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Im Dezember gab es eine bundesweite Razzia, durchsucht wurden auch Objekte in Olbernhau. Bildrechte: IMAGO / HärtelPRESS

Verhaftete aus OlbernhauDer sächsische Arm der Reichsbürger-Truppe

19. Januar 2023, 05:00 Uhr

Anfang Dezember sind bundesweit hunderte Objekte durchsucht worden. Die groß angelegte Razzia richtete sich gegen eine Gruppe von Reichsbürgern, die einen Umsturz geplant haben soll. Auch zwei Männer aus der sächsischen Kleinstadt Olbernhau im Erzgebirge sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Wer sind die zwei?

Ende 2022, früh am Morgen des 7. Dezember, rückt in Olbernhau ein Großaufgebot der Polizei an. Die Beamten beginnen damit, mehrere Wohnhäuser und Firmengelände zu durchsuchen. Auch bei Frank R. rückt damals die Kriminaltechnik an. Er wird im Zusammenhang mit der Razzia noch am selben Tag festgenommen. Denn: die Bundesanwaltschaft rechnet ihn zum Unterstützerumfeld der Reichsbürger-Gruppe. R. saß zwischen 2004 und 2009 für die CDU im Stadtrat von Olbernhau. Im Internet finden sich Anhaltspunkte, dass er unter Esoterikern verbreiteten "Therapiekonzepten" anhing. Im Ort sei er allerdings vor allem durch seine Firma bekannt gewesen, wird in der Stadt erzählt. Auch nach mehreren Gesprächen, die MDR in Olbernhau geführt hat, ist über Frank R. nicht viel mehr herauszufinden.

Der Stadtrat

Deutlich mehr Details finden sich zum zweiten Festgenommenen. Sein Name ist Christian W. Ihm wirft die Bundesanwaltschaft die Mitgliedschaft in der Reichsbürger-Gruppe vor. In Olbernhau ist W. kein Unbekannter. Bevor der 44-Jährige am 7. Dezember verhaftet wurde, war er als Unternehmer selbstständig, führte einen Betrieb mit mehreren Mitarbeitern. Auch für die Stadt war W. mit seinem Unternehmen tätig. Ab Sommer 2019 war W. selbst kommunalpolitisch aktiv, saß für die AfD in Stadt- und Kreistag. Damals war er als einziger Kandidat der Partei zur Kommunalwahl angetreten und erhielt Stimmen für gleich drei Stadtratsmandate.

Nur eines davon besetzen zu können, habe Christian W. geärgert, erzählt Torsten Gahler. Er ist Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes im Erzgebirge, in dem auch Christian W. ab 2016 aktiv war. Gahler sitzt zudem für die Partei im sächsischen Landtag. Den heute terrorverdächtigen W. habe er in seinem kommunalpolitischen Engagement als jemanden erlebt, der sehr engagiert war, erzählt er. "In der Zeit 2019, wo er angetreten ist, war er sehr fleißig, hat im Wahlkampf viel gemacht. Ich bin ihm da wirklich dankbar, muss ich sagen", so Gahler.

Aktiv war Christian W. auch auf der Straße. Als Anfang 2020 die Pandemie zu ersten Lockdowns führte, organisierte er gemeinsam mit dem Olbernhauer Unternehmer Gunther S. die sogenannten "Corona-Spaziergänge" – eine Protestveranstaltung gegen die Maßnahmen zur Einschränkung der Virusverbreitung, wie es sie in Sachsen landesweit zuhauf gab. Im Beitrag eines Regionalfernsehsenders gibt sich W. im März 2020 als Organisator der Proteste. Läuft mit einem Megaphon über der Schulter voran, macht Durchsagen vor den Teilnehmenden. Auch AfD-Mann Torsten Gahler demonstriert mehrfach mit W. und weiteren in Olbernhau, erzählt er auf Nachfrage.

Der Protest

Mit den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sei ihm Christian W. das erste mal so richtig negativ aufgefallen, sagt Hartmut Tanneberger, Ortsvorsitzender der Olbernhauer Sozialdemokraten. Als direkter Nachbar kennt er den heute Terrorverdächtigen aber schon fast zehn Jahre. Damals zog W. in dieselbe Straße. In dem schmalen Tal sei alles doch eher dörflich geprägt, erzählt der Rentner. Und deshalb hätten er und seine Frau auch versucht, den aus Thüringen zugezogenen W. und seine damalige Frau in die Gemeinschaft zu integrieren. Bei einer Geburtstagsfeier stutzt Tanneberger das erste Mal über Christian W. und dessen politische Ansichten. Als jemand das Engagement Tannebergers für geflüchtete Menschen lobte, sei Christian W. wortlos aufgestanden und gegangen.

Auch in der Kommunalpolitik begegneten sich die Männer. "Im Stadtrat kann man sagen hat er keine direkten Draufhaumethoden gehabt", so Tanneberger. Dennoch hätte es auch damals schon "regierungskritische Aussagen" gegeben. "Die gehören aber ja nicht in die kommunale Vertretung muss ich ganz ehrlich sagen", so der SPD-Mann. Als besonders aggressiv habe er seinen Nachbarn jedoch nie wahrgenommen.

Im Oktober 2020 berichtet die "Freie Presse", dass Christian W. die AfD und den Stadtrat verlassen werde. Laut W. seien Bedrohungen der Grund gewesen. Überprüfen lässt sich das nicht. Sein Kreistagsmandat behielt er bis Juli 2022, fehlte jedoch immer häufiger in den Sitzungen.

Der Parteiaustritt W.‘s sei ein Schritt gewesen, der ihn überrascht hätte, sagt AfD-Kreisverbandsvorsitzender Torsten Gahler. Er schildert, dass W. damals zunächst eine E-Mail an den Landrat geschrieben hätte. "Dort hat er so sinngemäß geschrieben, dass er mit den Zielen der AfD nicht mehr konform geht und er andere Ziele hat und jetzt hinschmeißt." In seinem Austrittsschreiben an die Partei habe W. dann laut Gahler erklärt, sein Austritt habe persönliche Gründe. Zusehends habe sich Christian W. danach ins Private zurückgezogen, schildert es Gahler.

Der "Veteran"

Öffentliche Auftritte von W. gab es auch nach dem Ende seiner parteipolitischen Aktivitäten. Im Juni 2021 kommt auf dem Döbelner Obermarkt eine Gruppe von Männern zusammen. Sie selbst nennen sich "Veteranen". Einige von ihnen in militärischem Dress. Zu Marschmusik halten sie bei einem der sogenannten Montagsproteste einen militärischen Appell ab. "Kameraden – Salutiert dem deutschen Volk!" ist in einem Video des skurril anmutenden Auftritts eine Männerstimme zu hören. Es ist Christian W. aus Olbernhau, der die Befehle erteilt. Einer der Männer, der dem Befehl zum Salut folgt, ist Dirk Munzig, vor knapp 19 Monaten noch Fraktionsvorsitzender der AfD-Stadtratsfraktion in Döbeln. Nachdem sein Auftritt auf dem Obermarkt innerhalb der AfD für Unmut sorgte, verlässt Munzig die Partei kurze Zeit später. Wie gut er den heute Terrorverdächtigen Christian W. kannte, dazu wollte sich Munzig auf MDR-Nachfrage nicht äußern.

Die Chatgruppe

Christian W. pflegte auch an anderer Stelle den Kontakt zu den selbsterklärten Veteranen. In einer Chatgruppe, dem sogenannten "Veteranen Pool-Chat", beteiligt sich der Unternehmer aus dem Erzgebirge rege. Anfangs wirbt W. regelmäßig, andere Mitglieder sollen sich bei ihm melden, um sich "zu vernetzen". Aber auch Reichsbürgerthesen vertritt er dort offen. Etwa in einer Sprachnachricht aus dem Dezember 2021. Darin versteigt er sich im reinsten Reichsbürgersprech in Verschwörungen, bezeichnet die Bundesrepublik als GmbH. Die Bundeswehr hält er nicht für eine richtige Armee: "Ein Firmenkonstrukt in einer besetzten Zone darf und kann nach internationalem Recht keine richtige offizielle Armee unterhalten", so W.

Absehbar wird in der Nachricht aber auch, dass es für W. nicht bei wirren Thesen bleiben, sondern auch Taten folgen könnten. "Es kann sein, dass es Ende des Jahres zu einer Pflichterfüllung unsererseits kommen muss. Also bereitet euch darauf bitte vor", schließt der Terrorverdächtige die Sprachnachricht. Kurze Zeit später, am Neujahrstag 2022, schickt W. eine weitere Nachricht in die Gruppe: "Auch von mir allen ein gesundes neues Jahr! Der große Knall kommt diesmal nicht mit dem Jahreswechsel sondern etwas später! ;) :)".

Der erste Knall

Zwei Polizisten bei einer Durchsuchung in Olbernhau. Bildrechte: IMAGO / HärtelPRESS

Für W. selbst folgte der "große Knall" im April 2022. Es ist die erste Durchsuchung seines Wohnhauses, so schildert es der Olbernhauer selbst in einer weiteren Sprachnachricht. Ihm zufolge seien die Beamten des LKA Sachsen auch auf der Suche nach Sprengstoff gewesen. Den Grund für die Durchsuchung schildert W. ebenfalls in jener Sprachnachricht: "Weil ich einen Kontakt zu jemandem hatte der bei der ‚Operation Klabautermann‘, wie sie bezeichnet wird von den Medien, als einer der Beschuldigten gilt."

Unter dem Namen "Operation Klabautermann" hatte eine Gruppe die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach geplant. Die Behörden schritten im April 2022 ein, bevor die Mitglieder der Gruppe handeln konnten. Christian W. erzählt in der Sprachnachricht, dass er für sich beschlossen habe, die Pläne seien "ein absoluter Schwachsinn". "Weil das wäre richtig Terror gewesen."

Der zweite Knall

Bei der Durchsuchung im April 2022 sollen die Ermittler mehrere offen herumliegende Waffen in W.‘s Haus gefunden haben. Zum Teil sollen diese aus den Beständen zweier Schützenvereine stammen. Deren Vorsitzender bis dato: Christian W. Zugang zu diesen Waffen hatte er als Sportschütze bis April 2022 ganz legal. Kurz nach der ersten Durchsuchung treffen sich die Mitglieder der Schützenvereine zur Versammlung. Im Sitzungsprotoll ist W.‘s Begründung für die offen herumliegenden Waffen in seinem Haus festgehalten. Er habe durch die Gruppe, die Gesundheitsminister Lauterbach entführen wollte, auch eine Gefahr für sich gesehen. "Er beschloss sich und seine Mitmenschen zu schützen und überließ daher einige seiner Waffen und auch Vereinswaffen an nicht befähigte Personen in seinem Haushalt.". Ergebnis der Vereinssitzungen: W. wird aus einem Verein ausgeschlossen, beim anderen suspendiert.

Der militärische Arm

Waffen sollten auch bei Christian W.‘s mutmaßlicher Funktion innerhalb der Reichsbürgergruppe eine Rolle spielen. Dort soll er im sogenannten "Führungsstab" gewesen sein. Dieser stand dem "Militär" vor, ein ressortähnlicher Gruppenteil, dem wiederum der "Rat" übergeordnet sein soll. An dessen Kopf soll nach Erkenntnissen der Ermittler Heinrich XIII. Prinz Reuß gestanden haben. Im Durchsuchungsbeschluss heißt es, dem Adligen sei klar gewesen, dass der angestrebte Umsturz nicht friedlich stattfinden könne. Aus diesem Grund habe er auch Rüdiger P. in den "Rat" berufen. Der ehemalige Bundeswehroffizier sollte dort das Ressort "Militär" übernehmen, Strukturen für die Zeit nach der Machtübernahme aufbauen.

Der "Rat" wollte sich zudem der "Allianz" bedienen – einem herbeifantasierten Militärbündnis verschiedener Staaten, vor allem gestützt auf russische Truppen. Diese "Allianz" sollte Deutschland militärisch angreifen. Doch selbst unter den Umstürzlern gab es offenbar Zweifel. Laut Durchsuchungsbeschluss hielten einige den angeblichen Kontaktmann zur "Allianz" für einen Hochstapler und zweifelten, ob es dieses Bündnis überhaupt gebe. 

Konkrete Planungen soll es für das Vorgehen nach dem Anschlag durch die "Allianz" gegeben haben. An die Stelle der durch die "Allianz" dann zerschlagenen Polizei und Bundeswehr, sollten sogenannte "Heimatschutzkompanien" treten und deren Aufgaben übernehmen. Nach Einschätzung der Ermittler soll der "militärische Arm", in dem auch Christian W. mitgewirkt haben soll, tatsächlich begonnen haben, diese "Heimatschutzkompanien" aufzustellen. Vereinzelt sollen schon Mitglieder rekrutiert worden sein. Bewaffnet werden sollte der Heimatschutz aus den Beständen der dann, nach den Vorstellungen der Gruppierung, aufgelösten Bundeswehr.  

Der Waffenhändler

Nicht verhaftet, aber dennoch als beschuldigt gilt ein weiterer Mann aus Sachsen. Aus einem unscheinbaren Laden in Chemnitz heraus handelte Markus M. mit Waffen und stellte selbst Munition her – legal. Auch er: Sportschütze. Über das gemeinsame Hobby standen Christian W. und Markus M. in Kontakt, denn auch M. war Mitglied in einem der Olbernhauer Schützenvereine. Zum MDR sagte M., ihm werde von den ermittelnden Behörden vorgeworfen, Munition an Christian W. verkauft zu haben, obwohl dieser nach der ersten Durchsuchung im April keine Lizenz mehr besaß. Er bestreitet den Vorwurf. Auf einer Mitgliederliste der sächsischen NPD aus dem Jahr 2007 findet sich auch der Name des Chemnitzer Waffenhändlers. Er selbst sagt dazu, das sei lange her. Er sei eher Anhänger der CDU.

Dieses Thema im Programm:MDR exakt | 18. Januar 2023 | 20:15 Uhr