Migration Wie Wehrsdorfer Bürger sich um die Flüchtlinge in ihrem Ort kümmern

15. April 2023, 10:00 Uhr

Weil in Hirschfelde ein neues Flüchtlingsheim entstehen soll, sind viele Einwohner aufgebracht. Ähnlich war die Stimmung in Wehrsdorf im Landkreis Bautzen, als dort 2015 eine Unterkunft für Geflüchtete entstand. Inzwischen ist das Thema in dem Ort kein Aufreger mehr. Das liegt auch an Menschen wie Katharina Groß, die sich der Flüchtlinge annehmen.

Als Katharina Groß das Flüchtlingsheim betritt, spielen gerade zwei Mädchen auf der Treppe der ehemaligen Schule. Eine von ihnen, eine Sechsjährige mit dunklen langen Haaren, ruft laut und freudig "Katharina!", als sie Frau Groß sieht. Sie hechtet die Treppe herunter und mit einem Satz landet sie in den Armen der Rentnerin. Die Wehrsdorferin ist wichtig für die Bewohner des Heims, das wird schnell klar. Nicht nur für die ganz Kleinen.

Gruppe von Bürgern engagiert sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge

Sie ist Vorsitzende der Gruppe "BlickKontakt", in der sich rund 40 Wehrsdorfer Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich engagieren, um Flüchtlingen das Ankommen in ihrer neuen Realität zu erleichtern: Sie kümmern sich um die Kinder, machen mit ihnen gemeinsam Hausaufgaben, bieten Deutschkurse an oder helfen bei Problemen mit Ämtern. Vier Frauen in der Gruppe kümmern sich ganz besonders viel um die Kinder, die in dem Heim leben. Katharina Groß berichtet, dass diese vier von den Kleinen häufig Oma genannt werden.

Im dritten Stock des Heims besucht Groß eine marokkanisch-algerische Familie in ihrem Zimmer. Auf dem Boden liegt ein orientalischer Teppich, an der Wand hängt eine schwarz-rot-goldene Flagge. Arab Siham und Houssiyne Mokaddem kamen mit großen Hoffnungen nach Deutschland, nun sitzen sie seit fünf Jahren mit Duldungsstatus in dem Heim fest, berichten sie. Ihre Kinder wurden geboren, während sie schon in der Wehrsdorfer Unterkunft lebten.

Frust vieler Geflüchteter in dem Wehrsdorfer Heim ist groß

Der Frust über ihre Lebenssituation ist groß bei ihnen. Beide berichten aufgebracht und besorgt von Bettwanzen, schmutzigen Küchen und Toiletten, fehlenden Spielmöglichkeiten für die Kinder und lärmenden Heimbewohnern. Katharina Groß hört sich alles an und versucht, Tipps zu geben, was sie tun können, um ihre Situation zu verbessern. Sie kommt regelmäßig zu Besuch, um den Wehrsdorfer Flüchtlingen zu helfen.  

Trotz all dem Frust sagen beide "Deutschland ist sehr gut". Auch die Wehrsdorfer seien "gute Leute", findet Arab Sahim und ihr Mann stimmt zu. Nur das Heim sei "eine Katastrophe", erklärt seine Frau. Dass das Paar ein so gutes Bild von den Menschen in dem Ort hat, hat wahrscheinlich mit der Arbeit von Katharina Groß und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu tun. Die Ehrenamtlichen sind für sie das freundliche Gesicht von Wehrsdorf, ihre Ansprechpartner. Und umgekehrt? Wie blicken die Wehrsdorfer auf die Geflüchteten in dem Heim?

Hoher Anteil an AfD-Wählern in Sohland an der Spree

Eine Frau, die sich mit ihren Einkäufen schwer atmend über die Hauptstraße quält, sagt: "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber mich stört, dass da so viele junge Kerle rumsitzen und nichts tun. Die sollten lieber ihre Länder wieder aufbauen." Namentlich genannt werden will sie nicht. Klar ist: Nicht jeder in Wehrsdorf ist begeistert von dem Flüchtlingsheim. Bei der Bundestagswahl 2021 holte die AfD in Sohland an der Spree, wozu auch Wehrsdorf gehört, mit Abstand die meisten Stimmen: 38,8 Prozent.

Aber die Unterkunft ist auch kein Anlass zu Protesten mehr, wie noch vor einigen Jahren: Anfang 2015 hatte der Landkreis Bautzen in Wehrsdorf zu einer Versammlung geladen, um die Bürger über seine Pläne zu informieren, eine ehemalige Schule zu einem Flüchtlingsheim umzufunktionieren. Riesig war der Andrang der Gäste, von denen sich viele um die Sicherheit in ihrer Gemeinde sorgten. 

Stimmung war 2015 sehr aufgeheizt

Anwesend war damals auch Katharina Groß. Sie gehörte zu der Minderheit derer, die die Flüchtlinge mit offenen Armen willkommen heißen wollten. "Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Der Landrat wurde ausgepfiffen", erzählt sie. Viele der Gäste seien keine Wehrsdorfer gewesen, sondern "einfach Leute, die Stimmung machen wollten". Es gab damals eine Unterschriftensammlung gegen das Heim. 

Die Szenen erinnern an das, was sich zurzeit in dem Zittauer Ortsteil Hirschfelde abspielt. Dort will der Landkreis Görlitz in einem leerstehenden Gebäude eine Unterkunft für bis zu 150 Flüchtlinge einrichten. Wie in Wehrsdorf 2015 geben in Hirschfelde zurzeit die Gegner des Heims vor Ort den Ton an. Und wie die Wehrsdorfer damals begründen sie ihre Ablehnung vor allem mit Sicherheitsbedenken. Landkreis und Bürger stehen sich unversöhnlich gegenüber, die Situation scheint verfahren. 

Stimmung gegenüber Flüchtlingen hat sich in Wehrsdorf gebessert

Doch das Beispiel von Wehrsdorf zeigt, wie sich die Stimmung in einem Ort im Laufe der Zeit wandeln kann, wenn das Zusammenleben ohne größere Probleme funktioniert. "Die meisten Leute, die damals gegen das Heim unterschrieben haben, würden das heute nicht mehr tun", vermutet Katharina Groß. Dass die Stimmung in dem Ort sich so geändert habe, dazu habe auch die Arbeit der Initiative "BlickKontakt" beigetragen.

Viele Nachbarn und Bekannte aus dem Ort würden sich bei ihr nach den Flüchtlingen erkundigen, erzählt Groß. Die Tätigkeit der ehemaligen Deutschlehrerin trägt dazu bei, so scheint es, Ängste abzubauen, weil Groß und die anderen Helfer Auskunft geben können, über die Neuen im Ort. Viele der Einwohner würden ihr sagen: "Es ist gut, dass ihr euch um die Menschen kümmert." Angefeindet seien sie für ihr Engagement im Ort noch nie, sagt Groß.

Vor allem aber habe sich die Stimmung in Wehrsdorf so geändert, weil sich die Ängste der Wehrsdorfer nicht bewahrheitet hätten. Es passiere einfach nichts Negatives. "Die Leute stören nicht, sie grüßen, sie sind ganz nett und man sieht sie hier und da. Sie gehören einfach zum Dorf." So drückt Groß es aus.

Und grüßen scheint wichtig zu sein für die Wehrsdorfer. Eine Frau mittleren Alters, mit hellblonden Haaren und Funktionsjacke, die mit einer Bekannten durch den Ort spaziert, sagt: "Ich war 2015 auch gegen das Heim. Ich war auch auf der Bürgerversammlung und habe mich dagegen geäußert. Heute stört es mich nicht mehr". Warum nicht? "Die Leute grüßen freundlich. Und sonst kriege ich von ihnen nichts mit."

MDR (jwi)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 18. April 2023 | 16:30 Uhr

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