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Kleine und große Europäer: Lehrer Kamil Prisching mit seinen Schülerinnen und Schülern an der Schkola in Hartau bei Zittau. Sie haben keine Berührungsängste mit den Nachbarn in Tschechien oder Polen. Bildrechte: MDR/Viola Simank

Lernen ohne GrenzenSchkola im Dreiländereck: Europa, wir kommen!

03. Juni 2024, 11:00 Uhr

Im Dreiländereck zu Polen und Tschechien liegt Europas Vielfalt vor der Haustür. Doch die Sprachbarriere lässt viele noch zögern, sie zu entdecken. In den freien Schulen des Schkola-Verbundes gehört deshalb das Lernen der Nachbarsprache zum Alltag. Sie öffnet auch die Tür, um die Nachbarn besser kennenzulernen.

Für Kamil Prisching ist die Grenzüberschreitung Alltag: Jeden Tag fährt der Lehrer von seinem Wohnort in Tschechien eine Viertelstunde zur Arbeit ins deutsche Hartau. Der kleine Ortsteil von Zittau liegt an der Neiße, zur tschechischen Grenze sind es nur ein paar hundert Meter. Der 48-Jährige arbeitet an der Schkola, unterrichtet in Hartau seit 1998 Tschechisch und Sport. Auf die freie Grundschule gehen rund 90 Kinder. Sie lernen in altersgemischten Gruppen und kommen zum Teil auch aus Tschechien.   

Schulalltag in der Schkola: Hier lernen die Kinder von Klasse eins bis vier gemeinsam, auch auf dem Boden sitzen ist erlaubt. Bildrechte: MDR/Viola Simank

Ein Drittel der Kinder zweisprachig

Die Nachbarsprache hört man in der Schkola deshalb nicht nur im Tschechisch-Unterricht, sondern auch bei der täglichen Begrüßung, beim Mittagessen oder beim Sportunterricht. So können sie die Kinder ganz nebenbei lernen, sagt Kamil Prisching. Gerade sitzt der Tscheche mit einigen der Kinder im Garten der Schkola und geht mit ihnen durch, was heute beim Sportunterricht auf dem Plan steht: Erwärmung, ein Ausdauerlauf, dann ein Spiel. All das passiert in Tschechisch, auch die deutschsprachigen Kinder kommen gut mit.

Für Vojta ist dieser Teil besonders einfach, denn Tschechisch ist seine Muttersprache. Seine Eltern kommen aus Tschechien, die Familie wohnt aber in Zittau. Dass er in Deutschland einfach zur Schule gehen kann, ist seit dem EU-Beitritt Tschechiens kein Problem mehr. So wie Vojta wachsen etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler an der Schkola in Hartau in einem zweisprachigen Elternhaus auf.

Vojta (re) kommt aus Tschechien und lernt seit zwei Jahren an der Schkola in Hartau. Bildrechte: MDR/Viola Simank

Der Achtjährige hat schon von klein auf Deutsch gelernt und geht seit der ersten Klasse in die Schkola. Die Grenze? Die fällt ihm kaum noch auf, sagt er: "Für mich ist es ein großes Land und es ist mir egal, ob ich in Tschechien oder Deutschland bin." Damit aber auch die deutschen Kinder Vojtas Heimatland kennenlernen, gibt es regelmäßig Begegnungstage mit der Partnerschule der Schkola im tschechischen Hradek.

Für mich ist es ein großes Land und es ist mir egal, ob ich in Tschechien oder Deutschland bin.

Vojta | Schüler an der Schkola Hartau

"Nachbarschaft und Sprache" als eigenes Unterrichtsfach

Die Begegnungstage werden unter anderem von Kamil Prisching organisiert. "Die Nachbarschaft ist uns fast noch wichtiger als das Lernen der Sprache", meint der 48-Jährige. Auch hier gelte das Motto der Schule: Voneinander lernen, miteinander leben. Bei den Ausflügen ins Nachbarland bekämen die Kinder auch einen Einblick in tschechische Gewohnheiten: "In Tschechien sagt man beispielsweise zum Busfahrer nicht einfach Hallo, sondern Guten Tag, weil man sich nicht kennt. Genauso ist es in der Gaststätte." Auch diese kleinen Unterschiede würden die Kinder dadurch lernen.

Wie wichtig der Schkola diese grenzübergreifenden Begegnungen sind zeigt auch, dass "Nachbarschaft und Sprache" ein eigenes Unterrichtsfach ist. "Wir haben uns das vom Sächsischen Kultusministerium offiziell anerkennen lassen", sagt Schkola-Geschäftsführerin Ute Wunderlich. Die Jugendlichen könnten darin auch ihre Abschlussprüfung ablegen. Geprüft würden zum Beispiel neben der Nachbarsprache auch Landeskunde oder wie sie bei den Begegnungstagen gemeinsam mit anderen Kindern Probleme gelöst haben. Dass das Konzept der Schkola ankommt, zeigt auch das Interesse an einem Schulplatz: Auf einen Platz kommen drei Anmeldungen.  

Auf die Schkola in Hartau gehen rund 90 Kinder. Bildrechte: MDR/Viola Simank

Was ist die Schkola?Das Wort Schkola kommt aus dem Slawischen und bedeutet "Schule".

Die erste Schkola wurde 1993 als freie Mittelschule von einer Elterninitiative in Jonsdorf gegründet. Inzwischen gibt es sieben Schkola-Schulen von der Grundschule bis zum Gymnasium sowie eine Kita und eine Berufsfachschule. Insgesamt besuchen rund 670 Kinder und Jugendliche die Einrichtungen der Schkola.

Zentral ist das gemeinschaftliche Lernen in altersgemischten Gruppen. Zum Konzept gehört auch das Erlernen der Nachbarsprache Tschechisch oder Polnisch sowie die Begegnungstage mit den Kindern aus den Partnerschulen in den Nachbarländern.  

"Schatz" auf der anderen Seite der Grenze

Eine, die ihr Nachbarland schon gut kennengelernt hat, ist Monique Hampel, Leiterin der Schkola Hartau. Sie hat Europas Möglichkeiten genutzt und im Ausland studiert, in Liberec. Die Universität dort lag für sie sehr viel näher als die in Dresden: Von Zittau ins tschechische Liberec sind es nur knapp 30 Kilometer, nach Dresden rund 100 Kilometer mehr. Trotz der Nähe war sie als Deutsche an der Uni aber eine Ausnahme, vor allem mit ihrem Studienfach, erzählt Monique Hampel.  Sie hat im Nachbarland Deutsch und Sport auf Lehramt studiert, außerdem Tschechisch gelernt.

Aber da sie im Dreiländereck lebe, habe sie die Sprache unbedingt gut lernen wollen und sich für das Land begeistert, sagt Monique Hampel. Diese Begeisterung möchte sie auch an die Kinder weitergeben: "Deshalb ist es so schön, den Kindern zu zeigen, was für ein Schatz auf der anderen Seite der Grenze auf sie wartet, die Natur, die andere Mentalität." Die Region biete so viele Möglichkeiten.

Das sind ja Kinder wie wir, sie sprechen nur eine andere Sprache.

Esther | Schülerin an der Schkola

Monique Hampel hat in Liberec Deutsch und Sport auf Lehramt studiert und will die Kinder für das Nachbarland Tschechien begeistern. Bildrechte: MDR/Viola Simank

Sprachbarriere überwinden

Während man die Ländergrenze inzwischen ganz einfach überqueren kann, ist die Sprachbarriere schon schwieriger zu überwinden. Monique Hampel macht den Kindern deshalb immer wieder Mut, Tschechisch zu sprechen, auch wenn es noch nicht perfekt ist. Deshalb seien die Begegnungstage mit den Kindern aus dem Nachbarland so wichtig, sagt die Lehrerin.

Für Schülerin Esther sind die Unterhaltungen dennoch eine Herausforderung. Aber wenn sie in Tschechisch nicht mehr weiterwisse, dann wechsele sie zu Englisch oder gestikuliere. Am Ende verstünden sie sich irgendwie. Eines hat sie auf jeden Fall gelernt: "Das sind ja Kinder wie wir, sie sprechen nur eine andere Sprache."

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | RegionalReport aus dem Studio Bautzen | 06. Juni 2024 | 16:30 Uhr