Sorbische Tradition Radibors Dorfjugend und ihr 800 Kilo schwerer Maibaum
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01. Mai 2024, 15:42 Uhr
Auf den Dorfplätzen in der Oberlausitz stehen jetzt die Maibäume. Nicht nur das Aufstellen war ein Kraftakt. Dass sie bis zum 1. Mai stehengeblieben sind, erforderte ein zähes Ausharren in einer schlaflosen Nacht.
Nein, so schwer sei der 21 Meter lange Maibaumstamm nicht, winkt David Schäfer lässig ab. Jaaa, als er frisch gefällt wurde, habe er so eine Tonne gewogen. Inzwischen sei das Holz getrocknet und wiege vielleicht 700 bis 800 Kilogramm, schätzt der 23-Jährige. Und das wird mit acht Leuten nun hochgewuchtet. Man kann förmlich sehen, wie sich die zu stemmende Masse in den Gesichtern der jungen Radiborer widerspiegelt. Wenige Augenblicke später liegt der riesige Baum gesichert auf einem Anhänger und wird zum Dorfplatz transportiert.
Manpower am einseitigen Hebel
Die Jungs vom Jugendclub in Radibor - einer sorbischen Gemeinde der Oberlausitz - sind Profis. Das Maibaumstellen ist traditionell ihr Job und wird jedes Jahr vor Beginn der Walpurgisnacht gemacht. Und zwar händisch. "Manpower ist da immer gut", sagt David Schäfer. "Weil wir ihn über Winkel stellen, fühlt sich das vielleicht nicht so schwer an."
Was der Radiborer damit meint, lässt sich vielleicht so beschreiben: Auf dem Dorfplatz wird ein fast zwei Meter tiefes Loch gegraben. Das Ende des Stammes wird darübergelegt. Dann beginnt man mit Schubstangen – einfache Stangenpaare, die mit einem Seil zum Heben an der Spitze verbunden sind – das schlanke Ende des Baumstammes anzuheben. Sobald sich das dicke Stammende ein Stück ins Loch hineinsenkt, wird Sand draufgeschüttet. Dieser Vorgang wird solange wiederholt, bis der Baum tatsächlich senkrecht steht.
Manpower ist da immer gut.
Schleifen in den sorbischen Nationalfarben
Doch eine wichtige Sache darf vor dem Kraftakt nicht vergessen werden: Die Girlande, die Maikrone und die grüne Birke sind natürlich vorher zu befestigen. An die Birke haben die Mädels vom Jugendclub gerade noch Schleifen in den sorbischen Nationalfarben gebunden.
Das sieht nicht nur schön aus, sondern wird bei Maibaumwerfen am 12. Mai eine wichtige Rolle spielen, wie der Jugendclubchef Niklas Schmidt erklärt: Sobald der Baum falle, laufen alle Burschen los zum Kranz und versuchen als erste einen Birkenzweig mit Schleife zu fassen. "Wer ihn bekommt, ist Maikönig und kann sich die Maikönigin aussuchen."
Dann fahren das neue Maikönigspaar und das vom vergangenen Jahr mit der Kutsche ums Dorf. "Die Kutschfahrt ist sehr schön und vor allem kann ich dieses Jahr noch einmal fahren", freut sich bereits Leoni Wenzel, die Maikönigin von 2023.
Wir können doch dabei keine Malle-Hits spielen.
Unterdessen wird auf dem Dorfplatz immer auf Drei der Baumstamm Ruck für Ruck vom spitzen in den rechten Winkel bewegt. "Raz, dwaj, tři!" rufen die Jungs auf Sorbisch vorher, damit auch jeder den richtigen Moment abpasst. Die Prozedur begleitet Blasmusik aus einer mitgebrachten Lautsprecherbox. "Blasmusik ist bei uns verbreitet", erklärt Leoni Wenzel. Beim Maibaumstellen etwa Ballermann-Hits zu hören, empfände sie als unpassend.
Erst bewachen, dann wieder umwerfen
Doch wie groß ist eigentlich die Konkurrenz um den Maikönig, später beim Maibaumwerfen? "Meist rennen die Älteren", sagt Adrian Mitschke. "Da muss man schon wissen, ob das Gehalt stimmt." Der 21-Jährige erklärt, dass nämlich der Maikönig an seinem Krönungstag jedem die Getränke ausgeben muss. Was das speziell für ihn bedeute? "Ich werde diesmal noch nicht so schnell rennen", sagt Adrian Mitschke. "Aber ich werde mein Bestes geben", fügt er hinzu und muss grinsen.
Beim Maibaumwerfen muss man vorher wissen, ob das Gehalt stimmt.
Noch eine große Sache gilt es wie jedes Jahr zu meistern: Steht der Maibaum abends am 30. April, dann muss er die ganze Nacht bis zum 1. Mai bewacht werden. "Tradition ist, dass man nachts in andere Dörfer fährt und versucht, sich die Krone vom Maibaum zu holen, um sie gegen ein Fass Bier auszulösen", sagt David Schäfer. Damit der eigene Baum nicht umgesägt werde, habe man die Pflicht, ihn zu schützen. Es wird also Nachtwache gehalten.
Sieben auf einen Streich
Der Radiborer Maibaumstamm ist übrigens zusätzlich unten mit Eisenstäben umhüllt. "Da müsste man nicht nur mit 'ner Säge, sondern erst mal mit 'ner Flex ran", so David Schäfer. Es werden augenscheinlich harte Geschütze aufgefahren im sorbischen Siedlungsgebiet. Vielleicht auch, weil die Radiborer ihren Ruf weghaben? Denn sieben Maibaumkränze sollen sie mal in einer Nacht von den umliegenden Dörfern geklaut haben, wie David Schäfer erzählt. "Die Generationen vor uns haben das eher gepflegt", sagt er zu solchen nächtlichen Diebestouren. "Deren Rekord ist schwer zu brechen."
Anmerkung der Redaktion: Der MDR war am 30. April beim Maibaumstellen in Radibor dabei. Wie wir erfahren haben, hat die Nachtwache in den 1. Mai durchgehalten. Der Maibaum von Radibor steht!
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 30. April 2024 | 06:30 Uhr