Teilnehmer des Christopher Street Day in Döbeln mit einer Regenbogenfahne.
Der CSD in Döbeln hat Jahr für Jahr mit rechten Anfeindungen und Bedrohungen zu kämpfen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Interview Queer auf dem Land: Beleidigungen, tätliche Angriffe, Morddrohungen

03. Mai 2025, 13:30 Uhr

Seit Jahren hat der Christopher Street Day in Döbeln mit Anfeindungen und Angriffen von Rechts zu kämpfen. Ocean Hale Meißner veranstaltet den CSD mit: Im Interview spricht Meißner über die Herausforderungen des queeraktivistischen Engagements, über Zusammenhalt, nötige Aufklärungsarbeit und darüber, was es bedeutet, als queere Person im ländlichen Raum aufzuwachsen und zu leben.

In Sachsen und vielen weiteren ländlichen Regionen Deutschlands wird vermehrt Stimmung gegen queere Menschen gemacht. Veranstaltungen wie Christopher Street Days (CSD) finden häufig nicht mehr ohne ein Aufgebot der Polizei statt. Auch die neue ARD-Doku "Queer in der Provinz" zeigt das herausfordernde Leben queerer Menschen im ländlichen Raum.

Ocean Hale Meißner aus Döbeln veranstaltet seit 2022 gemeinsam mit weiteren Menschen der Gruppe "Queeres Döbeln" einen CSD in der mittelsächsischen Kleinstadt. Auch dort gehören Anfeindungen zum Alltag. Die Liste ist lang: Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen gegen Teammitglieder, tätliche Angriffe, Buttersäureattacken aufs Veranstaltungsgelände des CSD.

Umso aktiver kämpft Meißner gegen Vorurteile an und versucht durch Vernetzung und ehrenamtliche Aufklärungs- und Bildungsarbeit in seiner Heimat etwas zu ändern. Welche Herausforderungen das Tag für Tag mit sich bringt, erzählt Meißner im Interview mit dem MDR.

MDR: Wann hast du begonnen, dich für queeres Leben in Sachsen einzusetzen?

Ocean Hale Meißner: In Sachsen gibt es mehrere queere Vereine, darunter in Leipzig die RosaLinde, in Dresden den Gerede e .V. und in Chemnitz der Verein different people. Sie machen auch in den Landkreisen drumherum wichtige Jugendaufklärungs- und Bildungsarbeit.

Ocean Hale Meißner ist Teil der Gruppe "Queeres Döbeln" und organisiert den CSD Döbeln mit.
Ocean Hale Meißner aus Döbeln. Bildrechte: Anja Schneider/MDR

Mir wurde damals über einen Workshop der Rosa Linde Leipzig in der Schulzeit bewusst, dass ich dem queeren Spektrum angehöre und wo genau ich mich sehe. Im sächsischen Hinterland wurde darüber ja nicht viel gesprochen.

Nach diesem Workshop habe ich beschlossen, selbst Aufklärungsprojekte hier in der Region zu etablieren. Ich habe mich mit anderen Leuten zusammengetan. 2020/21 haben wir zum Beispiel an einer Wanderausstellung mitgewirkt. Sie heißt "Solche Leute gibt's hier nicht – queeres Leben im ländlichen Raum Sachsens". Damit wollten wir zeigen, wie es ist, als queere Person in Sachsen aufzuwachsen und zu leben.

Und wie kam es letztlich dazu, dass ihr einen CSD auf die Beine gestellt habt?

Wir wollten ein größeres Zeichen setzen, und so kam der Gedanke auf, einen CSD zu organisieren. Der erste CSD in Döbeln hat 2022 stattgefunden. Er ist sehr gut angekommen und es gab direkt Angebote, uns zu helfen und Nachfragen, ob er im kommenden Jahr wieder stattfinden würde. Durch die neuen Kontakte kam die Gruppe "Queeres Döbeln" zustande, mit Bar-Abenden, Infoveranstaltungen, gemeinsamen Ausflügen etc..

Was versucht ihr – mit der Gruppe und Veranstaltungen wie dem CSD – zu erreichen?

Sichtbarkeit nach außen hin ist das eine, es ist aber auch wichtig, sich nicht allein zu fühlen, gerade in einer solchen Gegend. Wenn du nichtbinär bist, trans-, inter- oder ageschlechtlich, beschäftigen dich besondere Themen.

Hier im Hinterland fragt dich beispielsweise niemand nach deinem Pronomen, Deadnames werden auch oft genutzt – viele Leute tun sich sehr schwer, nach einer Namensänderung auch den neuen Namen zu akzeptieren. Und deswegen ist es so wichtig, regelmäßige Treffen wahrnehmen zu können, wo man unter Gleichgesinnten ist und sich über seine Probleme austauschen kann. Es ging uns also auch um Empowerment untereinander, und darum, füreinander da zu sein.

Auf den CSD in Döbeln gab es im vergangenen Jahr einen Buttersäureanschlag und Probleme mit einer rechten Gegendemo. Wie nimmst du die Bedrohung von rechts wahr – nehmen Angriffe und Drohungen zu?

Die Aufmerksamkeit ist natürlich seit letztem Jahr deutschlandweit enorm gestiegen, gerade nach Bautzen und Leipzig, wo es so eskaliert ist. Und dann dachten viele: Oh, das ist aber was Neues, dass es rechte Gegendemos gibt. Und ja, es hat mittlerweile zwar eine neue Dimension angenommen, es ist mittlerweile selbstverständlich, dass du mit Nazis rechnen kannst, wenn du einen CSD im sächsischen Hinterland machst.

Aber es gab auch in den Jahren zuvor schon Angriffe gegen uns. Ob Buttersäure-Angriffe auf unsere Veranstaltungsflächen, oder Teilnehmende, die beschimpft und bedroht, die mit Steinen beworfen wurden, es wurden Regenbogenflaggen in der Stadt verbrannt. All das passiert seit Jahren.

Du sprichst dennoch von einer neuen Dimension der Bedrohungslage. Inwiefern?

Wir sind ja auch auf anderen Veranstaltungen in Sachsen unterwegs: Im vergangenen Jahr hatte jeder sächsische CSD entweder mit einer direkten Gegendemo oder zumindest mit einzelnen rechten Akteuren zu kämpfen.

Kurz vor unserem CSD 2024 haben wir erfahren, dass auch in Döbeln eine Gegendemo angemeldet worden ist. Und trotz aller Gespräche mit den Behörden kam es dazu, dass uns die Nazis nicht bloß gegenüberstehen, sondern die komplette Strecke hinterherlaufen durften. Es fühlte sich an, wie Vieh durch die Straßen gejagt zu werden, von teils vorbestraften Neonazis und gewaltbereiten Menschen, mit Hitlergruß und White-Power-Zeichen. An einem solchen Tag kannst du nicht frei und unbeschwert sein und deine queere Community feiern.

Am Tag des CSD ist viel Polizei unterwegs, da greifen sie uns nicht an. Das machen sie erst im Alltag, wenn die Polizei wieder weg ist.

Ocean Hale Meißner CSD Döbeln

Welche Folgen kann es haben, wenn euch rechte Demonstrierende so nah kommen können?

Sie probieren natürlich, die Akteure vor Ort ruhig zu stellen. Die stehen zwei, drei Meter von uns entfernt und halten uns die Kamera ins Gesicht. Und dieses Videomaterial kann einerseits zu Zwangsoutings führen, aber auch zu Denunziationen.

Wir haben es schon erlebt, dass queere Leute, die in Kindergärten oder Schulen arbeiten, mit falschen Gerüchten und Pädophilie-Unterstellungen zu kämpfen haben. Aber das Material sammeln sie vor allem dafür, um sich die Gesichter der Veranstaltenden zu merken. Am Tag des CSD ist viel Polizei unterwegs, da greifen sie uns nicht an. Das machen sie erst im Alltag, wenn die Polizei wieder weg ist.

An einem solchen Tag kannst du nicht frei und unbeschwert sein und deine queere Community feiern.

Ocean Hale Meißner CSD Döbeln

In Anbetracht all dieser Umstände: Wie bereitet ihr euch auf den diesjährigen CSD im September vor?

Natürlich sind wir im Gespräch mit den Behörden, mit Politik und Justiz. Es gibt auch queere Vereine und Netzwerke, über die wir auf Landes - und auf Bundesebene mit Polizei und Politik sprechen. Ansonsten versuchen wir uns möglichst gut finanziell abzusichern, um Awareness- und Security-Teams bezahlen zu können, die zusätzlich zur Polizei für Sicherheit sorgen. Aber das ist in Zeiten schwindender Fördermittel echt schwer.

Ansonsten versuche ich, für Aufmerksamkeit zu sorgen. Ich bin, ebenso wie Jonas Löschau vom CSD Bautzen, ganzjährig auf Veranstaltungen in Deutschland unterwegs und spreche auf Podien über queeres Leben in Sachsen. Das bringt Aufmerksamkeit, aber auch zusätzlichen Support durch Organisationen und Menschen, die uns unterstützen wollen.

Tatsächlich haben wir erst vor zwei Monaten entschieden, dass es in diesem Jahr wieder einen CSD geben wird. Aufgrund der Gefahrenlage und der vielen Arbeit, die damit verbunden ist, mussten wir abwägen, ob wir das stemmen können. Und wir sind damit nicht allein – es wird in diesem Jahr in Sachsen weniger CSDs geben als noch 2024.

Wo liegen deiner Meinung nach die Schwerpunkte queeraktivistischer Arbeit gerade im ländlichen Raum?

Ich merke, dass viele Leute denken, keine Berührungspunkte mit queeren Menschen zu haben. Deswegen heißt die Wanderausstellung auch: "Solche Leute gibt’s hier nicht". Das ist eine Standardantwort von vielen Leuten auf dem Land. Es braucht also ganz viel Bildungsarbeit, nicht bloß für Jugendliche, sondern für die ganze Gesellschaft. Aber die nächste Frage ist, wer soll das machen? Die Vereine leiden unter finanziellen Engpässen und Einkürzungen, sodass es kaum mehr queere Bildungsarbeit an Schulen gibt. Es gibt gar nicht genug Akteure, die die ganze Bildungsarbeit, die nötig ist, leisten könnten.

Aber wie sollen die Menschen auf dem Land dann mehr Verständnis entwickeln? Diskriminierung passiert häufig nicht aus Absicht, sondern aus Unwissenheit. Warum werden denn falsche Pronomen benutzt? Oft aus Unwissenheit – und auch, dass es heutzutage normal ist, Menschen nach Pronomen zu fragen, das muss man zunächst vermitteln. Wir machen diese Arbeit ehrenamtlich, das kostet viel Kraft. Ich kenne so viele Leute, die ausgebrannt sind, weil diese Arbeit ein Kampf gegen Windmühlen ist. Ich liebe meine Heimat, ich würde hier gern etwas verändern, aber auch ich spiele mittlerweile mit dem Gedanken wegzugehen.

Kannst du trotz allem noch optimistisch in die Zukunft blicken?

Ich werde oft gefragt: Wo siehst du Sachsen in fünf Jahren? Und ich probiere immer, optimistisch zu bleiben. Aber ich schaffe es gerade nicht mehr, positive Utopien für die Zukunft zu gestalten. Unter den aktuellen Bedingungen und Entwicklungen können wir froh sein, wenn wir den Ist-Zustand halten. Wenn ich sehe, wie die finanzielle Lage ist, wie viele Mittel gekürzt werden, wie die Bedrohungslage gerade ist: Wenn wir in fünf Jahren noch an dem Punkt sind, an dem wir jetzt stehen, können wir von Glück reden.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Queer in der Provinz | 30. April 2025 | 08:00 Uhr

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