wiederholt werden. Die Kosten dafür bekommt Stendal nun ersetzt.

So kam der Skandal ans Tageslicht

Einem Journalisten der Volksstimme war am Wahlabend im Mai 2014 aufgefallen, dass ein CDU-Stadtrat erst auf den letzten Drücker den Sprung ins Stadtparlament geschafft hatte. Da üblicherweise ganz zum Schluss die Briefwahlstimmen ausgezählt werden, lag nahe, dass der Kandidat Holger Gebhardt ein starkes Briefwahlergebnis erzielt hatte.

Recherchen ergaben dann genau diesen Umstand. Der CDU-Kandidat hatte ein rund 20-fach besseres Briefwahlergebnis als in den Wahllokalen. Weitere Berichterstattung brachte Ungereimtheiten hervor. So musste die Stadtverwaltung einräumen, dass sie bei der Briefwahl die sogenannte Vierregelung nicht berücksichtigt hatte. Diese Regel sieht vor, dass jemand  in Vertretung maximal vier Briefwahlunterlagen für andere Wähler abholen darf.

"Die Berufung wurde zurückgewiesen", sagte Gerichtssprecher Henning Haberland MDR Sachsen-Anhalt. Demnach hat Richterin Helen Engelhard ein Urteil des Stendaler Landgerichts von November 2020 bestätigt. Bei der Verkündung des Urteils am Donnerstag waren – wie dies bei solchen Verfahren üblich ist – weder ein Vertreter der Stadt noch Wolfgang Kühnel im Gericht anwesend. Sie bekommen das Urteil schriftlich zugestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann noch Revision am Bundesgerichtshof beantragt werden.

Mit der Entscheidung wurde nicht nur das Stendaler Urteil bestätigt, sondern auch der von CDU-Seite oft beschworenen Einzeltäter-Theorie widersprochen. Das Landgericht hatte im Urteil geschrieben, dass es davon überzeugt ist, dass Kühnel den Wahlfälscher Holger Gebhardt "bei dessen in Tateinheit mit Urkundenfälschungen begangenen Wahlfälschungen vorsätzlich unterstützt hat".

Vor zweieinhalb Jahren hatte das Stendaler Gericht den ehemaligen CDU-Kreisvorsitzenden Wolfgang Kühnel und Holger Gebhardt gemeinschaftlich zur Zahlung des Schadensersatzes verurteilt. Gebhardt akzeptierte das Urteil, Kühnel ging dagegen beim Oberlandesgericht in Berufung.

Auch wenn beide gemeinschaftlich zum Schadensersatz verurteilt sind, so wird die Zahlung vermutlich ganz an Wolfgang Kühnel haften bleiben. Holger Gebhardt hat bereits vor einiger Zeit Privatinsolvenz erklärt, er muss noch aus einem anderen Strafverfahren wegen gefälschter Arztrechnungen rund 100.000 Euro zurückzahlen. Allerdings hatte das Landgericht festgestellt, dass Gebhardt doch noch haften muss, wenn er mal wieder zu Geld kommt.

Lange hatte sich der heute 68-jährige Wolfgang Kühnel gewunden, überhaupt etwas mit der Wahlfälschungsaffäre zu tun gehabt zu haben. 2014 waren Hunderte Briefwahlunterlagen zum Stendaler Stadtrat, aber auch zum Kreistag gefälscht worden. Bei der CDU versteifte man sich schnell darauf, dass es sich bei den Fälschungen um die Taten eines Einzelnen handelte, nämlich des damaligen CDU-Stadtrates Holger Gebhardt. Dieser war mit einem überdurchschnittlichen Briefwahlanteil in das Gremium gewählt worden.

Das waren die Folgen des Wahlfälschungsskandals

  • Im März 2017 wurde Holger Gebhardt vom Landgericht Stendal zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren wegen Wahlbetrug und Urkundenfälschung in Hunderten Fällen verurteilt.
  • Bei der Stadtratswahl am 25. Mai 2014 bekam der CDU-Kandidat 689 seiner 837 Stimmen aus der Briefwahl, was 82,3 Prozent ausmachte.
  • Die Briefwahl musste am 9. November 2014, die Stadtratswahl am 21. Juni 2015 aufgrund der Manipulationen wiederholt werden.
  • Im Zusammenhang mit dem Wahlbetrug trat Hardy Peter Güssau (CDU) von seinem Amt als Landtagspräsident zurück.
  • Der Landtag richtete im April 2017 zu dem Betrug einen Untersuchungsausschuss ein, 2021 wurde nach 31. Sitzungen der 400-seitige Abschlussbericht vorgelegt. 85 Zeugen wurden gehört, 85 Aktenordner der Justiz durchgearbeitet. Die zentrale Frage, ob Wahlfälscher Holger Gebhardt alleine gehandelt hatte, wurde nicht zweifelsfrei geklärt. Ein größeres Behördenversagen hatte die Fälschungen jedenfalls erleichtert und im Nachgang möglicherweise auch vertuscht.
  • Der Untersuchungsausschuss hatte zwölf Mitglieder des Landtages aus CDU, AfD, Linke, SPD und den Grünen. Vorsitzender war Matthias Lieschke (AfD)

Gebhardt wurde 2017 vom Landgericht Stendal zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. In dem Verfahren gegen ihn hatte CDU-Chef Kühnel, der 27 Jahre lang den Stendaler Kreisverband geleitet und die Strippen gezogen hatte, die Aussage genauso verweigert, wie später im Untersuchungsausschuss des Landtages. Zweimal hatte die Staatsanwaltschaft auch gegen Kühnel ermittelt. Erst wurde das Verfahren 2016 vorläufig eingestellt, dann nach einem zweiten Anlauf 2019 ganz.

Fest steht: Der CDU-Chef war ein Zuträger Gebhardts, er hatte für diesen Briefwahlunterlagen aus dem Rathaus abgeholt und auch zurückgebracht. Da Kühnel auf ganzer Linie die Zusammenarbeit mit der Justiz verweigerte, konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er wissentlich an strafbaren Handlungen beteiligt gewesen ist. Kühnel zog sich 2017 im Zuge der Aussageverweigerung vor Gericht von seinem Posten als Kreisvorsitzender zurück – und tritt seither öffentlich nicht mehr in Erscheinung.

Wahlfälscher Gebhardt hatte bei Aussagen vor Gericht sowie dem Landtagsuntersuchungsausschuss Kühnel mehrfach schwer belastet. Gebhardt hatte in der Kreisgeschäftsstelle der CDU mitgearbeitet. Kühnel soll ihm dann zur Wahl Listen mit angeblichen Nichtwählern ausgehändigt haben. Es war in den juristischen Verfahren immer von einem Ordner die Rede. Ein solcher konnte allerdings nie aufgespürt werden. Die Polizei hatte im November 2014 nicht nur die CDU-Kreisgeschäftsstelle durchsucht sondern auch mehrere Privatwohnungen.  

Kühnel hatte nicht nur im Strafverfahren beharrlich geschwiegen, sondern auch beim Untersuchungsausschuss des Landtags. Sein damaliger Rechtsanwalt hatte die Aussageverweigerung damit begründet, dass sein Mandant sich mit jeder Aussage eine Strafverfolgung aussetzen könnte. Erst als es im Zivilverfahren am Landgericht um die Schadensersatzforderungen ging, beteuerte der ehemalige CDU-Chef in einer langen Einlassung, dass er mit den Fälschungen nichts zu tun gehabt habe.  

Ursprünglich hatte die Stadt Stendal seine Forderungen nur gegen den verurteilten Wahlfälscher Gebhardt geltend gemacht. Auf Druck einer Stadtratsmehrheit wurde das Schadenersatzverfahren aber Anfang 2019 auf Kühnel erweitert.

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MDR (Bernd-Volker Brahms, Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 14. Juli 2022 | 15:30 Uhr

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