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StrukturwandelGemeinsames Treffen von Brandenburg und Sachsen: Große Pläne für die Lausitz

21. Juni 2022, 22:39 Uhr

Sachsen und Brandenburg wollen beim Strukturwandel in der Lausitz stärker zusammenarbeiten. Auf der ersten gemeinsamen Kabinettssitzung seit der Pandemie - die letzte war 2019 - ging es um neue Industrien, Forschungseinrichtungen, Verkehrswege und fehlende Fachkräfte. Der Lausitzring im brandenburgischen Klettwitz stand als Tagungsort für das Tempo, mit dem beide Länderchefs den angekündigten Strukturwandel stemmen wollen. Noch sind sie unzufrieden mit dem Tempo – vieles gehe zu langsam.

Wasserstoff, Wissenschaft, Wachstum für die Lausitz: Die Themenliste, die Sachsens und Brandenburgs Länderchefs am Dienstag zum Lausitzring mitnahmen, war lang. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und sein Amtskollege Dietmar Woidke (SPD) zogen auch eine Bilanz für das 2020 gestartete "Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen". Die Länderchefs lobten die geschaffenen, gut bezahlten Industriearbeitsplätze im künftigen ICE-Instandhaltungswerk Cottbus, der Kathodenfabrik in Schwarzheide, Rocktech in Guben und Altech in Schwarze Pumpe. Auffällig: fast alle genannten Projekte liegen in Brandenburg. Ebenso wie der geplante Lausitz Science Park. Der Grund aus Sicht von Wirtschaftsvertretern: die Nähe der brandenburgischen Lausitz zu Berlin, im Vergleich zu Sachsen nur wenige Industriestandorte und eine bei Ansiedlungen hocheffiziente Standortvermarktung.

Bisher nur Ankündigungen: Der Bahnausbau in der Lausitz

Beim Ausbau der Bahnstrecken in der Lausitz reißt den Landesregierungen inzwischen der Geduldsfaden. Denn noch hat nicht ein Bauplaner mit der Vorbereitung der Projekte begonnen. Der Grund liegt in Versäumnissen des früheren Verkehrsministers Scheuer (CSU). Er versäumte es, die Finanzierung der Planungsleistungen unter Dach und Fach zu bringen. Brandenburg ging darum für seine Streckenabschnitte teils in Vorleistung. Insgesamt geht es um knapp sieben Milliarden Euro, die die Bahn aus Strukturmitteln für den Ausbau in der Lausitz und in der Region Leipzig, Halle, Chemnitz einsetzen soll.

Der eigens nach Klettwitz angereiste Vorstandschef der DB Netz AG, Frank Sennhenn, beteuert, dass die Bahn mit den Planungen noch im dritten Quartal beginnen könne. Nur müsse die Bundesregierung die Finanzierungsvereinbarung für diese Mammutaufgabe endlich unterschreiben. Aus Kreisen der Bundesregierung heißt es, dass dieses Erbe der Vorgängerregierung noch im Sommer aufgearbeitet werden soll. Danach könne die Bahn mit den Projekten starten.

Berlin fehlt der Platz für Neuansiedlungen, Lausitz profitiert

Besonders im Focus steht dabei die Strecke Berlin – Cottbus/Chóśebuz – Weißwasser/Běła Woda – Görlitz (– Breslau/Wrocław). Der brandenburgische Teilabschnitt bis Cottbus kann wegen der Vorleitungen des Nachbarlandes voraussichtlich schon Ende 2027 in Betrieb gehen. Entlang dieser Achse sehen Industrievertreter ein enormes Wachstumspotenzial. Denn sie hat direkten Anschluss zum Großflughafen BER und bietet Platz für Neuansiedlungen, den Berlin nicht mehr bieten kann. Forschungsansiedlungen in Görlitz und der künftig zweitgrößte Wissenschaftspark Deutschlands (DLR, Fraunhofer, RollsRoyce, Airbus Industries, BASF, Deutsche Bahn AG) in Cottbus sind die Vorboten dieser Strategie.

Es darf keine neuen Strukturbrüche geben! Uns treibt gemeinsam die Sorge vor sozialen, ökonomischen und politischen Folgen für Ostdeutschland um. Wir brauchen klare Perspektiven für die Menschen in der Region, wir brauchen Versorgungssicherheit.

Michael Kretschmer und Dietmar Woidke | Ministerpräsidenten der Länder Sachsen und Brandenburg

Industriepark Schwarze Pumpe platzt aus allen Nähten

Beide Länder wollen darum den grenzüberschreitenden Industriepark Schwarze Pumpe (ISP) erweitern. Denn Unternehmen aus aller Welt haben die noch vorhandenen Flächen für Investitionen aufgekauft oder reservieren lassen. Darum sollen zusätzliche, riesige Gewerbeareale erschlossen werden. Die Länder planen dafür mehr als 25 Millionen Euro aus Fördertöpfen von Bund und Ländern ein. Schon heute arbeiten in Schwarze Pumpe mehr als 5000 Beschäftigte.

Konsenz und Meinungsverschiedenheiten in Energiefragen

In der Diskussion um längere Laufzeiten für Kohlekraftwerke nach Ausbruch des Ukrainekrieges halten Sachsen und Brandenburg an bisherigen Plänen fest. "Das Kohleausstiegsgesetz mit der Zielmarke 2038 ist und bleibt ein guter Kompromiss", sagten beide Ministerpräsidenten in Klettwitz. Dennoch treiben beide Politiker Sorgen um nach den Forderungen für einen Ausstieg aus Öl und Gas. "Wir brauchen Versorgungssicherheit", forderten sie. Die Bundesregierung solle dafür Klarheit schaffen und verbindlich festlegen, "welche Rolle dabei die Kohleverstromung als Brücke spielt." Im  Gegensatz zu Brandenburgs Regierungschef Woidke plädiert Sachsens Ministerpräsident jedoch für einen Weiterbetrieb der noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke.

Wasserversorgung für Lausitz sichern

Die Landesregierungen will bei allen großen Projekten die Netze für eine stabile Wasserversorgung mitplanen. Sie fordern eine weitere Sanierung der Tagebaulandschaften. Die Lausitz bekäme wieder einen sich selbst regulierenden Wasserhaushalt. Die Bergbauunternehmen sollen mit ins Boot und müssten "hier ihre berg- und wasserrechtliche Verantwortung wahrnehmen". Kommunen bereiten unterdessen den Zusammenschluss riesiger Trinkwasser-Versorgungsnetze in Sachsen und Brandenburg vor. Der Vorteil: sichere Versorgung zu bezahlbaren Preisen für die Einwohner und enorme Wasserreserven für künftige Industriebetriebe. Diese werden im Grundwasser-Urstromtal im Westen der Lausitz gefördert. Schon heute beliefert Brandenburg die Großmolkerei in Leppersdorf mit dem dringend notwendigen Trinkwasser über eine Fernleitung.

Bund soll für Wasserstoffprojekte zahlen

Mit dem Strukturwandel soll in der Region eine wettbewerbsfähige regionale Wasserstoff-Wirtschaft entstehen. Vorzugsweise mit Grünem Wasserstof aus Wind- und Solarenergie. Nach dem Willen von Sachsen und Brandenburg soll der Bund die geologische Langzeitspeicherung von Wasserstoff mit Pilotprojekten fördern.

Gemeinsame Kulturregion aufbauen

Die Ansiedlung des Fraunhofer-Instituts für Energieinfrastrukturen und Geothermie oder des DLR-Instituts für CO2-arme Industrieprozesse in Cottbus und im sächsischen Zittau sollen neue Technologien in der Lausitz weiter pushen. Außerdem soll die Region ihre Tourismusstrategie verzahnen und als gemeinsame Kulturlandschaft zusammenwachsen. Vorzeigeprojekt ist das Lausitz Festival unter der Schirmherrschaft Woidkes und Kretschmers vom 25. August bis 16. September. Beide Länder wollen zudem die Förderung der Sprache und Kultur des sorbischen Volkes in das Strukturstärkungsgesetz aufnehmen. Über weitere Vorhaben und Planungen der Domowina informierte der Vorsitzende Dawid Statnik in Klettwitz die Kabinette. Länderübergreifend wird an dem Ausbau der Radthemenrouten "Sorbische Impressionen" zu einem Kultur-Sprachen-Weg gearbeitet.

Lausitz soll Gesundheitsregion werden

Brandenburg und Sachsen unterstützen den Aufbau einer Modellregion für Gesundheit, Forschung, Lehre. Doch dabei müsste das Internet und die digitale Infrastruktur auf dem Land erheblich ausgebaut werden. Seit November 2021 gibt es dazu einen Vertrag zwischen beiden Ländern. Die Lausitz soll zum Vorreiter werden für eine "wohnortnahe Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau" auf dem Land.

Für dieses Mega-Programm hat Kretschmer die Bundesregierung aufgefordert, mehr Planungsgelder zur Verfügung zu stellen. Trotz bisheriger Erfolge beim Strukturwandel in der Lausitz sei man "hinter unseren eigenen und den Erwartungen der regionalen Akteure vor Ort" zurückgeblieben. Die Länder brauchten vom Bund beispielsweise mehr Geld für den Planungsvorlauf. Die Große Koalition hatte 2019 beschlossen, die Folgen des Kohleausstiegs mit insgesamt 40 Milliarden Euro abzufedern. Der Großteil davon ist für direkte Investitionen des Bundes vorgesehen, etwa für Straßen und Bahnstrecken.

Am Geld soll es nicht liegen. Dem Lausitzer Revier stehen aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) insgesamt Mittel von bis zu 17,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Dabei entfielen auf Brandenburg 10,32 Milliarden Euro und auf Sachsen 6,88 Milliarden Euro, rechneten beide Kabinette vor.

Schutzkorridor für Schweinepest schaffen

Als weiteren Punkt beschlossen die beiden Länder die Errichtung eines Schutzkorridors für die Bekämpfung der Schweinepest, die Sachsen und Brandenburg als "Krise von nationaler Tragweite" sehen. Sie appellierten an den Bund, mehr finanzielle Unterstützung zu leisten.

Weltweite Imagekampagne

Brandenburgs Ministerpräsident beklagte während der gemeinsamen Kabinettssitzung den oft zweifelhaften Ruf der Lausitz. Bilder von veralteten Industrien und zerstörten Landschaften würden noch zu oft als Vorurteil durch die Köpfe geistern. Das will Brandenburg ändern. Eine weltweite Imagekampagne wurde baufragt. Darin soll die Lausitz als moderne, lebenswerte Region dargestellt werden. Das sei nötig, um die vielen neuen Arbeitsplätze auch zu besetzen. Denn die Region hat auch nach dem Kohleausstieg zu wenig Fachkräfte – sie braucht Zuzug tausender Arbeitskräfte. Sachsen will sich darum dieser Imagekampagne anschließen. Voraussichtlich Ende kommenden Jahres soll sie dann starten.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 21. Juni 2022 | 19:00 Uhr