Kommentar Wittichenau in der Empörungsmaschine

04. Januar 2023, 18:54 Uhr

Erzkonservative Katholische Kirche trifft auf vermeintlich rückwärtsgewandte Sachsen – ein klarer Fall für einen weiteren Schleudergang in der digitalen Empörungsmaschine. Die persönliche Auseinandersetzung vor Ort wäre die bessere Alternative, kommentiert unser Autor.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Alexander Laboda
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Die Aufregung um die Weihnachtspredigt eines Paters im sächsischen Wittichenau zeigt die Mechanismen unserer digitalen "Empörungsdemokratie", wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen einmal genannt hat. Ein lokales Ereignis wie eine Weihnachtspredigt in einer 5.700-Einwohner-Stadt erhält durch Internet-Plattformen wie Twitter mit mehreren Tagen Verspätung überregionale, niemals beabsichtigte Aufmerksamkeit.

Noch vor 20 Jahren wäre die Predigt schnell vergessen oder höchstens Gegenstand eines Artikels in der Lokalzeitung gewesen. In diesen Zeiten steht sie - falls sie nicht doch noch von der Pfarrgemeinde gelöscht wird - auf ewig bei YouTube. Die Reaktionen auf das in den "sozialen" Netzwerken geteilte Video sind schließlich so laut, dass klassische Medien aufspringen und berichten (müssen). Aufmerksamkeit ist schon da und muss lediglich in Aufrufe umgemünzt werden. Zudem fällt die Skandalisierung leicht: erzkonservative Katholische Kirche trifft auf rückständige Sachsen - klarer Fall.

"Überheblich-anmaßende Moral"?

Nützt diese Kommunikation noch dem gesellschaftlichen Diskurs? Ein Leser aus Wittichenau schrieb dem MDR passend zu dieser Frage am heutigen Mittwochmorgen: "[Die Predigt] rammt gegen den vermeintlichen Mainstream und die überheblich-anmaßende Moral der alles-besser-wissenden Generation einen Pfeiler ein." Weiter schreibt er von einer ideologisch verlorenen Zeit und der "Abwertung der eigenen Lebensstile". Am Ende fragt er: "Mein Gott, wo sind wir hingekommen?"

Meine Antwort darauf: Offenbar in einer Zeit großer Gräben, in der sich alle auf die Seite ihrer feststehenden Ansichten zurückgezogen haben, um von dort aus alle anderen niederzubrüllen.

Schmerzhafte Fragen

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Predigt von Pater Joachim Wernersbach provoziert zu Recht Widerspruch. Die Rede grenzt Menschen aus und würdigt sie herab. Eines Christen ist sie in ihrer Verachtung für die Vielfalt von Gottes Schöpfung unwürdig. Eine Entschuldigung des Paters wäre angebracht.

Doch damit ist es meiner Ansicht nach nicht getan. Vielmehr stellen sich sehr schmerzhafte weitere Fragen. Warum spürt Joachim Wernersbach eine "Dissonanz" (O-Ton aus seiner Predigt), wenn er alleine nur Begriffe wie Gender, Diversität oder LGBTIQ hört, die gesellschaftliche Vielfalt beschreiben? Und warum fühlen sich manche, wie unser Leserbriefschreiber, derart an den Rand gedrängt, wenn Menschen einfordern, wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht aus dem Kreis der "schönen göttlichen Ordnung" (ebenfalls O-Ton Wernersbach) ausgeschlossen zu werden?

Diskussion persönlich und vor Ort führen

Wo die Wurzeln solcher seltsamen Empfindlichkeiten und gefühlten Verletzungen sind, müsste dringend geklärt werden. Sie sind leider keine Randerscheinungen. Deshalb muss sich die Mehrheitsgesellschaft, die sexuelle Selbstbestimmung und die Gleichberechtigung der Geschlechter als Menschenrecht ansieht, irgendwie mit ihnen auseinandersetzen. Persönlich bin ich überzeugt, dass die sich ständig wiederholende Spirale von Provokation, Aufregung und gegenseitigem Niedermachen in digitalen Räumen zumindest ein Teil des Problems ist.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr gut, dass Gemeindemitglieder aus Wittichenau die Predigt direkt nach Weihnachten mit einer Petition sehr bestimmt, aber weitgehend sachlich und begründet kritisiert haben. Noch besser wäre es, wenn es auf dieser Grundlage nun zu einer realen, persönlichen Diskussion vor Ort kommt – abseits der digitalen Empörungsmaschine erscheint eine Verständigung nicht unmöglich.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 04. Januar 2023 | 19:00 Uhr

31 Kommentare

Anita L. am 05.01.2023

"Die Predigt war an die versammelte Gemeinde gerichtet. Und nur diese Gemeinde hat das Recht Kritik zu üben. Wer der Kirche nicht mehr angehört, hat schon gar kein Recht Forderungen zu stellen."

Ist nicht das Ziel einer Predigt, Gottes Wort in die Welt zu säen? Ich könnte mich zumindest nicht daran erinnern, dass der Sämann das Wort in einer Kirchgemeinde allein gesät hätte. Die Kirche ist keine Hinterhofstammtischkneipe, sondern nimmt für sich Außenwirkung in Anspruch.

Reuter4774 am 05.01.2023

Anita L.
Die " Gemeinde" war aber selbst zu feige das Thema persönlich anzusprechen. Und hat deshalb die moderne ( mediale) Hexenjagd losgetreten. Wer ist die größere Nappsülze?

Anita L. am 05.01.2023

"Es bleibt trotzdem mysteriös, wieso sich gläubige Menschen am wichtigsten Tag des Weihnachtsfestes nicht zu einer Klärung an Ort und Stelle durchringen konnten, wenn sie sich schon gegen den Grundgedanken dieses Festes entschieden hatten und ihrer Verärgerung freien Fluss lassen wollten."

Wie sieht denn der Grundgedanke des Festes aus, dass es Ihnen lieber zu sein scheint, die Verärgerung möglichst nicht "fließen" zu lassen? Soweit ich mich mit der Bibel auskenne, hat sich Jesus keine Gedanken darüber gemacht, ob seine Kritik an der bestehenden Art religiöser Bigotterie gerade angemessen oder lieber "leise" zu äußern wäre.

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