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Aktivistinnen von Pussy Riot auf der Bühne im Görlitzer Kühlhaus: "Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich um sie kämpft", sagt Maria Aljochina dem Publikum. Bildrechte: picture alliance/dpa | Paul Glaser

ProtestkunstPussy Riot beten in Görlitz für die Erlösung von Putin

28. Mai 2023, 14:19 Uhr

Bei einem Auftritt im Kühlhaus in Görlitz im Rahmen des Neiße Filmfestivals erzählt die Aktivistin Maria Aljochina ihre Geschichte von den ersten Protestaktionen von Pussy Riot bis zu ihrer Zeit im russischen Straflager. Als sie von dieser düsteren Zeit berichtet, wird es auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer unangenehm.

Vor dem Görlitzer Kühlhaus knien vier Frauen und eine non-binäre Person des Protestkunst-Kollektivs Pussy Riot auf der Bühne und singen ein Lied, das klingt wie ein gesungenes Gebet in einem Gottesdienst: "Gottesmutter, Jungfrau, jage Putin davon, jage Putin davon, jage Putin davon". Es ist das sogenannte Punk-Gebet, das der damals 24-jährigen Maria Aljochina und zwei ihrer Mitstreiterinnen zwei Jahre Straflager eingebracht und Pussy Riot weltbekannt gemacht hat. Jetzt erklingt es auf einer Bühne vor dem Görlitzer Kühlhaus. Während die Aktivistinnen beten, sieht man Video-Aufnahmen ihrer Aktion aus dem Jahr 2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau auf einer Leinwand im Hintergrund.

Der Vorhof des Kühlhauses ist gut gefüllt, viele Leute sind zu dem Konzert erschienen, das im Rahmen des Neiße Filmfestivals stattfindet. Auf aggressiven, hämmernden elektronischen Beats erzählt die Aktivistin Maria Aljochina ihre Geschichte in einem wilden Mix aus Rap, Gesang, Tanz und Dokumentarfilm mit Live-Erzählerin. Sie nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf einen wilden, hektischen Ritt durch die Geschichte des Künstler-Kollektivs von den Anfängen im Jahr 2011 bis zu ihrer Zeit im Straflager und der Freilassung. Während sie erzählt, laufen im Hintergrund Video-Aufnahmen mit deutschen Untertiteln. Die anderen vier Künstlerinnen spielen dazu Instrumente, tanzen wild, um das Erzählte zu unterstreichen oder rappen und singen mit.

Es beginnt mit dem Traum, Putin loszuwerden

Alles beginnt 2011 mit den damaligen Protesten der russischen Gesellschaft gegen Putin, der damals vorübergehend Ministerpräsident war und wieder Präsident werden wollte, und dem Traum von einem freieren Russland. Oder wie Maria Aljochina es ausdrückt mit dem Glauben daran, "dass wenn man Putin nur ordentlich mit einer Nadel in den Arsch sticht, er von seinem Präsidentensessel aufspringt und zum Teufel hüpft, die botoxaufgeblasenen Wangen ein letztes Mal am Horizont aufleuchten und er in eine staubige Ecke der Geschichte kullert." Pussy Riot machten damals ihre ersten Protestaktionen.

Aljochina und die anderen Aktivistinnen nehmen die Zuschauerinnen und Zuschauer weiter mit zum Gerichtsprozess gegen Aljochina, ihre Zeit im Straflager bis zur Freilassung. Anhand ihrer persönlichen Geschichte erzählen sie gleichzeitig die Geschichte eines immer diktatorischer auftretenden russischen Staates. Die Personen auf der Bühne rappen und singen "Putin wird dir beibringen, das Mutterland zu lieben", während man auf der Leinwand im Hintergrund sieht, wie russische Polizisten Demonstrantinnen und Demonstranten zusammenknüppeln und abführen.

Phasenweise trugen die Künstlerinnen von Pussy Riot während ihres Auftritts in Görlitz die Masken, die zu ihrem Markenzeichen geworden sind. Die meiste Zeit über zeigten sie aber ihre Gesichter. Bildrechte: picture alliance/dpa | Paul Glaser

Der Drum’n’Bass-Beat des Liedes ist so tanzbar, dass manche Zuschauerinnen und Zuschauer im Publikum anfangen, sich zu der Musik zu bewegen. "Aber darf man das angesichts der Gewalt, die da gerade gezeigt wird?", scheinen sich manche von ihnen zu fragen und wirken etwas unsicher. Den meisten Menschen im Publikum ist aber nicht nach Tanzen zumute. Sie stehen da wie gebannt von der Brutalität auf der Leinwand, während die Frauen der Band auf der Bühne wild und aggressiv umherspringen, als wollten sie all ihre Wut auf Putin in ihre Performance legen.

Publikum wird mit Wasser übergossen, während Aljochina vom Straflager berichtet

Als Aljochina von den Schrecken und Misshandlungen während ihrer Zeit im Straflager erzählt, übergießt sie sich selbst mit Wasser, obwohl es an diesem späten Abend im Mai schon recht kühl ist. Ihre Band-Kollegin Olga Borisova nimmt eine Wasserflasche und bespritzt damit das Publikum. So geht das ungefähr zehnmal, bis in den ersten Reihen niemand mehr trocken ist. Aber niemand geht weg, alle erdulden das Spektakel. Spätestens hier wird klar: Das Publikum soll sich bei dem Auftritt nicht wohl fühlen, es soll mitleiden, ein ganz wenig zumindest, und aufgerüttelt werden.

Während auf der Leinwand Aufnahmen eines russischen Straflagers zu sehen sind, übergießt Maria Aljochina sich mit Wasser während Olga Borisova gerade dazu ansetzt, das Publikum mit Wasser zu bespritzen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Paul Glaser

Gegen Ende der Performance erinnern die Künstlerinnen an die hunderten mutmaßlich politischen Gefangenen, die zurzeit in russischen Gefängnissen und Straflagern sitzen und zeigen die Porträts einiger dieser Personen: Iwan Gerschkowitsch, Irina Danilowitsch, Aleksandra Skochilenko und viele mehr. Dann ruft Maria Aljochina in das Publikum: "Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich um sie kämpft!" Das Görlitzer Publikum ist begeistert und applaudiert heftig, die Künstlerinnen verlassen die Bühne. Damit könnte der Auftritt vorbei sein, doch ein Kapitel fehlt in der Geschichte: Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Pussy Riot verurteilen den Krieg in der Ukraine und sammeln Spenden

Also kommen die fünf Aktivistinnen nochmal auf die Bühne zurück und rappen über die Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges. Im Refrain zitieren sie den Anruf eines jungen russischen Soldaten bei seiner Mutter aus der Anfangszeit des Krieges: "Mama, es gibt keine Nazis hier, wozu dieser Krieg? Warum wird er Spezialoperation genannt?"

Auf der Leinwand werden von den Russen zerbombte Häuser gezeigt und die Aktivistinnen beklagen die von russischen Soldaten Ermordeten von Butscha. Am Ende steht auf der Leinwand: "Ukraine, ich liebe dich". Maria Aljochina zieht sich ein T-Shirt mit der ukrainischen Flagge über ihr schwarzes Kleid und bittet das Publikum an ein Kinderkrankenhaus in Kiew zu spenden. Auch die Hälfte der Einnahmen aus dem Merch-Verkauf würden dort landen. Dann hält sie mit ihrer Mitstreiterin unter dem Applaus des Publikums eine ukrainische Flagge hoch.

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