Bleiberecht Abschiebung von Vietnamesen in Chemnitz: Keine Petition beim Landtag

31. August 2022, 12:00 Uhr

Die mögliche Abschiebung einer vietnamesischen Familie in Chemnitz schlägt weiter Wellen. Die Petition gegen die Abschiebung, die über 80.000 Unterzeichner hat, soll doch nicht beim Sächsischen Landtag eingereicht werden. Dafür gibt es nach Angaben des Sächsischen Flüchtlingsrats gleich mehrere Gründe.

Die Petitionen zum Bleiberecht des Vietnamesen Pham Phi Son und seiner Familie werden nicht wie geplant an diesem Freitag im Landtag übergeben. Wie das Parlament am Dienstag mitteilte, hat der Sächsische Flüchtlingsrat als Einreicher der Petition den Termin abgesagt. Dafür gebe es mehrere Gründe, teilte der Flüchtlingsrat auf Anfrage von MDR SACHSEN mit.

"Zum einen prüfen wir gerade mit anwaltlicher Vertretung das Bleiberecht der Familie bei der lokalen Ausländerbehörde in Chemnitz", sagte Dave Schmidtke, Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrats. Diese Prüfung könne nicht parallel zu der Petition stattfinden. "Wir sind vorsichtig optimistisch, dass es einen positiven Bescheid geben wird", so Schmidtke. Sowohl für Pham Phi Son als auch für seine Frau würden Arbeitsangebote vorliegen. Außerdem greife die Härtefallklausel aus humanitären Gründen.

CDU-Fraktionsvorsitzender hält Abschiebung für bestandskräftig

Ein zweiter Grund, die Petition nicht einzureichen, ist laut Schmidtke eine Vorabanfrage der Internetseite openpetition an die CDU-Fraktion im Landtag. Auf diese hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann geantwortet*, dass "bei allem Verständnis für die sehr komplizierte Situation der Familie Pham, der Bescheid der Stadt Chemnitz zur Abschiebung" bestandskräftig sei. Das gesamte Verfahren ziehe sich bereits über mehrere Jahre und unter Beteiligung zahlreicher Behörden und Ämter. Außerdem habe sich die Härtefallkommission bereits 2019 mit dem Fall befasst und eine erneute Prüfung sei nicht in Aussicht. Ähnlich hatte bereits Innenminister Armin Schuster (CDU) die Rechtslage bewertet.

"Die CDU-Fraktion hat immer betont, dass sie für eine konsequente Asylpolitik steht", so Hartmann weiter in seiner Antwort auf openpetition. "Dazu gehört die Integration derjenigen, die einen Anspruch auf Schutz und eine klare Bleibeperspektive haben genauso wie die konsequente Abschiebung von vollziehbar Ausreisepflichtigen, denen jeglicher Anspruch auf Asyl verwehrt ist."

"Wir sind darüber sehr enttäuscht", sagte Schmidtke über die Haltung des CDU-Fraktionsvorsitzenden. Da die Mehrheitsverhältnisse im Petitionsausschuss bei CDU und AfD liegen, sei es unwahrscheinlich, dass die Petition überhaupt im Landtag verhandelt werde.

Warum sollen Pham Phi Son und seine Familie abgeschoben werden? - Der 65 Jahre alte Pham Phi Son siedelte im Alter von 30 Jahren 1987 als DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam in die DDR über und wurde in Chemnitz ansässig. Dort lebte er und arbeitete in der Gastronomie.
-2016 reiste er in sein Heimatland Vietnam. Dort bekam Pham Phi Son wegen der klimatischen Verhältnisse in Vietnam Probleme mit einer alten Kriegsverletzung im Knie und musste sich daraufhin in ärztliche Behandlung begeben. Das hatte zur Folge, dass Pham Phi Son länger als sechs Monate in Vietnam blieb.
- Laut Rechtsprechung erlischt die sogenannte Niederlassungserlaubnis in Deutschland, wenn man sich ohne Genehmigung der Ausländerbehörde über die sechs Monate hinaus im Ausland aufhält.
- Die Ausländerbehörde erließ nach Wiedereinreise des Vietnamesen eine Ausreisepflicht, die die Polizei jederzeit vollziehen kann.
- Dagegen klagte Pham zuletzt 2017 vor dem Oberverwaltungsgericht in Bautzen und scheiterte.
- Ein Antrag an die Härtefallkommission des Sächsischen Ausländerbeauftragten wurde 2019 abgelehnt.
- Ehefrau Nguyễn Thi Quynh Hoa - eine studierte Betriebswirtschaftlerin - reiste 2016 legal nach Deutschland ein, um Pham Phi Son zu heiraten. 2017 kam ihre gemeinsame Tochter Emilia zur Welt.

Petition mit rund 83.000 Unterschriften

Die Petition hatten rund 83.000 Menschen (Stand 30. August) unterzeichnet, 18.300 davon aus Sachsen. "Wir sind absolut überwältigt von der großen Resonanz zur Petition und danken im Namen der Familie allen, die uns bislang unterstützt haben", sagte Schmidtke. "Obwohl der Fall exemplarisch für viele Menschen steht, die sich hier über Jahre eine Existenz aufbauten, hatten wir noch kein vergleichbares mediales und politisches Echo." Dieser große Rückhalt aus der Zivilgesellschaft beweise, dass die betroffene Familie angekommen sei und das Bleiberecht hier verdient habe.

Obwohl der Fall exemplarisch für viele Menschen steht, die sich hier über Jahre eine Existenz aufbauten, hatten wir noch kein vergleichbares mediales und politisches Echo.

Dave Schmidtke Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates

Entscheidung in den nächsten Tagen erwartet

Eine Entscheidung der Ausländerbehörde Chemnitz erwartet der Flüchtlingsrat in den nächsten Tagen. Sollte diese negativ ausfallen, könne man die Petition wieder reaktivieren. "Wir werden nicht aufhören, für die Familie zu kämpfen", so Schmidtke.

So ist das Aufenthaltsrecht ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter geregelt

Im Jahr 1980 Jahren schlossen die DDR und Vietnam ein Abkommen zur Übernahme von Vertragsarbeitern. Die Vietnamesen arbeiteten vor allem in der Textilindustrie, welche nach der "Wende" nahezu vollständig zusammenbrach. 16.000 Vietnamesen sind nach dem Ende der DDR in Deutschland geblieben. Nach dem Willen des Einigungsvertrages sollten DDR-Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen lediglich ein Bleiberecht für die ursprünglich mit der DDR geschlossene Vertragszeit erhalten. Immer wieder bekamen sie je nach veränderter politischer Einschätzung neue Aufenthaltstitel und standen unter Aufsicht der Ausländerbehörden. 1997 beschlossen die Innenminister der Bundesländer den ehemaligen Vertragsarbeitern aus Vietnam, die Arbeit hatten und straffrei waren, ein Daueraufenthaltsrecht zuzusprechen.

Dank der Bleiberechtsregelung konnten die Vietnamesen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erwerben. Diese wurde im Jahr 2011 zur Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Dadurch war auch der rechtliche Abschluss einer gelungenen langfristigen Integration nachgewiesen. Und sie erlaubte die Aufnahme einer Arbeit.

Quelle: Frank Richter/www.abschiebung-sachsen.de

Wie arbeitet der Petitionsausschuss im Sächsischen Landtag?

Die Petentin oder der Petent richtet seine Petition an den Sächsischen Landtag. Die Petenten können ihre Eingabe schriftlich oder online beim Sächsischen Landtag einreichen. Sie haben die Möglichkeit, dies individuell oder gemeinsam (z. B. Sammelpetitionen) an das Parlament zu richten.

Jedes Schreiben, das beim Petitionsausschuss des Sächsischen Landtags eingeht, wird geprüft, ob es die Voraussetzungen einer Petition im Sinne des Artikels 35 der Sächsischen Verfassung erfüllt und der Sächsische Landtag für die Behandlung dieser Petition zuständig ist.

Mit der Eröffnung des Petitionsverfahrens wird bei dem fachlich zuständigen Staatsministerium und/oder weiteren zuständigen Stellen eine Stellungnahme zum Sachverhalt eingeholt. Diese Stellungnahme muss nach § 62 Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags innerhalb von sechs Wochen erfolgen.

Der Petitionsausschuss benennt für jede Petition eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten als Berichterstatter. Diesem werden die Petition und die dazu eingegangenen Stellungnahmen zur weiteren Bearbeitung übergeben. Der Berichterstatter prüft den Sachverhalt und erstellt zur Petition einen Bericht mit einer entsprechenden Beschlussempfehlung.

Im Rahmen der Prüfung stehen dem Petitionsausschuss weitere Befugnisse zur Verfügung. So können ergänzende Stellungnahmen eingeholt und die Vorlage von Akten verlangt werden. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Auskünfte von Vertretern der Behörden einzufordern, Ortstermine durchzuführen sowie Petenten, Auskunftspersonen und Sachverständige während der Ausschusssitzung anzuhören. Im weiteren Verfahren wird über den Bericht und die Beschlussempfehlung in einer nicht öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses beraten und mit Mehrheitsentscheid abgestimmt.

Quelle: www.landtag.sachsen.de

*Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde angegeben, dass die komplette CDU-Fraktion sich gegen die Petition ausgesprochen hat. Die Antwort an openpetition kam aber nur vom Fraktionsvorsitzenden Christian Hartmann. Es hat nach Angaben der CDU keinen Fraktionsbeschluss zu diesem Thema gegeben.

MDR (ali)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 30. August 2022 | 12:30 Uhr

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