Ausgewildert Steinböcke aus Görlitz springen in den Alpen in Freiheit

08. Juli 2022, 11:55 Uhr

In den Alpen wurden die letzten Steinböcke im 19. Jahrhundert erschossen. Mithilfe zoologischer Gärten erobern die Tiere wieder das Hochgebirge. Deshalb wurden jetzt auch drei Steinböcke aus Görlitz im Gasthofgebirge im Salzburger Land ausgewildert, zusammen mit sieben weiteren Tieren aus Nürnberg, München und Insbruck.

Im Naturschutztierpark Görlitz/Zgorzelec faszinieren die Steinböcke seit Jahren die Besucher. Dass sich die Tiere in ihrem felsigen Gehege wohlfühlen, beweisen sie dem Zoo immer wieder mit gesundem Nachwuchs. In den Alpen ist der Steinbock im 19. Jahrhundert vom Menschen ausgerottet worden. Das letzte Tier wurde in der Schweiz geschossen. Nun sollen die Tiere wieder in ihrem natürlichen Lebensraum heimisch werden. Seit einigen Jahren organisieren Zoos Zuchtprogramme. In diese ist der Görlitzer Tierpark zwar nicht mit eingebunden, aber zum ersten Mal in eine Auswilderung.

Görlitzer haben dicke Hörner

Bei wild lebenden Steinböcken soll nicht nur das genetische Material eine Auffrischung erhalten, sondern auch die Population wachsen. Deshalb ist der der Görlitzer Tierpark vor einigen Monaten angesprochen worden, ob er sich mit Jungtieren an einer Auswilderung im Salzburger Land beteiligen möchten. "Die Görlitzer Steinböcke sind in der Zoo-Branche bekannt, dass sie ganz besonders dicke Hörner, also beste Gene haben", sagt der Görlitzer Tierparkchef Sven Hammer. Und: "Wir sind stolz, dass wir mit drei Geißen, also Steinbockdamen, dabei sind."

Aufwendig waren die Vorbereitungen für die Auswilderung schon in Görlitz. Es wurden ein Jahr alte Tiere ausgesucht, weil sie sich als Jungtiere besser in eine Gruppe integrieren. Die Auserwählten mussten dann umfangreiche Untersuchungen über sich ergehen lassen, damit sie keine Krankheiten in ihre künftige Gruppe einschleppen. Das war auch für jungen Damen im Görlitzer Gehege nicht immer angenehm. "Wer geht schon gerne zur Vorsorgeuntersuchung", meint Sven Hammer, der auch Tierarzt ist.

Drama in 2.300 Metern Höhe

Vor einer Woche begann das große Abenteuer für die Steinböcke, für den Görlitzer Tierparkchef und seine Frau. Die Tiere bezogen drei Transportboxen. In Nürnberg wurden sie umgeladen. Dann ging es ins Salzburger Land. In den Hohen Tauern auf 2.300 Meter Höhe sollten die insgesamt zehn Steinbockdamen ins neue wilde Leben springen. Die ersten Helfer waren bereits mit einem Hubschrauber zum Auswilderungsplatz geflogen worden. Die Tiere in ihren Transportboxen sollten folgen.

Doch dann kippte das Wetter. Nebel brachte nicht nur den Zeitplan durcheinander. Auf der Höhe saßen die Helfer fest.

Die Helfer steckten dort oben fest, ohne Essen, bei Kälte und Sturm. Das war schon dramatisch. Am Abend begann die Bergrettung per Hubschrauber, um diese Menschen wieder runter ins Tal zubekommen.

Sven Hammer Görlitzer Tierparkchef

Nicht das einzige Missgeschick, das der Auswilderungstruppe passierte. Die gehörnten Steinböcke in ihren Boxen waren aufgrund der langen Wartezeiten ziemlich unruhig geworden, erzählt der Zoochef. Eine Tierpflegerin wurde sogar beim Füttern attackiert. Eine Steinbockgeiß brach ihr dabei einen Finger. Doch zum Glück sei nicht nur ein Tierarzt vor Ort gewesen. Die Veterinäre übernahmen den Job - Knochen bleibt Knochen, ob von Mensch oder Tier, und versorgten den gebrochenen Finger mit einer Schiene. "Die Tierpflegerin blieb im Team, denn in den Bergen wurde zwar nicht jeder Finger, aber jede Hand gebraucht", erzählt die Kuratorin im Görlitzer Tierpark, Catrin Hammer.

Ein Bock hatte "Null-Bock"

Als das Wetter am nächsten Tag wieder aufklarte, konnte die Auswilderung in 2.300 Meter Höhe an einem Geröllhang beginnen. Zuvor waren die zehn Transportboxen mit den Tieren sowie die Helfer hinauf geflogen worden. Auf das Kommando: "Fertig los" öffneten sich die Klappen und die meisten Tiere sprangen hinaus ins Freie, bis auf einen Steinbock.

Wir hatten einen Bock ohne Bock. Er ist zwar aus der Kiste rausgerannt, wollte dann aber nicht in die Felswand. Er wollte immer wieder zu uns zurück, bis wir ihn endlich überzeugen konnten.

Sven Hammer Görlitzer Tierparkchef

Die meisten Steinbockdamen stürmten über ein Geröllfeld hinaus ins wilde Leben. "Mir ist das Herz stehen geblieben, als unsere erste Geiß hoch oben Rand einer Schlucht stand und plötzlich unter gewisser Unmutsäußerung einen 15 Meter tiefen Sprung hinzulegte. Und ich dachte schon, die packen wir gleich wieder ein", erinnert sich Sven Hammer. Doch das Jungtier war topfit, nichts ging schief.

Einige Tiere tragen GPS-Sender

Die steilen Pfade der Görlitzer Steinböcke können nachvollzogen werden, denn die Tiere tragen GPS-Sender. Auf diese Weise sehen die Projektorganisatoren, ob die Auswilderung geklappt hat.

Die haben zumindest alle die richtige Richtung eingeschlagen, und wir waren alle ganz, ganz, ganz glücklich, als sie denn auf den Geröllfeldern in der Felswand so nach und nach verschwunden sind.

Catrin Hammer Kuratorin Görlitzer Tierpark

Im Gasthofgebirge leben bislang zwei Gruppen von Steinböcken. Möglicherweise schließen sich die Neuzugänge an diese an oder die Geißen bilden eine eigene Gruppe. Die Böcke selbst sind Einzelgänger. Nur in der Paarungszeit lassen sich die Männchen mit ihren gewaltigen Hörnern bei den Geißen sehen. Junge männliche Steinböcke bilden oft eine eigene Junggesellengruppe.

In Görlitz leben im Naturschutztierpark weiter zwei Böcke mit vier Steinbockgeißen. Sie haben bereits wieder für gesunden Nachwuchs gesorgt. Vielleicht wird auch dieser - in einem Jahr - ins wilde alpine Leben springen.

MDR (uwa)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport Studio Bautzen | 08. Juli 2022 | 16:30 Uhr

Mehr aus Görlitz, Weisswasser und Zittau

Mehr aus Sachsen