Oldtimer-Bus Letzter Ikarus 180 in Überlandversion ist zurück auf den Straßen von Chemnitz

03. September 2022, 11:16 Uhr

Nicht nur Phönix, auch Ikarus kann aus der Asche auferstehen. Das beweist das Straßenbahnmuseum Chemnitz gerade. Genau genommen aus einem großen Haufen rostigen Schrotts und eines Karosseriegerippes ist ein Ikarus-Gelenkbus vom Typ 180 wieder fahrbereit aufgearbeitet worden - dank vieler Spenden. MDR SACHSEN durfte den Bus schon sehen. Am Sonnabendvormittag wurde er erstmals der Öffentlichkeit gezeigt. Es gibt nur noch zwei vergleichbare Busse auf der Welt - in Moskau und Budapest.

Auf Initiative des Straßenbahnmuseums Chemnitz ist ein legendärer Gelenkbus der Baureihe Ikarus 180 restauriert worden. Am Sonnabend ist der Oldtimer erstmals der Öffentlichkeit präsentiert worden - anlässlich des Jubiläums "100 Jahre Stadtbus in Chemnitz". Zahlreiche Fans waren extra dafür nach Chemnitz gekommen.

Ein echtes Unikat

Denn der Bus ist nicht irgendein Oldtimer - er ist einer von weltweit nur noch drei erhaltenen Exemplaren, erklärt Museumsleiterin Claudia Großkopp. Einer wird im Mutterland der Ikarus-Busse - in der ungarischen Hauptstadt Budapest - zu besonderen Anlässen eingesetzt und ein zweiter wird in Moskau gepflegt.

Diese beiden Busse sind Stadtbusse mit vier Türen, das Chemnitzer Exemplar ist eine Überlandversion mit mehr Sitzen und nur zwei Türen. "Es ist also sogar der letzte Bus dieser Art", betont die Museumschefin, die für ihre zupackende Art bekannt ist. Machen, statt reden. Sie erinnert sich noch gut, wie sie und weitere Mitstreiter alte Ersatzteile sortiert haben. Von der Karosse war nur noch ein Gerippe übrig und auch das in eher schlechtem Zustand. Laien hätten die einstigen Überbleibsel des Busses wohl als Schrotthaufen bezeichnet.

Gelenkbus vor dem Schrott in Berlin gerettet

Heiko Wolf hat darin aber einen Schatz gesehen. Der gelernte Fahrzeugschlosser und Geschäftsbereichsleiter Betrieb bei der Chemnitzer Verkehrs AG war immer die treibende Kraft hinter dem Projekt. Er hat nie daran gezweifelt, dass der Bus wieder fahren wird. Wolf hat auch das, was vom Bus übrig war, in Berlin einst ausfindig gemacht und den Kauf sowie den Transport nach Chemnitz organisiert. Das war 2014. "Ich wollte erst einmal alles sichern", sagt der Buskenner. Die Szene der Busfans - insbesondere im Osten Deutschlands - hatte seitdem ein genaues Auge darauf, wie es mit dem Bus weiterging. Vor allem aber hat sie geholfen, dass aus dem Wrack wieder ein vorzeigbares Fahrzeug wird.

Die Geschichte des alten Ikarus 180 Der Ikarus 180.22 wurde 1971 gebaut und war bis 1978 in Ost-Berlin bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVB) im Einsatz. Dann erwarb der Stadtbezirk Berlin-Treptow den Bus, um ihn als fahrbares Verkehrserziehungszentrum zu nutzen. Dieser Einsatz endete 1988. Ein Jahr später war seine Verschrottung im Rahmen einer Feuerwehrübung angedacht.
Der Denkmalpflege-Verein Nahverkehr Berlin e.V. erwarb das Fahrzeug 1989 zum Wiederaufbau. Dieser geriet jedoch nach dem Sandstrahlen ins Stocken. Der Omnibus stand seitdem in einem Betriebshof in Berlin-Niederschönhausen und wurde 2014 gekauft und nach Chemnitz gebracht. Quelle: Omsa GmbH & Straßenbahnmuseum Chemnitz

Rund 120 Spender - einige anonym - haben den Wiederaufbau finanziell unterstützt. Das Museum gibt die Kosten mit 250.000 Euro an. Nicht eingerechnet sind die Arbeitsstunden, die Bus-Enthusiasten rund um das Vorhaben geleistet haben.

Fachfirma in Güstrow baut Olditimer detailliert auf

Den eigentlichen Wiederaufbau haben die Chemnitzer aber Fachleuten in Güstrow überlassen. Die Omsa GmbH hat seit Sommer 2020 das Fahrzeug aufwendig restauriert und die Arbeiten dokumentiert, damit die Busfans stets auf dem Laufenden geblieben sind. Busexperte Wolf ist voll des Lobes angesichts des handwerklichen Könnens der Omsa-Leute. Viele Teile mussten für den Oldtimer komplett neu angefertigt werden - etwa auch die Beplankung. Wolf ist wie kaum ein anderer in der Busszene vernetzt, hat einen noch nie eingesetzten Originalmotor organisieren können oder die Orignalbeleuchtung des Fahrgastraums und die Begrenzungslampen an Front und Heck, die nur bei Auslieferung der ersten Exemplare ab Werk vorhanden waren. Er lächelt verschmitzt, wenn er davon erzählt. Alle seine Quellen legt er nicht offen. Wie sehr er den Bus wertschätzt, wird deutlich, wenn er bei Restarbeiten im Inneren die Schuhe auszieht.

Präsentation am Sonnabend zum Busjubiläum

Erst vor Kurzem hat Heiko Wolf den fertigen Bus in Güstrow abgeholt und über einen Umweg in Berlin nach Chemnitz gebracht. Das Fahrzeug wurde wie ein großes Geheimnis gehütet und vor neugierigen Blicken in Hallen untergestellt, in denen noch andere Oldtimer-Busse geschützt vor Wind und Wetter stehen. Bereits am vergangenen Wochenende durften Unterstützer des Projekts bei einer Dankesfeier das Schmuckstück erstmals bewundern. Seit Sonnabend kommt nun auch die breite Öffentlichkeit in den Genuss, den frisch restaurierten Bus zu bewundern. Rundfahrten sind aber noch keine möglich, da die Zulassungen als Oldtimer und für die Personenbeförderung noch ausstehen.

Busfans kündigen Sonderfahrten nach Chemnitz an

Aus diesem Anlass haben sich Fans angekündigt, die mit eigenen historischen Sonderbussen anreisen. Auch der Freundeskreis Ikarus, der im Zweijahresrhythmus Ikarus-Treffen gemeinsam mit Verkehrsbetrieben organisiert, trommelt für den Termin. Zum Freundeskreis gehört René Junghans aus Schneeberg. Der 37-Jährige widmet fast seine ganze Freizeit den Bussen, jagt seltenen Exemplaren durch halb Europa hinterher.

Vom wiederauferstandenen Ikarus 180 ist er begeistert. "Ich habe das Projekt von Anfang an verfolgt. Das fertige Auto ist einfach genial." In der Szene werden Busse als Autos bezeichnet. Im Linienverkehr hat der Vater zweier Kinder selbst keinen 180er mehr live erlebt. Aber an Ikarus-Nachfolgemodelle kann es sich noch gut erinnern, mit denen er einst zur Schule gefahren ist. Im Budapester Museumsbus hat er natürlich auch schon Rundfahrten unternommen. Laut Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes vom Mai waren in Deutschland noch 32 Ikarus-Busse unterschiedlicher Modelle zugelassen.

Ikarus 180 in der DDR und in Karl-Marx-Stadt Beim Nahverkehr in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) waren Ende der 1960er bis Anfang der 1980er-Jahre insgesamt 83 Ikarus-Gelenkzüge 180 im Einsatz - 77 Stadtbusse mit vier Türen und sechs Zweitürer in Überlandversion. Weitere fuhren beim Kraftverkehr Karl-Marx-Stadt auf Überlandlinien, wo auch die kurzen Standardbusse vom Typ 556 eingesetzt wurden. Sie besitzen dieselbe Karosserieform, nur keinen Nachläufer und folglich kein Gelenk.

Als legendär gelten zwei umgebaute Ikarus 180 der Zwickauer Firma Kaiser, die bis Anfang der 1990er-Jahre im Liniendienst zwischen Zwickau und Karl-Marx-Stadt auf der Linie T-152 fuhren und wie Reisebusse mit plüschigen Sitzen ausgestattet waren.

Zwischen 1964 und 1973 kaufte die DDR 1.140 Ikarus-Busse der Reihe 180 in Stadt- und Überlandausführung. Im Stadtverkehr kamen die Gelenkbusse anfangs noch mit Schaffner zum Einsatz, der an der letzten Tür eine kleine Kabine hatte.

Die 180er waren die ersten Gelenkbusse, die in relevanten Stückzahlen in der DDR zum Einsatz kamen. Mit ihnen wurden die Satellitensiedlungen erschlossen, die nach und nach am Rande der Industriestädte entstanden. Straßenbahnmuseum Chemnitz & Motorbuch Verlag Stuttgart

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 28. August 2022 | 19:00 Uhr

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