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Pauschale des LandesGeld für den Straßenbau reicht vorn und hinten nicht

23. Oktober 2022, 20:26 Uhr

Bis 2020 mussten Haus- und Grundbesitzer noch für die Sanierung der Straße vor dem Haus bezahlen. Seit zwei Jahren gibt es einen Ausgleich für die Kommunen, der, wie ein Kuchen, auf alle aufgeteilt wird. Das Problem: Die steigenden Kosten sind darin nicht berücksichtigt. Uns fehlt Geld, kritisieren mehrere Kommunen – und ziehen erneut vor Gericht.

In Petra Dräger-Röders Holzhandel in Wörlitz sieht noch alles aus wie vor zwei Jahren. Auf dem Hof lagert meterlanges Bauholz und im Ausstellungshaus nebenan warten Türen, Dielen und Terrassenböden auf ihre Käufer. Vor Kurzem konnte sich die Geschäftsführerin sogar eine nagelneue Türausstellung leisten.

Anfang 2020 hätte das nicht geklappt. Da war MDR SACHSEN-ANHALT schon einmal vor Ort. Damals hätte die Geschäftsfrau fast vor dem Bankrott gestanden. Der Grund: Die Straße vor ihrem Grundstück. Dräger-Röder erinnert sich: "Ich hatte zuvor schon über 70.000 Euro gezahlt für eine Straße und dann sollte hier wieder eine Straße gebaut werden. Da hätte ich dann zum Schluss mehr gezahlt, als mein Grundstück wert ist. Und das ging nicht."

Straßenausbaubeiträge abgeschafft

Wovon Dräger-Röder spricht, sind die sogenannten Straßenausbaubeiträge. Städte mussten laut Kommunalabgabengesetz von Haus- oder Grundstücksbesitzern Geld einfordern, um die Erneuerung der Straßen davor zu finanzieren. Doch die meisten Besitzer, wie auch Dräger-Röder, konnten sich das nicht leisten, protestierten mehrere Jahre – und gewannen. 2020 wurden in Sachsen-Anhalt die Straßenausbaubeiträge dann vom Landtag abgeschafft – so die Kurzform.

Die Geschäftsführerin hat, wie sie MDR SACHSEN-ANHALT freudig erzählt, keine weitere Rechnung in einer Höhe von 30.000 Euro erhalten. Die Straße vor ihrem Grundstück wurde trotzdem erneuert, denn die Kosten trug die Kommune. "Ich denke mal, es gibt viele Einwohner, die jetzt ruhiger schlafen können", sagt sie. Ende gut, alles gut. Oder?

Fast 100 Jahre Schotterweg

Naja, leider nicht so ganz. 40 Minuten Autofahrt von Wörlitz entfernt liegt der ruhige Ort Aken. Vor seinem Haus steht Christian Werner und genießt die warmen Sonnenstrahlen, die der Oktober mit sich bringt. Er ist der Sprecher der "Allianz gegen Straßenausbaubeiträge" und hatte damals zusammen mit Petra Dräger-Röder protestiert.

Damals hätte er ebenfalls eine fünfstellige Summe für die Straße vor seinem Haus bezahlen müssen, sagt er. "Wir haben uns sehr gefreut, dass die Politik eingesehen hat, dass hier endlich eine große Ungerechtigkeit abgeschafft wird, die viele Bürger finanziell belastet hat, denn das war wirklich ruinös oder existenzbedrohend."

Doch sobald ein Auto seine Straße entlangfährt, ist Schluss mit dem Freuen und Genießen. Das Auto zieht hinter sich eine wachsende Staubwolke her, die dann auf Wäsche und an Fenstern niederregnet. Denn die "Straße", an der Werner steht, ist eher ein Schotterweg – und der existiert in der Form schon seit den 1930er-Jahren, erklärt er MDR SACHSEN-ANHALT.

Straßenausbaupauschale als Ersatz für die Kommunen

Anders als für Petra Dräger-Röder aus Wörlitz, gibt es für Werner keine neue Straße. Der Grund hier: Seitdem die Bürger nicht mehr zahlen müssen, bekommen die Kommunen vom Land Sachsen-Anhalt eine sogenannte Straßenausbaupauschale.

Laut Innenministerium sind das jährlich für alle Kommunen 15 Millionen Euro. Das klingt nach viel Geld, reicht aber laut Christian Werner vorn und hinten nicht aus: "Wir haben uns damals vorgestellt, dass die Landesregierung bessere Möglichkeiten findet, die Kommunen zu entlasten. Wir würden uns wünschen, dass eine gerechte Förderung und Verteilung der Mittel stattfindet."

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Denn wer wie viel Geld erhält, das wird laut Innenministerium anhand der Größe der jeweiligen Siedlungsfläche einer Gemeinde berechnet. Sprich: Je größer die Gemeinde, desto mehr Geld erhält sie auch. So erhält eine kleinere Kommune wie Aken rund 50.000 Euro für den Ausbau. Oranienbaum-Wörlitz erhält rund 91.000 Euro. Das geht aus Zahlen des Innenministeriums hervor.

Zum Vergleich: Eine große Kommune wie Magdeburg erhält rund 701.000 Euro für den Straßenausbau. Halle bekommt jährlich 528.000 Euro und die Gemeinde Dessau-Roßlau erhält um die 344.000 Euro für den Ausbau.

Eigene Mittel der Kommunen reichen nicht aus

Dass diese Verteilung nicht realitätsnah ist, sehen auch Vertreter der Kommunen so. An einen Straßenbau sei in Aken mit einem Betrag von 50.000 Euro nicht zu denken, erklärt Oliver Reinke, Stadtrat und Vorsitzender des Bauauschusses in Aken, MDR SACHSEN-ANHALT. Denn nach Angaben des Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt koste ein Kilometer Straße je nach ländlichen Begebenheiten zwischen einem und drei Millionen Euro.

Die Kommune müsste zusätzlich Gelder in den Straßenbau einfließen lassen, die eigentlich für Friedhöfe, Parks oder Vereinshäuser gedacht wären: "Für Aken heißt das, wenn wir Straßen mit eigenen Mitteln finanzieren, dann lassen wir andere Maßnahmen liegen, das wäre die Konsequenz", so Reinke.

Der Kommune Oranienbaum-Wörlitz macht hier zusätzlich noch der Denkmalschutz in Kombination mit den gestiegenen Baupreisen zu schaffen, wie Bürgermeister Maik Strömer (CDU) MDR SACHSEN-ANHALT verrät. "Wir leben im Unesco-Weltkulturerbe. Wir können nicht nach technischem Regelwerk bauen. Wir bekommen bestimmte Auflagen, zum Beispiel beim Verwenden von Steinen, was auch die Kosten enorm steigen lässt." Laut Strömer sind das Dinge, die nicht in der Pauschale berücksichtigt werden.

Gestiegene Baukosten nicht einkalkuliert

Ähnlich wie Aken und Oranienbaum-Wörlitz geht es allen Kommunen, sagt Bernward Küper, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds Sachsen-Anhalt. Der Verband berät Städte und Gemeinden und hat ein Gutachten erstellen lassen, das aufzeigt, wie sanierungsbedürftig die Straßen Sachsen-Anhalts sind.

Ergebnis: "Man hat einen Sanierungsstau festgestellt. Um Ausbaubeiträge zu vermeiden, wurde häufig mehr geflickt, als grundlegend instandgesetzt. Die Infrastruktur ist mittlerweile derart geschädigt, dass wir in den grundhaften Straßenausbau gehen müssen. Da sind 15 Millionen Euro nicht ausreichend", so Küper gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT.

Nach seinen Worten sind vor zwei Jahren in der Pauschale zu wenige Aspekte des realen Straßenbaus berücksichtigt worden. So sind Küper zufolge die gestiegenen Baukosten nicht einkalkuliert worden, denn die Pauschale wird mit Zahlen aus den Jahren 2019-2021 berechnet. Die enormen Preissteigerungen fingen da erst an, so Küper. Auch Baukosten für Nebenanlagen wie Gehwege und Beleuchtung sind nicht berücksichtigt worden. Die Pauschale beinhaltet also nur die Kosten der reinen Straße, sagt er.

Kommunen klagen – und verlieren

Aus diesem Grund hatten einige Kommunen in Sachsen-Anhalt beim Land Klage eingereicht. Ende des Jahres 2021 hatte Aschersleben wegen der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge das Landesverfassungsgericht angerufen. Mit der Klage ist die Stadt im August gescheitert. Die Pauschale des Landes sei angemessen, entschieden die Richter.

Die jüngste eingereichte Klage kommt aus Burg. Die Stadt fordert: Die Pauschale soll nicht nach Größe der Siedlungsfläche, sondern nach der Anzahl der Straßenkilometer unter den Kommunen verteilt werden. Das Ergebnis der Klage steht noch aus.

2024 soll die Pauschale nochmal überprüft werden

Ähnliche Wünsche hat auch der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt. Sie fordern, dass die Verteilung der Gelder unter den Kommunen neu definiert wird, so Bernward Küper. "Wir verlangen eine vertikale Betrachtung. Sprich: Es muss geschaut werden, wie die Bedarfe denn tatsächlich sind", so der Geschäftsführer weiter.

Der Städte- und Gemeindebund stimmt somit für eine neue Bedarfsermittlung – auch wenn das nicht allen Kommunen zu Gute kommen könnte: "Es kann Kommunen möglicherweise gesagt werden: 'Einen Bedarf an bestimmten Stellen gibt es nicht.' Aber das sollten wir uns noch mal gönnen, es ist einiges passiert", schließt Küper.

2024 soll die Straßenausbaupauschale noch einmal überprüft werden, sagt das Innenministerium MDR SACHSEN-ANHALT. Bis dahin müssen die Kommunen mit dem Geld auskommen, das sie haben – und hoffen, dass ihre Forderungen akzeptiert werden.

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MDR (Maximilian Fürstenberg)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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