Collage mit drei Frauen
Kati Wenzel, Bürgermeisterin von Jonsdorf (Freie Wähler), die Görlitzer Stadträtin Kristina Seifert (Grüne) und die Bürgermeisterin von Ostritz, Stephanie Rikl (parteilos). Bildrechte: MDR/Emma Kahlert, MDR/Jörg Winterbauer, Martin Neuhof

Aktuelle Studie Frauen in der Politik - die Last, die niemand sieht

21. Oktober 2024, 11:37 Uhr

In kaum einem anderen Bundesland ist der Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik so gering wie in Sachsen. Kati Wenzel, Bürgermeisterin von Jonsdorf, Kristina Seifert, Mitglied im Görlitzer Stadtrat und Stephanie Rikl, Bürgermeisterin von Ostritz, berichten von ihren Erfahrungen. Was müsste sich ändern, damit mehr Frauen kandidieren?

  • Kati Wenzel (Freie Wähler): "Man muss auch mal auf den Tisch hauen"
  • Kristina Seifert (Grüne): "Alleinerziehende haben es schwer in der Kommunalpolitik"
  • Stephanie Rikl (parteilos): "Frauen direkt anzusprechen, das hilft"

Nur rund zwölf Prozent der Rathäuser in Sachsen werden von einer Frau geleitet. Das geht aus der Studie "Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen" hervor, die am Montag erschienen ist. 50 Bürgermeisterinnen gibt es im Freistaat, Stand Juli, demnach. Kati Wenzel (Freie Wähler), die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Jonsdorf, ist eine von ihnen.

Wie die Studie aufgebaut ist (zum Ausklappen):

Für die Studie "Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen" wurden 89 sächsische kommunalpolitisch sowie zivilgesellschaftlich aktive Frauen aus ganz Sachsen befragt. Darunter waren Mitglieder der Parteien CDU, SPD, den Grünen, FDP, Die Linke und Freie Wähler. Nicht befragt wurden Mitglieder der AfD. Auf Aufrufe zur Studienteilnahme hätten sich keine AfD-Mitglieder zurückgemeldet. Aufgrund der Einstufung des sächsischen AfD-Landesverbandes als gesichert rechtsextremistische Bestrebung habe man auf eine zusätzliche aktive Ansprache verzichtet.

Außerdem wurden für die Studie bestehende Daten, etwa vom Statistischen Landesamt, ausgewertet. Ziel der Studie war es, Ursachen für eine geringe Beteiligung von Frauen in der sächsischen Kommunalpolitik zu finden und Handlungsempfehlungen zu geben.

In Auftrag gegeben hat die Studie das sächsische Justizministerium, das auch für die Bereiche Demokratie, Europa und Gleichstellung zuständig ist. Umgesetzt hat sie die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft in Berlin.

Kati Wenzel ist Bürgermeisterin von Jonsdorf

Die 43-Jährige kommt etwas verschnauft ans Telefon. Sie passt gerade auf ihre zwei Kinder auf, die in den Ferien sind. "Wenn’s dazwischenruft, bitte nicht böse sein", sagt sie und lacht.

eine Frau Mitte 30 sitzt an einem Schreibtisch und lächelt in die Kamera. Es ist die ehrenamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Jonsdorf in der Oberlausitz, Kati Wenzel.
Kati Wenzel ist seit 2019 Bürgermeisterin von Jonsdorf. Der Lufkurort im Zittauer Gebirge gehört der Verwaltungsgemeinschaft Olbersdorf an. (Archivbild) Bildrechte: Emma Kahlert

In der Schwierigkeit, Familie, Beruf und politisches Amt unter einen Hut zu bekommen, sieht die Mutter von zwei Kindern den Hauptgrund dafür, dass sich nicht mehr Frauen für ein Amt oder Mandat entscheiden. Etwa 30 Stunden, schätzt sie, wendet sie wöchentlich für ihre Tätigkeit als Bürgermeisterin auf. Offiziell für das Ehrenamt vorgesehen sind zwölf.

Sechs Stunden Gemeinderatssitzung

"Ich hatte Gemeinderatssitzungen, die sind sechs Stunden gegangen. Dafür eine Kinderbetreuung zu organisieren, ist eine Herausforderung." Auch die Studie "Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen" nennt die Herausforderung politisches Engagement und Familie zu vereinbaren, als Hürde für den Einstieg in die Politik, die insbesondere Frauen betrifft.

Frauen verbringen demnach "aufgrund gesellschaftlicher Rollenmuster" in der deutschen Durschnittsfamilie deutlich mehr Zeit mit der Kinderbetreuung als Männer.

Ein Weg, um mehr Frauen in die Kommunalpolitik zu bekommen, seien deshalb Betreuungsangebote, so wie sie etwa im neuen Görlitzer Landratsamt geplant seien, findet Wenzel. Dort soll ein Raum für die Kinder der Mitglieder des Kreistages eingerichtet werden - inklusive Kinderbetreuung in der Zeit der Kreistagssitzungen.

Studie: Frauen in Politik erfahren häufig Sexismus

Laut der Studie berichten fast alle der 89 befragten Politikerinnen von Erfahrungen mit Sexismus in der kommunalpolitischen Arbeit. Diese gehen vom Kommentieren ihres Aussehens über sexualisierte Beleidigungen bis hin zur sexuellen Belästigung.

Wenzel, die auch für die Freien Wähler im Kreistag sitzt, sagt, sexistische Anfeindungen seien bei ihr kein Thema. Ein dickes Fell brauche man aber schon. Und es sei eine Herausforderung, als junge Frau ernst genommen zu werden. Ihr gelinge es. Wichtig sei, "dass man auch mal auf den Tisch hauen kann, dass man sich nicht mundtot machen lässt und dass man zu seinen Prinzipien steht."

Geringer Anteil von Frauen in kommunalen Parlamenten

In kaum einem anderen Bundesland ist der Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik so gering, wie in Sachsen. Auch das geht aus der Studie "Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen" hervor, die sich dabei auf Daten des Statistischen Landesamtes Sachsen stützt. Demnach haben Sachsen und Sachsen-Anhalt den niedrigsten Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik.

In Sachsen sind

  • 35 Prozent der Sitze in den Stadträten der Kreisfreien Städte von Frauen besetzt,
  • 22 Prozent der Sitze in den sonstigen Stadt- und Gemeinderäten
  • und 19 Prozent der Sitze in den Kreistagen.

Von Quotenregelungen hält Wenzel trotzdem nichts. "Das ist Schwachfug", findet sie. "Wenn man nur wegen der Quote irgendwo sitzt und nicht, weil man kompetent ist für den Posten, dann verstärkt es das Bild, dass Frauen nichts in der Politik zu suchen haben."

Kristina Seifert sitzt im Stadtrat in Görlitz

Ganz anders sieht das Kristina Seifert, die für die Grünen im Görlitzer Stadtrat sitzt. Eine Frauenquote der Parteien fände sie "sehr gut", sagt sie. "Ich finde, die Listen könnten fifty fifty sein. Noch besser wäre es, wenn es immer abwechselnd wie bei den Grünen Frau, Mann, Frau, Mann, Frau, Mann wäre", sagt sie.

Doch obwohl die Grünen und die Linken auf eine Frauenquote von 50 Prozent setzen, kommen auch sie nicht überall auf 50 Prozent Frauen in Sachsens Kommunalparlamenten. Dafür finden sich zu wenige Kandidatinnen.

Eine junge Frau mit einem Kind auf dem Arm
Stadträtin Kristina Seifert kümmert sich alleine um ihren kleinsten Sohn. Die Betreuung der anderen Kinder teilt sie sich mit deren Vater, ihrem Ex-Partner. Bildrechte: MDR/Jörg Winterbauer

"Es liegt an der Bereitschaft der Frauen, weil eben die meiste Care-Arbeit auf ihren Schultern lastet, sie trotzdem vielmals in Ostdeutschland Vollzeit arbeiten gehen und Kinder haben. Und denen steht es bis zum Hals", sagt Seifert.

Doch auch wenn sie die selbstgesteckten Ziele nicht immer erreichen, haben Grüne, Linke und SPD einen deutlich höheren Frauenanteil in den kommunalen Parlamenten als etwa AfD und FDP.

Die Quotenregelungen der Parteien in Sachsen AfD: Quotenregelungen sind laut Satzung der AfD unzulässig.

CDU: In Kommunal- und Landtagswahlen soll für mindestens einen von drei Listenplätzen eine Frau vorgeschlagen werden.

Die Linke: Ämter, Mandate sowie Listenplätze sollen zu 50 Prozent von Frauen belegt werden.

Grüne: Frauenquote von mindestens 50 Prozent für alle Mandate, Ämter und Listenplätze.

FDP: Keine Quotenregelung, weder auf Bundesebene noch in Sachsen.

SPD: Alle Funktionen und Mandate der Partei sollen zu mindestens 40 Prozent von Frauen belegt sein. Quelle: Studie "Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik in Sachsen"

Siebenfache Mutter: Vorbereitungen in der Nacht

Die Mutter von sieben Kindern ist mit ihrem jüngsten Kind, einem einjährigen Jungen, zum Gespräch gekommen. "Es ist sowieso schon hart, alleinerziehend zu sein", sagt die 42-Jährige. Ihre Aufgaben als alleinerziehende Mutter mit denen ihrer politischen Arbeit zu vereinbaren, sei aber besonders schwer: "Mir fehlt die Zeit, mich richtig vorzubereiten. Das mache ich dann nachts, was wiederum zu Schlafmangel führt", berichtet sie.

Eine Kinderbetreuung zu bezahlen, sei schwer für sie, weil sie nur wenig Geld verdienen könne, solange ihr Kind so klein sei und so viel ihrer Zeit in Anspruch nehme.

"Ich glaube, das kann sich niemand vorstellen, wie ich da schon im Vorfeld jongliere mit Finanzen und personellen Kapazitäten", sagt sie. Zum Glück habe sie eine gute Freundin, die öfters auf ihren Kleinen aufpasse, wenn sie Stadtratssitzungen hat.

Zuschuss für Kinderbetreuung für Eltern in Kommunalpolitik

Kristina Seifert findet, ein Lösungsansatz könnte sein, dass ein Kinderbetreuungszuschuss für Eltern in der Kommunalpolitik eingeführt wird, den diese bei Bedarf beantragen könnten, etwa für die Zeiten der Stadtratssitzungen.

Das fordern auch viele der in der Studie befragten Kommunalpolitikerinnen. "Die mangelnde finanzielle Kompensation für zusätzlich nötige Kinderbetreuung" wird dort als Problem genannt.

Kommunalpolitik besondere Herausforderng für Alleinerziehende

Sie führe dazu, dass Frauen mit Kindern eine kommunalpolitische Tätigkeit häufig erst in Erwägung ziehen würden, wenn diese älter oder bereits aus dem Haus sind. Alleinerziehende Frauen hätten es besonders schwer, Zeit und Kraft für ein politisches Mandat aufzubringen.

Vieles laufe in Görlitz aber auch "schon richtig toll", findet Seifert. "Als mein Sohn ein kleines Baby war, hatte ich die Möglichkeit, ihn zu den Sitzungen mitzubringen. Ich konnte ihn im Stadtrat stillen", erzählt sie. Es habe nur positive Reaktionen gegeben.

Stephanie Rikl leitet Geschicke in Ostritz

Stephanie Rikl (parteilos) ist seit 2022 ehrenamtliche Bürgermeisterin von Ostritz. Dabei hatte die 31-Jährige das Amt zunächst gar nicht angestrebt. Sie wurde gefragt, ob sie es machen wolle.

Ihr erster Impuls: "Fragt mich in sieben Jahren nochmal, wenn die Kinder größer sind." Sie habe damals schon gewusst, dass ihr Mann und sie ein zweites Kind wollen. "Das betrifft aber, glaube ich, nicht nur Frauen, sondern die Frage stellen sich Männer genauso. Die Männer sind ja für die Fürsorge der Kinder auch in der Pflicht."

Schließlich sagte sie doch Ja und wurde mit Unterstützung der CDU und der Unabhängigen Bürgerinnen und Bürger für Ostritz und Leuba aufgestellt.

Stephanie Rikl
Stephanie Rikl wurde gefragt, ob sie kandidieren will. Seit 2022 leitet sie das Ostritzer Rathaus. Bildrechte: Stephanie Rikl, Rechte: Martin Neuhof

40 Stunden pro Woche für das Ehrenamt

Nach knapp zweieinhalb Jahren als Bürgermeisterin resümiert sie: Die Tätigkeit sei "herausfordernd und gleichzeitig sehr spannend". Etwa 40 Stunden pro Woche investiere sie in das Ehrenamt. Sie sei froh, etwas, "zur Entwicklung der Stadt und der Region beitragen zu können." Seit den Kommunalwahlen dieses Jahr sitzt sie auch für die CDU im Görlitzer Kreistag, obwohl sie kein Parteimitglied ist.

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes kam sie nach nur dreieinhalb Monaten aus der Elternzeit zurück und nahm dann ihr Kind mit ins Rathaus zu Sitzungen und Terminen.

Frauen gezielt ansprechen

Damit mehr Frauen es ihr gleichtun und sich politisch engagieren, könne man Frauen, mit den entsprechenden Kompetenzen ansprechen und sie zu einem Amt oder Mandat ermutigen. Das habe bei ihr ja auch funktioniert.

Dass dies für Parteien sinnvoll sein kann, die einen höheren Frauenanteil in den kommunalen Parlamenten anstreben, legt auch die Studie nahe: Fast alle befragten Frauen hätten berichtet, dass die direkte Ansprache ein wichtiger Anstoß für die Kandidatur gewesen sei. Ansprache und Motivation durch Dritte könnten ein entscheidender Faktor sein, diesen Schritt zu wagen.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 21. Oktober 2024 | 19:00 Uhr

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