
21 Jahre im Amt "Ich würde es wieder tun" - Seifhennersdorfer Bürgermeisterin zieht Bilanz
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13. August 2023, 08:00 Uhr
Wenn die Seifhennersdorfer am Sonntag zur Bürgermeisterwahl gehen, wird der Name Karin Berndt nicht mehr auf dem Stimmzettel stehen. Die Amtsinhaberin verabschiedet sich nach 21 Jahren in den Ruhestand. Deutschlandweit bekannt wurde sie als Anführerin der "Schulrebellen". Gemeinsam mit Eltern kämpfte sie erfolgreich für den Erhalt der damaligen Mittelschule und zog im Schulstreit bis vor das Bundesverfassungsgericht. Mit MDR SACHSEN-Reporter Uwe Walter blickt sie ganz persönlich auf ihre Amtszeit zurück.
- Als sechsfache Mutter übernimmt Karin Berndt vor 21 Jahren den Chefposten im Rathaus Seifhennersdorf.
- Der Schulstreit, der bis vor das Bundesverfassungsgericht ging, wirkt bis heute nach.
- Ein Wunsch zum Abschied aus der Politik: Mehr Geld für die Kommunen.
In Seifhennersdorf bleibt ein Zug vor einem Bahnübergang stehen, denn die Schrankenanlage scheint nicht zu funktionieren. Das Signalhorn ertönt und der Triebwagenführer macht einen langen Hals, schaut nach Fußgängern, Fahrrad- oder Rollstuhlfahrern. Erst wenn die Gleise frei sind, passiert der Zug in Schrittgeschwindigkeit den Bahnübergang.
Trotzdem ist die Seifhennersdorfer Bürgermeisterin Karin Berndt zufrieden. Auch wenn die technischen Anlagen der Deutschen Bahn noch mangelhaft sind, Seifhennersdorf ist seit wenigen Wochen wieder mit dem Zug erreichbar. "Acht Jahre lang haben wir dafür gekämpft", sagt die kleine Frau. "Wir lassen uns eben nicht einfach aufs Abstellgleis schieben."
Karin Berndt wurde vor mehr als 20 Jahren von Seifhennersdorfern angesprochen, den Chefposten zu übernehmen: "Du kannst das, du musst das machen, wer soll es sonst machen." Ihr Vorgänger im Rathaus, Christoph Lommatzsch (CDU), war zurückgetreten und so gewann die sechsfache Mutter und Krippenerzieherin für die "Unabhängige Bürgerinitiative Seifhennersdorf" (USB) 2002 die Bürgermeisterwahl: "Politisch von Null auf Hundert."
Ich fand das damals ungeheuer spannend, die Geschicke von Seifhennersdorf mit den eigenen Händen lenken zu können.
Gefahr für Seifhennersdorf abwenden
Unmittelbar nach ihrer Wahl musste sich die gelernte Malerin, Krippenerzieherin und Verwaltungsfachangestellte als Krisenmanagerin betätigen, denn es galt "Gefahr für die Stadt" abzuwenden. Wie Karin Berndt erzählt, drohte die Rückzahlung von Fördermitteln in Millionenhöhe: "Mein Vorgänger hatte ja nicht grundlos sein Amt aufgegeben". Sechs Jahre lang zogen sich die Rechtsstreitigkeiten hin.
Die Seifhennersdorfer mussten einige Tiefschläge verkraften. Die Zahl der Einwohner war seit der politischen Wende um fast die Hälfte geschrumpft. Zahlreiche Industriebetriebe, darunter auch der modernste Schuhhersteller in der DDR, waren abgewickelt worden. Die Arbeitslosenquote lag bei sagenhaften 40 Prozent.
Das Auftreten von rechten Kameradschaften bei Volksfesten sorgte in dieser Zeit deutschlandweit für Schlagzeilen. Es gab aber auch Positives. Das Kindererholungszetrum Querxenland entwickelte sich und wird in den nächsten Jahren weiter ausgebaut. Die Fallschirmherstellung brummte bei Spekon und als Standort u.a. für Industriefedern etablierte sich Seifhennersdorf wieder.
2009 wurde Karin Berndt als Bügermeisterin in ihrem Amt bestätigt und nur wenige Monate später war die Verwaltungschefin beim August-Hochwasser 2010 wieder als Krisenmanagerin gefragt. Beim Jahrhunderthochwasser hatte die Mandau Teile von Seifhennersdorf überflutet. Wenige Tage nach der ersten Flutkatastrophe schwoll der kleine Fluss in der Nacht noch einmal an. Wieder mussten Menschen in Sicherheit gebracht werden. Nach dem Kampf gegen die Fluten und ihre Folgen begann eine weitere Auseinandersetzung, die unter dem Namen "Schulrebellen" deutschlandweit bekannt wurde.
Widerstand ist Pflicht!
Einige Seifhennersdorfer wollten den damaligen Schulnetzplan nicht akzeptieren. Die Kreisräte hatten zuvor die Vorgaben des sächsischen Kultusministeriums abgesegnet. Danach sollte aufgrund sinkender Schülerzahlen auch die Mittelschule in Seifhennersdorf geschlossen werden. Das wollten weder einige Eltern, noch einige Bürger und schon gar nicht die Bürgermeisterin akzeptieren. Karin Berndt zitiert Bertold Brecht: "Wenn Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht!".
"Hammerurteil" aus Karlsruhe
Der Schulstreit entzweit nicht nur die Stadt Seifhennersdorf. Eltern oder Nachbarn grüßen sich bis heute nicht, beklagt Karin Berndt. Für sie persönlich habe der Schulstreit bis heute Auswirkungen. Sie werde von Kommunal- und Landespolitikern und Vertretern sächsischer Behörden bei Veranstaltungen ignoriert. Dabei ist der Kampf der Schulrebellen nach fünf Jahren erfolgreich beendet worden. Das Bundesverfassungsgericht sprach ein "Hammerurteil", wie eine Boulevardzeitung titelte.
"Der Freistaat Sachsen darf sich nur einmischen, wenn die Gemeinde ihrer Aufgabe nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen kann. Nicht aber, um seine Verwaltungsstrukturen zu vereinfachen", urteilten die Verfassungsrichter. "Der Sieg der Seifhennersdorfer Schulrebellen sei ein Sieg der Demokratie", kommentierten 2015 Zeitungen in ganz Deutschland.
Nur in den zuständigen Behörden, in Görlitz, Bautzen und Dresden gab es lange Gesichter, erinnert sich Karin Berndt, denn das sächsische Schulgesetz musste nach dem Erfolg der Seifhennersdorfer angepasst werden. Die umkämpfte Mittelschule ist heute eine gut besuchte Oberschule.
Einbrecher und Diebe machen die Grenzregion unsicher
Vor ihrer Wiederwahl 2016 musste sich Karin Berndt mit einem weiteren Problem auseinandersetzen, mit Einbrüchen und Diebstählen. In Seifhennersdorf schien nichts mehr sicher zu sein. Buntmetalldiebe stahlen alles, was nicht "niet- und nagelfest" war. Die Ganoven schienen keinerlei moralische Bedenken zu haben, selbst vor der Kirche nicht.
Einige Seifhennersdorfer wurden von den Ganoven mehrfach heimgesucht und ausgeraubt. Die mutmaßlichen Diebe kamen aus dem tschechischen Nordböhmen. Der Seifhennersdorfer Volkszorn kochte. Fernsehteams aus ganz Deutschland rückten an. Wieder war Karin Berndt als Bürgermeisterin gefragt.
Konzepte und Sicherheitsanalysen wurden zusammen mit den Bürgern erstellt, um die Situation zu entspannen. Zudem wurde die Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundespolizei verbessert.
Arbeiten für den Papierkorb
In den vergangenen fünf Jahren versuchte das Seifhennersdorfer Rathaus immer wieder Projekte mithilfe von Fördermitteln umzusetzen, denn die Stadt ist knapp bei Kasse. "Doch vergeblich, denn meist sind die Förderprogramme bereits überzeichnet und wir wurden dann nicht berücksichtigt", klagt die Seifhennersdorfer Bürgermeisterin.
Zudem ärgert sich die Verwaltungschefin über die Bürokratie: "Vielfach arbeiten meine Mitarbeiter nur für den Papierkorb und das ist frustrierend." Trotzdem will die Oberlausitzerin nicht nur klagen, denn trotz aller Probleme habe sich Seifhennersdorf auch in den Bereichen Wirtschaft und Kultur weiterentwickelt.
Es gibt dank der Pianofortemanufaktur Bechstein nicht nur eine sanierte Musikschule, sondern mit der "VielHarmonie" auch einen hochmodernen Konzertsaal. Die Auftragsbücher von Bechstein in Seifhennersdorf sind gut gefüllt. Die Tasteninstrumente gehen in die ganze Welt, die Lehrlinge indes kommen aus der ganzen Welt.
Mehr als 40 Vereine, vom Angler e.V. bis zum Windmühlen e.V., gestalten das kulturelle Leben und auch darauf ist Karin Berndt stolz: "Selbst die Narren sind ab 11.11. nicht nur im Rathaus zu Gange, sondern haben sich mit dem 'Pünktchen' ein eigenes Vereinshaus geschaffen."
Kommunen müssen mehr Geld bekommen
Karin Berndt ist ein wenig müde von den vielen Auseinandersetzungen. "Aber ich würde es wieder tun. Ich würde wieder für die Kinder, ihre Schule, für das Freibad oder mehr Selbstbestimmung kämpfen." Die Bodenhaftung hat Karin Berndt als Bürgermeisterin nie verloren: "Dafür sorgte meine Großfamilie, die sechs Kinder und vierzehn Enkel!"
Ihre Familie habe ihr in all den Streitigkeiten immer den nötigen Rückhalt gegeben, betont die Rathauschefin. Der 6. Oktober wird nunmehr ihr letzter Arbeitstag sein, auch wenn am Sonntag bei der Bürgermeisterwahl wahrscheinlich noch keine Entscheidung fällt.
Nach 21 Jahren im Amt hat die Seifhennersdorfer Bürgermeisterin nur einen einzigen Wunsch: "Die Kommunen müssen finanziell bessergestellt werden. Ansonsten rollen wir in Richtung Abstellgleis und das würde niemanden gut tun."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 10. August 2023 | 08:30 Uhr