Tourismus im ErzgebirgeNeuer Nachtwächter in Annaberg-Buchholz: "Es ist etwas mystisch, in den Gassen urig"
Joachim Reuter ist 65 Jahre alt und könnte als Rentner sein Leben genießen. Aber weil er seine Zeit sinnvoll verbringen und Gästen seine Heimat zeigen will, arbeitet er neu als Nachtwächter. Damit verstärkt er als Dritter im Bunde das Team der Nachtwächter.
Pünktlich zum 523. Geburtstag des Stadtteils Buchholz hat die Stadt Annaberg-Buchholz einen neuen Nachtwächter vorgestellt. Der 65 Jahre alte Joachim Reuter hat im September seine zweijährige Praxiszeit begonnen. Diese muss er absolvieren, bevor ihm der Eintritt in die Europäische Nachtwächter- und Türmerzunft gewährt wird.
"Ich kenne die beiden anderen Nachtwächter schon sehr lange. Es hat mir immer gefallen, was sie machen", erzählt Reuter. Bislang habe ihm aber die Zeit gefehlt sich einzubringen. Als Rentner sei dies nun möglich. Außerdem freue er sich über eine Aufgabe und die sozialen Kontakte. "Ich will nicht zu Hause versauern. Ich will unter die Leute", sagt er.
Erste Führungen bereits gemeistert
Seine ersten beiden Stadtführungen hat Reuter bereits absolviert. "Es war wunderschön und auch sehr aufregend für mich". Denn: "Ich hatte schon hohes Lampenfieber, war dann aber schnell in einer Routine." Es sei ein ganz anderes Gefühl so eine nächtliche Führung zu machen. "Das ist ein ganz anderes Flair, als wenn man das am Tage macht. Es ist etwas mystisch, es ist gemütlich, es ist in den Gassen auch etwas urig."
Es war wunderschön und auch sehr aufregend für mich. Es ist etwas mystisch, es ist gemütlich, es ist in den Gassen auch etwas urig.
Joachim Reuter | nach seiner ertsen Führung als Nachtwächter
Frohnau in Fokus von Stadtführungen rücken
Alles was Berg- und Hüttenwesen betrifft, interessiert den Rentner besonders. Nach mehr als 40 Jahren Berufserfahrung in einer Leichtmetallgießerei ist das auch nicht verwunderlich. Deswegen will er künftig auch Frohnau, die "Mutter von Annaberg", in den Fokus von Stadtführungen rücken. Dort hatte man 1491 Silber gefunden und das sogenannte Berggeschrey setzte ein.
Bislang rund 15.000 Besucher bei Nachtwächterführungen
Rund 100 Nachtwächterführungen finden in Annaberg-Buchholz im Jahr statt. Seit Beginn der Führungen waren etwa 15.000 Besucherinnen und Besucher mit unterwegs. "Gerade in der Adventszeit haben wir so viele Nachfragen nach Nachtwächterführungen, dass wir sehr froh sind, das Angebot selber jetzt noch verstärken zu können", sagt die Sachgebietsleiterin Kultur in der Stadt, Kristin Baden-Walther. "Man kann als Nachtwächter nur einmal in der Nacht unterwegs sein. Von daher stoßen wir manchmal an unsere Grenzen."
Außerdem seien die Nachtwächter sehr aktiv bei der Erforschung der Heimatgeschichte der Stadt. "Sie gehen in die Archive. Dort tauchen immer wieder neue Erkenntnisse auf", sagt Baden-Walther. "Das ist eine große Bereicherung für uns als Stadt."
Stellen Sie sich vor, wie Sie durch die nächtlichen Gassen laufen, auf den Dächern eine Schicht Schnee wie Puderzucker und dazu überall die Adventsbeleuchtung in den Fenstern.
Dieter Frank und Rainer Eckel | seit 2001 Nachtwächter in Annaberg-Buchholz
In der Adventszeit seien die Führungen auch für die Nachtwächter selbst immer etwas Besonderes. "Stellen Sie sich vor, wie Sie durch die nächtlichen Gassen laufen, auf den Dächern eine Schicht Schnee wie Puderzucker und dazu überall die Adventsbeleuchtung in den Fenstern", schwärmen die beiden altgedienten Nachtwächter Dieter Frank und Rainer Eckel. "Das rührt selbst uns immer wieder auf besondere Weise."
Idee als Highlight für 500-Jahr-Feier von Buchholz
Angefangen hatten die Touren im Jahr 2001 zur 500-Jahr-Feier von Buchholz. Damals kamen Eckel und Frank auf die Idee, zum Jubiläumsjahr Nachtwächterführungen anzubieten. Weil die bei Einheimischen und Besuchern gleichermaßen gut ankamen und beide Spaß hatten, wurde aus dem einjährigen Projekt etwas Dauerhaftes. "Nachtwächter haben jahrhundertelang die Stadt geprägt. Es ist lohnenswert die Tradition aufzugreifen und erlebbar zu machen", sagt Eckel.
Besonders interessant findet er es, Nachtwächter von zwei Städten gleichzeitig zu sein. "Denn es waren ja bis 1945 zwei Städte: Annaberg und Buchholz", so Eckel. In seinen Führungen geht er auch immer gern auf die historische Rivalität zwischen beiden Städten ein. "Die Landesgrenzen lagen damals im Sehmatal und beide gruben sich unter der Sehma in das jeweils andere Land hinein", erzählt der Nachtwächter. "Und das ist ein Teil des Anfangs der Rivalität."
Weibliche Nachtwächter möglich?
Nachtwächtertouren werden aktuell nur von Männern durchgeführt, obwohl Annaberg-Buchholz der Idee von Nachtwächterinnen prinzipiell aufgeschlossen ist. Die Nachtwächter der Stadt Annaberg-Buchholz gehören aber der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft an, bei der Frauen nach deren Angaben keine Mitglieder werden können.
Früher, als die Nachtwächter noch das nächtliche Bild prägten, seien auch keine Frauen in diesem Beruf tätig gewesen, erklärt Dieter Frank. Die Frauen seien nur aushilfsweise eingesprungen, wenn der Nachtwächter krank wurde. "Da ging es darum, das Geld in der Familie zu halten", sagt er.
MDR (ali)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 07. November 2024 | 19:00 Uhr