Corona-Proteste Vize-Landrat: Bautzen will Impfpflicht für Pflegekräfte nicht durchsetzen
Hauptinhalt
In Sachsen sind auch an diesem Montag Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Im Mittelpunkt stand dabei vielerorts die Kritik an der ab Mitte März geplanten Impfpflicht für Pflegekräfte und medizinisches Personal. Der Bautzener Vize-Landrat kündigte an, dass der Landkreis die Impfpflicht nicht durchsetzen wird. Die größten Versammlungen gab es in Dresden, Chemnitz, Freiberg, Bautzen, Görlitz, Löbau und Radebeul. In Coswig kam es zu Gewalt.

Auf dieser Seite:
- Landrat Harig schreibt Offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmer
- Offenbar weniger Rechtsextreme, aber mehr Pflegekräfte bei Demonstration in Bautzen
- Rechtsextreme Freie Sachsen verbreiten Rede über Telegram
- Große Proteste auch in Freiberg, Zwickau und Löbau
- Journalisten in Coswig angegriffen
- Ermittlungen gegen Rednerin in Zwickau nach Holocaust-Vergleich
Der Landkreis Bautzen will die ab März geplante Impfpflicht in seinen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern nicht durchsetzen. Das kündigte Vize-Landrat Udo Witschas am Montagabend vor rund 2.000 Demonstrantinnen und Demonstranten* an. "Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt des Landkreises Bautzen machen wird, dann werden wir unseren Mitarbeitern in der Pflege und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot, kein Betretungsverbot erteilen", erklärte Witschas unter tosendem Beifall der Anwesenden, der an der Eingangstür des Landratsamtes zu den Demonstranten sprach. Landrat Michael Harig und er könnten die Gefühlslage der Mitarbeitenden der Pflege sehr gut verstehen, die nicht wüssten, ob sie in vier Wochen noch zur Arbeit gehen.
Ich kann Ihnen sagen, warum es bei uns am 16.3. das Betretungsverbot nicht geben wird. Es gibt eine ganz einfache Antwort auf diese Frage: Wer soll sich um diese Pflegebedürftigen und hilfsbedürftigen Menschen kümmern, wenn Sie nicht mehr da sind?
* In einer früheren Version des Artikels haben wir von rund 600 Personen gesprochen. Das war eine erste Schätzung und die Zahl der Demonstranten, die sich zunächst auf dem Fleischmarkt getroffen hatte. Laut Polizei wuchs der Demonstrationszug dann auf rund 2.000 Personen an.
Landrat Harig schreibt Offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmer
Zuvor hatte sich auch schon Landrat Michael Harig gegen die Einführung der Impfpflicht ausgesprochen. In einem offenen Brief an Ministerpräsident Michael Kretschmer bat Harig den Regierungschef darum, sich für eine Aufhebung der Impfpflicht oder deren Verschiebung einzusetzen. Ohne das ungeimpfte Personal könne die Versorgung Kranker und Pflegebedürftiger nicht gewährleistet werden, so Harig. "In der ohnehin bestehenden angespannten Lage – bezogen auf die Verfügbarkeit von Fachkräften in der Pflege, ist selbst ein Verlust von 'nur' zehn Prozent der tätigen Personen nicht zu kompensieren."
Protestnoten und symbolisch zurückgegebene Ausbildungszeugnisse gehen täglich bei uns ein!
Offenbar weniger Rechtsextreme, aber mehr Pflegekräfte bei Demonstration in Bautzen
Den örtlichen Behörden sei es kaum noch möglich, Entscheidungen wie die Verkürzung des Genesenenstatus zu erklären. Harig wies darauf hin, dass sich unter die Demonstranten immer mehr Pflegekräfte mischten. "Versammelten sich Ende 2021 insbesondere 'spinnerte' Gruppierungen und Dauerunzufriedene bei den montäglichen Anti-Corona-Demonstrationen, werden durch die beschriebenen Kommunikations- und Entscheidungsprobleme immer neue Bevölkerungsteile zur Teilnahme regelrecht ermuntert." Diese Einschätzung teilte am Montag auch ein Reporter vor Ort. "Das Klientel der rechtsextremen Szene hat sich deutlich minimiert und ist heute offenbar kaum vertreten", so der Reporter.
Rechtsextreme Freie Sachsen verbreiten Rede über Telegram
Dennoch waren auch die vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Freien Sachsen vor Ort, die seit Wochen zu den Corona-Protesten aufrufen und ein Video der Witschas-Rede geteilt haben. Die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz twitterte, die von Witschas verkündete Entscheidung habe Bedeutung für ganz Sachsen. Sie forderte die Landesregierung auf, sich zu positionieren. Und auch das Kulturbüro Sachsen zeigte sich von dem Geschehen in Bautzen entsetzt:
Große Proteste auch in Freiberg, Zwickau und Löbau
Größere Proteste gab es unter anderem auch in Dresden, Chemnitz, Zwickau, Löbau und Radebeul, wo sich zwischen mehreren hundert und über 1.000 Menschen sogenannten Spaziergängen oder Autokorsos anschlossen. Die Polizeidirektion Görlitz zählte für ihren Zuständigkeitsbereich mehr als 11.000 Teilnehmende.
In Freiberg beteiligten sich laut Polizei rund 3.000 Teilnehmende an den Protesten, die friedlich geblieben seien. Unter ihnen war auch eine Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes. Sie hatte zum fünften Mal zu einer Kundgebung aufgerufen, um vor dem drohenden Kollaps in der vom Fachkräftemangel gebeutelten Branche zu warnen. In ihrem Unternehmen würden 60 Prozent der Beschäftigten wegbrechen, erklärt sie. Von Woche zu Woche beteiligten sich mehr Pflegedienste und Einrichtungen, erzählt sie einem Reporter. Sie und viele andere Pflegekräfte möchten ihren Beruf weiter ausüben. Sie fordern, für die Weiterbeschäftigung nicht nur den Impfstatus anzuerkennen, sondern auch den Genesenennachweis. "Wir können nur zusammen, egal, welchen Status wir haben, diese Berufe aufrecht erhalten. Auch die Geimpften stehen neben uns."
Journalisten in Coswig angegriffen
In Coswig kam es zu einem gewaltsamen Angriff auf Journalisten. Wie das Team von vue.critique auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte, wurden sie mit Glasflaschen beworfen. Der Begleitschutz sei mehrfach angegriffen worden. Die Reporter stellten die Berichterstattung ein. Die Polizei, die zu dem Zeitpunkt nicht vor Ort war, machte nach eigenen Angaben einen Tatverdächtigen ausfindig. Gegen den 40-jährigen Deutschen werde wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.
Ermittlungen gegen Rednerin in Zwickau nach Holocaust-Vergleich
In Bautzen griffen Gegner von staatlichen Corona-Maßnahmen Polizeifahrzeuge mit Pyrotechnik an. Rund 300 Personen hatten sich laut Polizei aus der Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmern gelöst und seien Parolen skandierend durch die Straßen gezogen. Um den Aufzug zu stoppen, hätten Einsatzkräfte mehrfach unmittelbaren Zwang anwenden müssen, teilte die Polizei auf Twitter mit. Auch bei Corona-Protesten in Chemnitz sei Pyrotechnik geworfen worden. Bis auf wenige Ausnahmen seien alle Proteste weitgehend friedlich verlaufen. Vielfach wurden Anzeigen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz gefertigt. In Görlitz wurde eine Anzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt aufgenommen. Die Polizei in Zwickau ermittelt wegen des unerlaubten Einsatzes einer Drohne sowie gegen eine Rednerin der Kundgebung auf dem Marktplatz in Zwickau. Sie hatte den Status von Ungeimpften mit Verfolgten des Dritten Reiches verglichen.
Quelle: MDR (dk), dpa