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RadtourEntlang der Mulde: Kurvig, natürlich, ostig

23. Juli 2022, 18:00 Uhr

Einige würden sagen, eine Radtour an der Mulde ist unspektakulär. Keine riesigen Biergärten, Bootsvermietungen, Uferevents oder Freilichtbühnen. Die Mulde, einfach "nur" als Fluss, der sich schlängelt, kleine Schaumkronen fabriziert und an dessen Rändern Schilf wiegt. Genau diese unvermarktete Ursprünglichkeit macht ihren Reiz aus.

Dresden hat die Elbe, sie ist groß, majestätisch und schön. An ihren Rändern ist ein spezielles Lebensgefühl gewachsen, Picknick, Konzerte, Kino, mit dem Boot treiben lassen, das Leben genießen. Doch die Elbe ist nicht der einzige Fluss in Sachsen. Es gibt auch die Mulde, genauer gesagt die Freiberger und die Zwickauer Mulde. Sie fließen bei Colditz zur Mulde zusammen, viele kennen sie, in der Wahrnehmung verschwinden sie jedoch oft hinter dem Elbe-Aushängeschild.

An den beiden Mulden führt wie an der Elbe auch ein Radweg entlang. Wir entscheiden uns für die Freiberger Mulde, genauer gesagt, den Streckenabschnitt zwischen Nossen und Roßwein in Mittelsachsen. Warum? Weil Nossen für ein Autobahnkreuz steht und Roßwein keine prosperierende Gewinner-Stadt darstellt. Wie sieht es aus, abseits schillernder Kulissen?

Start bei 30 Grad im Schatten

Unser hehres Radtour-Vorhaben wird gleich zu Beginn auf eine harte Probe gestellt. Der Tag beginnt mit 28 Grad im Schatten, für den Nachmittag sind knapp 40 Grad angesetzt. Wollen wir wirklich Radfahren bei der Hitze? "Ja, wir ziehen das durch", ist unsere zweihellige Meinung. Wir - das sind unser Drohnen- und Videospezialist Benni und ich. Wie auf der Webseite des Mulde-Radweges beschrieben, starten wir unterhalb des Schlosses in Nossen. Fahrräder raus aus dem Auto, Wasser eingepackt. Ein Schild weist die Richtung, flussabwärts gen Döbeln, auf geht’s. Während wir die ersten Meter auf dem Asphalt rollen, wehen uns heiße Wolken entgegen.

Start in Nossen

An uns vorbei ziehen Häuser, saniert und unsaniert, Omas, die aus dem Fenster gucken, Omas, die Fenster putzen. Ein dreistöckiges Gründerzeithaus säumt den Weg, wir passieren eine Unterführung und schon stehen wir an der ersten Brücke. Sie eröffnet den vollen Blick auf den Fluss, kleine Liebesschlösser säumen ihre Verkleidung (Das gibt es nicht nur in Paris, obwohl dort wahrscheinlich mehr Verliebte flanieren).

Als hätte jemand diese Gedanken gehört, tauchen plötzlich Soelle und Connrad auf. Sie sind mit dem Bus aus Freiberg und Striegisthal gekommen und wollen in das Volksbad, das nur wenige Meter entfernt liegt. Dieser Tag gehört nur ihnen. "Wir sind ein Paar“, erklärt Conrad und nimmt Soelle an die Hand. "Den Radweg kennen wir jedoch nicht." Ok, verständlich, junge Verliebte schauen sich lieber tief in die Augen und genießen das Prickeln am Beckenrand, als in die Pedale zu treten.

Weiterfahrt Richtung Kloster Altzella

Weiter geht es durch ein Gewerbegebiet stadtauswärts. Eine Familie kommt uns entgegen, sie sieht allerdings eher nach Schwimmbad als nach Radtour aus. Wieder eine Brücke, wir wechseln die Seite und tauchen ab in die grüne Landschaft. Rechts ziehen vereinzelte Kleingärten an uns vorbei, links schlängelt und plätschert die Mulde flach im Flussbett, eingesäumt von einem grünen Teppich aus Schilf, Gras und heimischen Wiesenpflanzen. Auf der linken Seite ragt ein hoher, toter Baumstumpf in die Luft. So hoch waren die Bäume vielleicht vor der verheerenden Flut 2002, die alles mitriss, was ihr an den Ufern im Weg stand. Neben Häusern in den Ortschaften, auch viele Kleingärten. Die Folgen sind noch Jahrzehnte später spürbar.

Knatternder Motor der Schwalbe

Eine Brücke und zwei Kurven später säumt eine mittelalterliche Mauer den Weg. Ehe wir uns fragen können, wozu diese gehört, knattert ein älterer Herr mit schwarzem Helm und Sonnenbrille auf seiner Schwalbe auf uns zu. Er wirkt wie aus der Zeit gefallen.

Die einen nennen es N(O)stalgie, die anderen Erinnerungen an die Jugend. Vielleicht ist es beides. Dietmar Fleischhacker jedenfalls, wie sich der Herr vorstellt, bastelt gern an alten Zweirädern, an Schwalben und Simson-Mopeds. "Ich habe eine kleine Werkstatt", erzählt er voller Stolz. Gerade habe er die Schwalbe repariert, jetzt sei er auf Probefahrt. Die Gegend sei toll, sogar Naturschutzgebiet.

Radweg ausgebaut

Und: Wie sieht es mit den anderen Zweirädern, den Fahrrädern aus? Wird der Mulde-Radweg angenommen? "In den vergangenen Jahren ist viel passiert. Der Weg wurde ausgebaut. Das wissen viele Radfahrer zu schätzen", erklärt Fleischhacker. Immer mehr Menschen würden die Gegend entdecken. "Das ist merklich spürbar." Obwohl, schiebt er nach. Manche Rennradfahrer schimpften kräftig, weil nicht alle Wege asphaltiert seien.

In der Tat, nachdem wir nach dem Kloster rechts abbiegen, fahren wir auf einem Schuttweg. Doch auf einem gut präparierten Schuttweg voller wilder Naturschönheit. Riesige, alte Laubbäume bilden ein fast tropisches Dach, das wertvolle Kühle spendet. Auf der rechten Seite blitzt die Eisenbahnschiene durch das Dickicht. Für alle Liebhaber ist hier etwas dabei. Große Vögel flattern von Baum zu Baum und an der nächsten Brücke wird auch die Mulde wieder aus dem versteckten Tal auftauchen.

Idealer Ort bei 35 Grad im Schatten: Das Kloster Altzella

Apropos Kloster Altzella: Fast hätten wir dieses Kleinod verpasst. Doch der Schwalbe-Fahrer verriet uns das Geheimnis hinter den mittelalterlichen Mauern – und so bogen wir kurz auf der linken Seite vom Weg ab.

Fazit: In diesem alten Kloster kann man mindestens einen Tag verbringen. Die Anlage atmet Geschichte. Fast alle mittelalterlichen Herrscher Sachsens sind hier beigesetzt, bis zu 200 Mönche arbeiteten hier. Schon allein ein kurzer Besuch im alten Speisesaal lohnt sich, die niedrigen Temperaturen wirken wie eine Erlösung. "Das Kloster ist der beste Ort für heiße Tage", witzelt Peter Dänhardt, Historiker und Museologe des Klosters und des Schlosses Nossen. Nebenbei könne man sich gleich die neue Ausstellung ansehen.

In der Tat, ein Kloster war einst wie eine kleine Stadt mit Krankentrakt und Landwirtschaft, Bibliothek, ganz groß auch beim Thema Heilpflanzen. "Es ist nicht nur das Kloster", wirft Dänhardt ein. Die gesamte Anlage mit dem Klosterpark sei einzigartig und für ihn der schönste Arbeitsplatz der Welt. Kein Wunder, denke ich mir, vor allem bei dem Wetter, kann der Historiker hinter die kühlen Klostermauern entfleuchen, während wir bei steigender Quecksilbersäule wieder auf die Räder steigen.

Geocaching im Klosterpark geplant

Bevor wir das tun, passiert die Klosterchefin höchstpersönlich unseren Weg. "Wir testen das neue Geocaching", erklärt Ina Schumann. Ab dem Herbst werde dies angeboten. Kinder- und Jugendliche könnten mit ihren Familien den Klosterpark erkunden und zeigen, was als Detektive in ihnen steckt.

Ach so, Pferde und Rinder gibt es am Kloster auch, wie schon im Mittelalter. "Die Landwirtschaft ist ein fester Bestandteil des Klostergutes", erklärt Dänhardt beim Abschied. Das sei in den vergangenen Jahrhunderten so gewesen, in der DDR und eben jetzt immer noch. Die einzelnen Ställe würden an Landwirte vermietet. Als wir gehen, treffen wir Michael und Gabriele aus Dresden. "Wir wollten sehen, wie sich das Kloster entwickelt hat", erklären sie. "Bei der Hitze ist besonders der kühle Speisesaal zu empfehlen", entgegnen wir. Auf geht's, wir müssen weiter nach Roßwein.

Die unentdeckte Perle Roßwein

Nach sieben Kilometern erhebt sich der erste alte Schornstein von Roßwein im Westen der Stadt. Einst ein altsorbisches Fischerdorf gehörte der Ort zu den bedeutendsten Besitztümern des Klosters Altzella. Seit dem 19. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt mit Metallwaren-, Schuh-, Textil- und Zigarrenfabriken zum bedeutenden Industriestandort – auch durch die Eisenbahnanbindung nach Dresden, Leipzig und Chemnitz. Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Viele Fabriken wurden spätestens nach dem Ende der DDR abgewickelt. Was bleibt ist eine Stadt an der Mulde mit unendlich viel Platz und Leerstand.

Leerstand als Chance

Was für die einen wie eine ostdeutsche "Verliererstadt" anmuten könnte, ist eine Reise in die Vergangenheit. Wollen Sie sich noch einmal erinnern, wie es in der DDR aussah, kommen Sie nach Roßwein. Möchten Sie die Wunden der 90er sehen, des Zusammenbruchs, der Transformation – dann kommen Sie nach Roßwein. Wollen Sie sehen, wie sich eine kleine Stadt, die fast die Hälfte ihrer Einwohner verloren hat, durchkämpft, dann kommen Sie nach Roßwein. Letztlich hat Roßwein alles das, was viele junge Menschen nach Leipzig zieht. Alte Industrieanlagen, viel Platz, traumhafte Villen und einen auf besondere Art und Weise unberührten Geist. Die Stadt liegt nur eine halbe Autostunde entfernt von Dresden, vielleicht ziehen ja bald die ersten Kreativen in die alten leeren Häuser.

Verpflegung beim Bäcker

Wir scheitern erst einmal, wie üblich in nicht prosperierenden Orten, an nicht vorhandener Infrastruktur. "Ein Restaurant haben wir hier nicht", erklärt ein Einheimischer, der mit seinem Sohn über den Marktplatz geht. "Vielleicht probieren Sie es in der Pizzeria." Dort sind die Türen verschlossen, doch der Bäcker gegenüber hat geöffnet. Halleluja Roßwein. Zwei kleine Wasser, zwei kleine Fanta, wir ziehen alles aus dem Kühlschrank, was wir kriegen können. "Ich habe hier noch zwei Pizzabrötchen, die kann ich Ihnen gern kurz in den Grill schieben", erklärt die Bäckersfrau herzenswarm, als sie mitbekommt, dass uns der Sinn nach Herzhaftem steht.

Picknick am Muldenufer

Bepackt mit schönen Sachen, die das Leben schöner machen, radeln wir zurück zum Ufer der Mulde. Im Schatten eines Eichenbaums vernichten wir die kalte Fanta, die Pizzabrötchen und das Wasser in Rekordzeit. Ein einzelner Radfahrer passiert den Weg. Die Mulde plätschert vor unseren Augen und wir lassen langsam die Füße ins Wasser gleiten. Eine Wohltat. Weil es so schön ist, lasse ich mich spontan ins Wasser fallen. Eine Tour an der Mulde – einfach zum Loslassen.

Fazit: Wer Lust hat, auf weniger Trubel, mehr Natur und ganz entspannte Stunden, ist an der Mulde genau richtig. Der Radweg kann in verschiedenen Etappen von der Quelle bis zur Mündung gefahren werden. Die ersten Etappen ab der Quelle hat mein Kollege Norman Jung vergangenen Sommer getestet. Weitere Detailinformationen sind auf der Webseite zu finden.

Adresse und Anreise

  • Einstieg in Nossen. Die Stadt ist durch sein Autobahndreieck bekannt, also per Fahrzeug auf alle Fälle über die A4 und die A14 gut erreichbar.
  • Schwieriger wird es bei der Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Von Leipzig aus fährt der RB110 bis Döbeln, dann Weiterfahrt mit dem Bus 750. Chemnitzer können in den RB45 einsteigen und in Döbeln in den Bus 750 umsteigen. Von Dresden fährt direkt der Bus 424.
  • Radfahrer können natürlich auch direkt am Beginn des Radweges in Moldau starten. Auf der Webseite sind alle Etappen zu finden.

Öffnungszeiten während der Ferien

  • Der Radweg ist immer frei zugänglich. Während der Ferien warten besondere Extras. Das Schloss Nossen bietet beispielsweise extra ein Ferienprogramm. Ab Herbst bietet das Kloster Altzella Geocaching.

Kosten

  • Die Radtour ist kostenfrei.
  • Wer möchte, kann aber beispielsweise Spenden für das Kloster Altzella hinterlassen.
  • Trotzdem Geld für Eis, eine Einkehr oder den Imbiss auf dem Weg sowie für die Anreise einplanen.

Geeignet für

  • Erwachsene, Familien, große und kleine Kinder, Gruppen, Pärchen, Singles, Abenteurer, Naturliebhaber, Romantiker, N(o)stalgiker und Anhänger von "Lost Places"

Barrierefreiheit

  • Der Radweg ist nicht durchgehend asphaltiert. Die Teilstrecken aus Schutt sind jedoch gut präpariert, mit einem halbwegs stabilen Fahrwerk von Rollstühlen oder Fahrradanhängern sollte das machbar sein.

Verpflegung

  • Selbstversorgung
  • Nossen bietet vom Restaurant bis zum Imbiss und Döner genügend Möglichkeiten zur Verpflegung. Eis gibt es zwar nicht in der Innenstadt, dafür aber in einer köstlichen Eisdiele fast direkt an der Mulde. Das "Eiseck Albrecht" hat neben Softeis und den Klassikern auch spannende Sorten wie salziges Karamell und Buttermilch mit Rosmarin.
  • Rast machen lohnt sich auch im Kloster Altzella: Unter großen Bäumen lässt sich hier prima eine kalte Limonade oder eine Suppe vom Klostercafé genießen.
  • Rosswein bietet zwar Einkehrmöglichkeiten, doch es lohnt sich vorher anzurufen, ob diese geöffnet sind. Was sich jedoch immer lohnt: ein Picknick am Fuße der Mulde. Einfach etwas Essbares beim Bäcker oder im Supermarkt kaufen und die Natur genießen.

Daran sollte man denken

  • Kopfbedeckung, genügend Wasser, Sonnenschutz, Kamera und gute Laune. Vielleicht ist, wie zu jeder Radtour, ein kleines Flickset ratsam, falls einmal die Luft aus dem Reifen ausgehen sollte.

Wenn man schon mal da ist ...

  • ... gleich noch das Kloster Altzelle besuchen, das Schloss Nossen und einen Spaziergang durch Roßwein machen.

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