InterviewGörlitzer Autor Lukas Rietzschel fordert Demokratie-Reform
Der Görlitzer Schriftsteller Lukas Rietzschel fordert eine Reform der Demokratie in Deutschland. Er meint, der Grund für die ostdeutsche Politikverdrossenheit liege in einer "demokratischen Unzufriedenheit". Die Parteien und Parlamente repräsentierten nicht mehr die gesamte Gesellschaft und Meinungsvielfalt. Um das aufzulösen, wünscht er sich eine verpflichtende demokratische Partizipation, beispielsweise eine verpflichtende Teilnahme am Stadtrat per Losverfahren.
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- Der Görlitzer Autor Lukas Rietzschel sieht eine Unzufriedenheit vieler Ostdeutscher mit demokratischen Prozessen.
- Er kritisiert die Zusammensetzung von Parteien und Parlamenten.
- Als Lösung schlägt er eine Pflicht zur aktiven demokratischen Beteiligung vor.
In seinen Büchern und Theaterstücken beleuchtet Lukas Rietzschel schon seit einigen Jahren die dunklen Stellen in der ostdeutschen Seele. Kürzlich hat er sich nun in einem Artikel für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sehr direkt mit der politischen Situation in den ostdeutschen Bundesländern befasst.
Anlass waren die jüngsten Erfolge der AfD in Sonneberg oder in Nordhausen. Auch bei Umfragen im Vorlauf zur Landtagswahl in Sachsen, die 2024 abgehalten wird, zeichnen sich Wahlerfolge für die Partei von ungefähr 35 Prozent ab.
Unzufriedenheit mit demokratischen Prozessen
Rietzschel hält es für falsch, Erfolge der AfD damit zu erklären, dass die Partei von gesellschaftlich und ökonomisch abgehängten Menschen gewählt werde. Diese "sozioökonomischen Ansätze", wie er sie im MDR-Interview nennt, gerieten an Grenzen.
Stattdessen spricht er von einer "demokratischen Unzufriedenheit". Grundsätzlich sei die Zustimmung zur Demokratie auch im Osten zwar "ungebrochen hoch über Jahrzehnte". Dennoch nehme die Partizipation in Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und Kirchen ab – obwohl der Wunsch nach Beteiligung laut Umfragen relativ groß sei, so Rietzschel.
Und dann muss man sagen: Okay, wenn ihr auf der einen Seite euch mehr beteiligen wollt, aber gleichzeitig die Beteiligung faktisch sinkt – was ist da schiefgelaufen?
Lukas Rietzschel, Schriftsteller
Ungleichgewicht in den Parlamenten
Rietzschels These: "Wir haben ein Repräsentationsdefizit nicht nur innerhalb der Parteien, sondern auch im Parlament." So seien dort bestimmte Gruppen überrepräsentiert. "Das führt dazu, dass bestimmte Meinungen mehr vertreten werden", so der Schriftsteller. Zudem nähmen immer mehr Gruppen Einfluss auf Parlamente – Rietzschel nennt "Zentralbanken, Verfassungsgerichte, Lobbygruppen, so genannte Expertenräte".
Sein Fazit: "Wenn wir alles zusammennehmen, kann ich verstehen, weshalb Leute nicht partizipieren wollen – weil sie eventuell den Eindruck haben, dass das ja gar nichts bringt. Und diese Schieflage müsste man jetzt eigentlich angehen."
Pflicht zur Demokratie
Daraus entwickelt Rietzschel eine radikale Forderung: "eine Art verpflichtende Partizipation". Über die Abgeordneten in kommunalen Parlamenten solle nicht mehr per Wahl, sondern per Los entschieden werden. Im Lostopf sollten die Namen aller Wahlberechtigten liegen. So könnten Menschen mehr an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden, glaubt Rietzschel: "Vielleicht sind die Zeiten von Freiwilligkeit vorbei. Vielleicht müssen wir zu einem gesellschaftlichen Zwang übergehen und mehr verlangen dürfen." Auf Landes- und Bundesebene sei dagegen die repräsentative Demokratie weiterhin sinnvoll.
Quellen: MDR SACHSEN (Aufgefallen), "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Redaktionelle Bearbeitung: hr, tsa, hk, tm
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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Aufgefallen | 18. September 2023 | 21:10 Uhr