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Oberlausitzische Bibliothek der WissenschaftenHistorischer Lesesaal in Görlitz im Mittelpunkt der Literaturtage

25. Oktober 2022, 17:10 Uhr

In Görlitz sind am Montag die ersten Literaturtage der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften eröffnet worden. Es kamen mehr als doppelt so viele Besucher wie erwartet zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe. Bislang unbekannte Bücherschätze sollen bekannter gemacht werden. Darunter sind auch einmalige Manuskripte des jüdischen Dichters Paul Mühsam. Bis Dezember wird es in der Bibliothek musikalische Lesungen geben, bei denen auch regionale Autoren vorgestellt werden.

Am Montag drängeln sich die Besucher am Eingang der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften zu Görlitz. Es sind nicht die Hobby- oder Heimatforscher, die im Lesesaal nach historischen Ereignissen suchen oder Informationen zu schlesischen Dörfern sammeln. Die mehr als 60 Besucher kommen zum Auftakt der Literaturtage.

Wir waren überrascht, weil wir nicht mit so einem Ansturm gerechnet hatten. Wir mussten aus unserem kleinen Auftakt spontan zwei Veranstaltungen machen, weil wir sonst überfordert gewesen wären mit so viel Besuchern.

Karin Stichel | Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften

Am Tag der Bibliotheken gab es eine Einführung in die neue Veranstaltungsreihe und eine Führung durch den Bestand und durch den berühmten Lesesaal. Dieser ist das Schmuckstück der Bibliothek. Er glänzte bereits mehrfach auf dem Titelblatt renommierter Nachrichtenmagazine. Doch weniger bekannt ist, dass die Einrichtung wertvolle Bücherschätze birgt, darunter zahlreiche Raritäten, wie Flugschriften aus dem 16. Jahrhundert, seltene Handschriften und Manuskripte.

150.000 Bände aus sechs Jahrhunderten

"Die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften ist eine der ältesten öffentlichen Bibliotheken in Sachsen. Bereits 1727 wurde sie eröffnet. Ein Mäzen hat sie gestiftet. 1779 wurde dann die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften gegründet und das ist unsere zweite Wurzel, aus der wir uns speisen", sagt Steffen Menzel als Chef der Einrichtung. "Gerade vor den aktuellen Ereignissen haben wir uns gedacht, dass wir jetzt ein Angebot formulieren müssen, das verschiedene Facetten beinhaltet."

Vergessen und doch hoch aktuell: Paul Mühsam

Bei den Literaturtagen geht es um brisante Themen, wie Identität, Vorurteile und Vorbehalte.

Wir haben ein musikalisch-literarische Programm über Aufklärung zusammengestellt und da haben wir ja auch einen großen Schatz an Beständen in unserer Bibliothek. Es gibt zum Beispiel zur Aufklärung Werke von Gotthold Ephraim Lessing. Es gibt aber dazu auch fast vergessene Autoren, wie Paul Mühsam. Er war Chronist der Jahre zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg.

Karin Stichel | Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften

"Paul Mühsam begann unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, sich mit Fragen der Geschichte, der Menschheit und der Religion zu beschäftigen. Er hat vor allen Dingen die drei großen Weltreligionen immer wieder ins Gleichnis gesetzt und sich um Verständigung untereinander bemüht", erklärt Steffen Menzel.

Besonders in seinen Gedichten und in seinen Anthologien hatte Paul Mühsam immer wieder versucht, ähnlich wie Nathan der Weise in Lessings Werk, die gemeinsamen Ursprünge der Religionen herauszustellen.

Wer ist Paul Mühsam?Der Autor Paul Mühsam ist 1876 in Brandenburg an der Havel geboren. Die jüdische Familie betrieb kleine Ladengeschäfte. Paul Mühsam verbrachte seine Jugend in Chemnitz und Zittau. Der Vater sparte sich jeden Groschen vom Munde ab, um seinen Sohn ein Jurastudium zu ermöglichen. 1905 ließ sich Paul Mühsam als Notar und Jurist in Görlitz nieder. Bis 1933 hat er hier eine Kanzlei unterhalten. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde ihm die Lizenz entzogen und es gelang ihm, im September 1933, mit seiner Familie nach Palästina zu flüchten. Doch glücklich wurde Paul Mühsam dort nicht. Ihm fehlte unter anderem die deutsche Sprache und Kultur. Sein bekannter Cousin Erich Mühsam kam 1934 im KZ Oranienburg ums Leben.Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften

Alte und junge Autoren sollen den Büchersaal beleben

Die neue Veranstaltungsreihe will das literarischen Kulturerbe der Oberlausitz und Niederschlesiens einem breiten Publikum näher bringen. Deshalb werden nicht nur Schriften von Paul Mühsam im Mittelpunkt stehen, sondern auch Werke von Leopold Schefer, Friedrich von Uechtritz oder Arno Schmidt.

Doch die ehrwürdige Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften bleibt nicht in der Vergangenheit stecken. "Wir haben natürlich auch eine Verantwortung für regionale Autoren und da sind wir bei Roman Israel. Das ist ein junger Autor aus Löbau, der hier aus seinem neuesten Werk lesen wird", sagt Karin Stichel als Projektleiterin der Literaturtage. Roman Israel soll helfen, junges Publikum anzulocken, um zu zeigen, dass die alte Bibliothek lebt. Dazu dient auch das literarisch-musikalische Programm mit Musik von jüdischen Komponisten.

Nun hoffen die Macher, dass am Freitag bei einer szenisch-musikalischen Lesung die Bibliothek wieder rappelvoll ist. Die offizielle Eröffnung der Literaturtage steht unter dem Motto "Der Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug", mit Texten von Gotthold Ephraim Lessing und Paul Mühsam sowie Musik von Karol Rathaus und Mieczyslaw Weinberg. Weitere Veranstaltungen folgen im November und im Dezember.

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MDR

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 26. Oktober 2022 | 13:30 Uhr