KonfliktWaggonbau Niesky: Keine Schließung, aber Chef schimpft über Belegschaft
Die Werkschließung von Deutschlands letzten Güterwagenhersteller scheint abgewendet. Nach den Protesten der Waggonbauer in Niesky aufgrund ungewisser Zukunftsperspektiven nach der Kurzarbeit, hat sich nun nach wochenlangem Schweigen der Geschäftsführer zur Zukunft des Werks geäußert. Dabei kritisierte er die Belegschaft scharf, stellte aber auch klar: Das Werk zu schließen, sei nicht geplant.
- Die Werksschließung des Waggonbaus ist anscheinend auf Eigentümerseite kein Thema.
- Der Geschäftsführer kritisiert die Arbeitsweise der Mitarbeiter scharf.
- Arbeitsverträge von Beschäftigten in auslaufenden Projekten sollen laut Geschäftsführung nicht verlängert werden. Das betreffe aber weniger als zehn Personen.
Können die 250 Waggonbauer in Niesky nun aufatmen? In einem Gespräch mit Vorstandsvertretern des in Niesky ansässigen Unternehmerverbands Niederschlesien hatte sich der Geschäftsführer des Waggonbaus Niesky, Matúš Babík, am Dienstag erstmals zur Zukunft des Werks geäußert: Der slowakische Eigentümer Tatravagonka habe nicht die Absicht, das Werk in Niesky zu schließen. Gegenüber MDR SACHSEN bestätigte er diese Aussage am Freitag: "Wir haben das nicht gekauft, um das Werk zu schließen. Wir haben da viel Geld reingesteckt", sagte Babík und erklärte die Befürchtung als völlig abwegig. Nachdem das Unternehmen im vergangenem Jahr Kurzarbeit anmeldete stieg auf Seiten von Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaft die Beunruhigung, wie es danach mit dem Standort weiter gehen würde.
Noch vor einer Woche waren Waggonbauer in einem stillen Protestmarsch durch Niesky gelaufen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Zudem halten Beschäftigte seit November jeden Dienstag eine Mahnwache am Werkstor. Vom Betriebsrat hieß es, dass die 250 von Kurzarbeit und drohender Werksschließung betroffenen Waggonbauer nicht wüssten, wie es weitergehe.
Die Leute arbeiten nicht so, wie sie sollen und wollen zu viel Geld. Sie sind zu langsam.
Matúš Babík | Geschäftsführer des ELH-Waggonbaus Niesky
Geschäftsführer zufrieden mit Auftragslage, aber nicht mit Mitarbeitern
Babík beklagte sich am Freitag gegenüber MDR SACHSEN: "Die Leute arbeiten nicht so, wie sie sollen. Sie sind zu langsam und wollen zu viel Geld." Grundsätzlich, so Babík, sei die Auftragslage mittlerweile wieder gut. Die Deutsche Bahn habe beispielsweise Interesse gezeigt, 300 weitere Waggons zum Transport von Autos zu beauftragen. Wenn der Auftrag nach Niesky kommt, würde das etwa drei weitere Jahre Arbeit bedeuten, sagt Babik. Zudem würden drei Projekte aus einem Werk in Halle, das ebenfalls zu Tatravagonka gehört, nach Niesky verlagert. Die Firma mache demnach zurzeit keinen Verlust.
Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen Kurzarbeit bis März diesen Jahres beantragt. Als Begründung wurden Materialengpässe, Auftragsmangel und explodierende Energiepreise angeführt. Daraufhin hatte sich der Betriebsrat an den Freistaat gewandt und um Hilfe für den Erhalt des Standortes gebeten. Gerüchte um die Schließung des Werkes machten die Runde. Doch der Eigentümer Tatravagonka und die Geschäftsführung am Standort hüllte sich lange in Schweigen. Ungewiss war lange, wie es nach dem Sommer weiter gehe und ob auslaufende Verträge verlängert werden. Am Freitag beschwichtigte Babík: "Wir haben Arbeit, aber nicht für alle." Verträge von Mitarbeitern, die in bald auslaufenden Projekten arbeiten, würden nicht verlängert - betroffen davon seien weniger als zehn Personen.
Laut Unternehmerverband hatte Babík bei dem Gespräch gesagt, dass er die eigentlichen Probleme in der Effektivität der Arbeit sehe. Um dies zu ändern, bedürfe es "motivierter und zuverlässiger Mitarbeiter. Diese fehlen aktuell am Standort." Dabei spielen laut Babík die Gewerkschaft und der Betriebsrat keine unwesentliche Rolle.
Seit der Übernahme vor fünf Jahren habe Eigentümer Tatravagonka mehr als 35 Millionen Euro in den Standort investiert, ohne Kredit oder Fördermittel, erklärte Babík gegenüber dem Unternehmerverband Niederschlesien. Schon allein deswegen komme eine Schließung nicht infrage.
Ideen der Belegschaft laut Geschäftsführung nicht hilfreich
Angesprochen auf das vor Monaten von den Beschäftigten entwickelte Zukunftskonzept, dass sie an den Eigentümer Tatravagonka in die Slowakei geschickt hatten, äußerte sich Geschäftsführer Babík ebenfalls am Freitag. Monatelang hatte die Belegschaft keine Rückmeldung erhalten. Babík sagte dazu: "Die Leute wollen eine Verlängerung der Beschäftigungsgarantie, aber das machen wir nicht. Da gibt es keine Diskussion." Er kritisierte, dass das Konzept keine Fakten enthalte, die zur Verbesserung der Situation beitragen würden, wie beispielsweise die hohen Kosten pro Stunde gesenkt werden könnten oder die Produktivität erhöht werden könnte. "Das Zukunftskonzept ist ein Blatt Papier ohne Fakten", sagte Babík.
Die Leute wollen eine Verlängerung der Beschäftigungsgarantie, aber das machen wir nicht. Da gibt es keine Diskussion.
Geschäftsführer des ELH-Waggonbaus Niesky
Ob ihn die Mahnwachen beeindrucken, die seit November immer dienstags am Werkstor stattfinden? "Wir haben Demokratie. Ich habe nichts dagegen", sagte der Geschäftsführer dazu lediglich.
Unternehmerverband sieht im neutralen Vermittler Chance für Konfliktlösung
Für den Unternehmerverband Niederschlesien liegt die Ursache für die verfahrene Lage auf der Hand: Es mangle an einer vertrauensvollen und kooperativen Zusammenarbeit von Geschäftsführung und Belegschaft. Daher müsse schnellstmöglich eine Person gefunden werden, die neutral zwischen beiden Lagern vermittelt und die Kommunikation zwischen Belegschaft und Geschäftsführung wieder auf eine vernünftige Basis stellt, teilte Roland Jäkel am Freitag mit. "Die Positionen von Geschäftsführung und Betriebsrat sind gegenwärtig extrem verhärtet. Nur wenn beide Seiten einen Schritt aufeinander zugehen und der Wille zur Lösung der eigentlichen Probleme da ist, dann kann sich die Situation des Unternehmens zeitnah entspannen", ist Jäkel überzeugt.
Traditionsunternehmen in wirtschaftlichen SchwierigkeitenDer Nieskyer Waggonbau mit rund 250 Beschäftigten ist der letzte Güterwagenhersteller in Deutschland. Seit 1917 werden hier Schienenfahrzeuge hergestellt. Nach einer Insolvenz im Jahr 2018 war das Nieskyer Werk von einem Tochterunternehmen des Waggonbauers Tatravagonka in der Slowakei gekauft worden. Doch Materialengpässe, steigende Energiepreise und Auftragsmangel ließen den Traditionsbetrieb in eine schwierige wirtschaftliche Lage geraten. Für die Beschäftigten bedeutete das Kurzarbeit und Zukunftssorgen.
Geschäftsführer Babík zeigte sich am Freitag gegenüber MDR SACHSEN von der Idee eines neutralen Vermittlers wenig angetan: "Ich denke nicht, dass wir jemanden brauchen, der vermittelt." Was aus seiner Sicht aus der verfahrenen Situation helfen würde: "Es müssen sich alle im Spiegel anschauen, Eigentümer, Mitarbeiter, Betriebsrat und sich fragen: Was kann ich machen, um das zu verbessern? Dann läuft das."
Redaktioneller HinweisIn einer früheren Version des Artikels hieß es, die Deutsche Bahn habe den Bau von 300 neuen Waggons in Niesky beauftragt. Bislang laufen lediglich Gespräche über diesen Auftrag, der für das Werk etwa drei weitere Jahre Arbeit bedeuten würde.
MDR (kav)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 03. März 2023 | 19:00 Uhr